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[Gesundheitsrecht] Gerber / «Circuit Breakers»

1. «Circuit Breakers»

An der Medienkonferenz der Experten des Bundes vom 20. Oktober 2020 wurde eine weitere Massnahme zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie angesprochen. Es handelt sich um «Circuit Breakers», also um kurze ein- bis zweiwöchige Lockdowns, um die Ausbreitung von Covid-19 zu verlangsamen. Ein solcher «Circuit Breaker» wird vom Bund geprüft.1 Aus epidemiologischer Sicht sei es «sinnvoll, einen kontrollierten Lockdown vorzubereiten».2

2. Rechtsgrundlagen?

Soweit mit einem «Circuit Breaker» schweizweite, «echte» und vom Bundesrat beschlossene Lockdowns gemeint sind, ist deren Rechtmässigkeit in der gegenwärtigen besonderen Lage nach Art. 6 EpG zu hinterfragen.

Die auf Grund der (gegenwärtigen Ausprägung der) Covid-19-Pandemie geltende besondere Lage nach Art. 6 EpG als «epidemiologische Notlage» ist für epidemiologische Bedrohungslagen wie moderate Influenzapandemien oder SARS vorgesehen.3 Die ausserordentliche Lage nach Art. 7 EpG wird erst bei einer Worst-Case-Pandemie (Spanische Grippe 1918) ausgerufen.4

Die jeweilige Fassung der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie stützt sich auf Art. 6 Abs. 2 Buchstaben a und b EpG. Dabei beschränkt sich der Handlungsspielraum des Bundesrats auf die in den Artikeln 31–38 sowie 40 EpG festgelegten Massnahmen, was in den Eidgenössischen Räten unbestritten blieb.5 Die Botschaft zum hier interessierenden Art. 40 Abs. 2 EpG lautete:

«Nach Absatz 2 können die zuständigen kantonalen Behörden Veranstaltungen verbieten oder einschränken (Bst. a), Schulen oder andere öffentliche Anstalten und private Unternehmen schliessen oder gegenüber diesen besondere Vorschriften zum Betrieb (z. B. Hygienemassnahmen) verfügen (Bst. b) oder das Betreten oder Verlassen bestimmter Gebäude oder Gebiete und bestimmte Aktivitäten an definierten Orten, wie das Baden verbieten oder einschränken (Bst. c). Das revidierte Gesetz enthält im Gegensatz zum geltenden EpG eine Regelung, welche es den zuständigen Behörden ermöglicht, das Betreten oder Verlassen bestimmter Gebiete zeitweise einzuschränken. Diese Ergänzung ist notwendig, weil sich gerade im Zusammenhang mit der Bekämpfung der häufig tödlich verlaufenden Lungenkrankheit SARS gezeigt hat, dass mit der Absperrung bestimmter Quartiere oder Häusergruppen (z. B. in Hongkong) die Weiterverbreitung der Krankheit signifikant eingeschränkt werden konnte. Die Absperrung ganzer Ortschaften soll aber nur in Ausnahmesituationen möglich sein»6


Die Eidgenössischen Räte folgten dem bundesrätlichen Vorschlag zu Art. 40 EpG diskussionslos.7

3. Fazit

Die einzelnen Einschränkungen, welche ein allfälliger «Circuit Breaker» mit sich brächte, wären natürlich zuerst zu definieren. Die Materialien zum EpG zeigen jedoch auf, dass in der besonderen Lage nach Art. 6 EpG schweizweite und vom Bundesrat beschlossene «Absperrungen» keine Option darstellen. Im Gegenteil wird klar, dass – nach den in der Botschaft zum EpG für massgebend erklärten Erfahrungen mit SARS – solch drastische Massnahmen wie (echte) Lockdowns streng lokal (Quartiere oder Häusergruppen, ausnahmsweise ganze Ortschaften) begrenzt sein müssen. Insoweit ist daher im Gegensatz zu milderen Vorkehrungen gemäss Art. 40 Abs. 2 Buchstaben a und b EpG, die (nur bei nachgewiesener Indikation) durchaus schweizweit gelten können, eine «Hotspot»-Strategie zu wählen.

Dr. iur. Kaspar Gerber, LL. M., wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht, Universität Zürich.

  1. 1Bundesamt für Gesundheit (BAG), Point de Presse Coronavirus vom 20. Oktober 2020, Votum Stefan Kuster, Leiter Übertragbare Krankheiten, BAG, 55m14s–56m29s (https://www.youtube.com/watch?v=bfoCE-RZOTI&feature=youtu.be).
  2. 2Schweizer Radio und Fernsehen, Coronakrise, Epidemiologin: «Sinnvoll, kontrollierten Lockdown vorzubereiten», Interview mit Nicola Low, Mitglied der Covid-19-Taskforce des Bundes, 20. Oktober 2020 (https://www.srf.ch/news/schweiz/coronakrise-epidemiologin-sinnvoll-kontrollierten-lockdown-vorzubereiten).
  3. 3BBl 2011 363.
  4. 4BBl 2011 363.
  5. 5BBl 2011 365. Diese bundesrätliche Intention gab in den Räten zu keiner Diskussion Anlass. Bei Art. 6 EpG drehte sich die Kontroverse primär um den möglichen «Impfzwang» (AB 2012 N 314–318; AB 2012 S 390–391; AB 2012 N 1282).
  6. 6BBl 2011 392.
  7. 7AB 2012 N 320 betreffend Art. 23–73 EpG; AB 2012 S 392 betreffend Art. 23–52 EpG.

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