Jusletter Coronavirus-Blog

[Gesellschaftsrecht] Binder/Hofstetter/Biland/Bollmann - Der Anwendungsbereich von Art. 6a COVID-19-Verordnung 2

Die «COVID-19-Verordnung 2» des Bundesrates bringt entgegen ihrem zu engen Wortlaut nicht nur praktikable Lösungen für Generalversammlungen von Publikumsgesellschaften, KMU und Vereinen, sondern für Versammlungen jeglicher Art bei privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Organisationen. Und, das mag manche überraschen: auch für Gemeindeversammlungen, Sitzungen von Kantonsparlamenten sowie Sessionen der eidgenössischen Räte. Sämtliche Gesellschaften, Organisationen und Institutionen sind damit seit dem 17. März 2020 wieder handlungsfähig – sofern sie digital à jour sind.
 
 
  • Autoren/Autorinnen: Andreas Binder / David Hofstetter / Janina Biland / Claudia Bollmann
  • Beitragsart: Beiträge
  • Rechtsgebiete: Gesellschaftsrecht, Öffentliches Recht, Gesundheitsrecht
  • Zitiervorschlag: Andreas Binder / David Hofstetter / Janina Biland / Claudia Bollmann, Der Anwendungsbereich von Art. 6a COVID-19-Verordnung 2, in: Jusletter 6. April 2020
    Die «COVID-19-Verordnung 2» des Bundesrates bringt entgegen ihrem zu engen Wortlaut 

5 Kommentare

  • 1

    Zu Rz. 9: Geltungdauer bzw. Befristung der Massnahme

    Der Aufsatz geht noch von Art. 6a und Art. 12 Covid-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 16. März 2020 aus. Zwischen Redaktionsschluss und Publikation hat nun der Bundesrat am 8. April 2020 die Covid-19-Verordnung 2 geändert und die Dauer der Massnahmen bis zum 26. April 2020 verlängert. Art. 12 Abs. 6 Coivid-19-Verordnung 2, auf den sich Art. 6a Abs. 2 Covid-19-Verordnung 2 immer noch bezieht, wurde aufgehoben. Dafür hält Art. 12 Abs. 7 Covid-19-Verordnung 2 nun fest, dass die Massnahmen gemäss dem 3. Kapitel, zu dem auch Art. 6a Coivid-19-Verordnung 2 gehört, bis zum 26. April 2020 gelten. In Rz. 9 des Aufsatzes wird richtigerweise festgehalten, dass die "vorgesehenen Erleichterungen für die Ausübung der Rechte - unabhängig von einer allfälligen Verlängerung dieser Massnahmen - über den 19. April 2020 hinaus genutzt werden können, sofern sie gemäss Art. 6a Abs. 2 Covid-19-Verordnung 2 bis spätestens 19. April 2020 angeordnet werden". Es stellt sich nun angesichts der Lücken, die mit der Änderung vom 8. April 2020 in der Verordnung entstanden, die Frage, ob sich diese Frist zur Einberufung der Versammlung sich auch bis zum 26. April 2020 verlängert. Dies ist m.E. zu bejahen. Offenbar geht auch das Bundesamt für Justiz (BJ) davon aus, denn es hat in seinen FAQ zu Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 die Frist bereits bis zum 26. April 2020 angepasst, siehe dazu https://www.bj.admin.ch/dam/data/ejpd/aktuell/news/2020/2020-03-06/faq-gv-d.pdf. Massgeblich ist laut BJ bei brieflicher Mitteilung an die Gesellschafter das Datum des Poststempels des Versands (spätester Poststempel demnach 26.04.2020).

    avatarDaniel Kettiger14.04.2020 18:39:30Antworten

  • 2

    Zu Ziffer 4.4 Versammlungen der Legislativen auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene

    In Ziffer 4.4 des Aufsatzes hält das Autorenteam fest, dass Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 auch auf "sämtliche Versammlungen der Legislativen auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene" Anwendung findet, solche Legislativorgane also direkt gestützt auf Art 6a Covid-19-Verordnung 2 ihre Versammlungen "auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form" durchführen können" (die Durchführung mittels Stimmrechtsvertreter wird vom Autorenteam ausdrücklich ausgeschlossen, siehe Rz. 42). Voraussetzung wäre auch hier, dass das Zuständige Organ den Beschluss, die Versammlung(en) schriftlich oder elektronisch durchzuführen bis zum 26. April 2020 gefällt und kommuniziert hat. Ob dies für die Bundesversammlung zutrifft (siehe Rz. 38-40 und 44), kann offen bleiben, da die Bundesversammlung einen anderen Weg gewählt hat und für Anfangs Mai eine Sondersession unter Einhaltung der Hygienemassnahmen einberufen hat. Wie nachfolgend dargestellt wird, ist aber Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 klarerweise nicht auf kantonale und kommunale Legislativorgane anwendbar und eine Anwendung wäre in den meisten Fällen – entgegen der Auffassung des Autorenteams (siehe Rz. 43) – nicht verfassungskonform. Der Bundesrat kann nach herrschender Lehre seine Notverordnungskompetenzen nach Art. 185 Abs. 3 BV nur im Rahmen der Bundesverfassung, d.h. unter umfassender Respektierung der BV ausüben (vgl. Urs Saxer, St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Art. 185 BV, Rz. 97); er kann mithin nur dort gesetzesvertretende Verordnungen erlassen, wo die Bundesverfassung die Rechtsetzungszuständigkeit des Bundes vorsieht. Mithin darf er kein Notverordnungsrecht erlassen, das in die Rechtsetzungs- und Organisationshoheit der Kantone eingreift, was bei einer Regelung der Durchführung von Legislativversammlungen auf kantonaler und kommunaler Ebene aber der Fall wäre. Nach einer Minderheit der Lehre darf der Bundesrat mit seinem Notverordnungsrecht in Ausnahmefällen vom bundesstaatlichen Zuständigkeitssystem abweichen, was aber voraussetzt, dass ein Kanton oder die Kantone seine innere Sicherheit bzw. das Funktionieren seiner Behörden nicht mehr selber gewährleisten kann (vgl. Saxer, a.a.O., Rz. 98). Letzteres ist trotz der Bedrohung durch Covid-19 auch vor dem Hintergrund der vom Bundesrat angeordneten Massnahmen nicht der Fall. Denn erstens können die Kantone gestützt auf das Notrecht des Bundesrats Ausnahmen vom Versammlungsverbot bewilligen (Art. 7 Covid-19-Verordnung 2) und so dringliche Legislativversammlungen unter Einhaltung der Hygienemassnahme zulassen und zweitens verfügen die meisten Kantone in ihren Verfassungen über Notverordnungskompetenzen der Kantonsregierungen (vgl. z.B. § 91 Abs. 4 KB-AG, Art. 91 KV-BE, § 109 KV-BS, § 56 Abs. 3 KV-LU, Art. 79 Abs. 4 KV-SO, Art. 72 KV-ZH), was letzteren erlaubt, hinsichtlich von Legislativversammlungen zeitnah und zeitgerecht angemessene Regelungen zu erlassen. Die Kantonsregierungen bleiben somit weiterhin alleine und abschliessend zuständig, um gegebenenfalls notrechtliche Regelungen betreffend den Zeitpunkt und die Modalitäten von Legislativversammlungen auf kantonaler und kommunaler Ebene zu erlassen. Anwendungsvoraussetzung für Art. 185 Abs. 3 BV ist zudem, dass bezüglich des Schutzgutes, das mit einer Notverordnungsmassnahme geschützt werden soll, sowohl eine sachliche wie eine zeitliche Dringlichkeit besteht (vgl. Saxer a.a.O., Rz. 71). Diese Anwendungsvoraussetzungen sollten restriktiv ausgelegt werden (vgl. Saxer a.a.O., Rz. 60). Bezüglich von kantonalen und kommunalen Legislativversammlungen besteht in den allerseltesten Fällen eine sachliche oder zeitliche Dringlichkeit; mithin sind die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 185 Abs. 3 BV für die Anwendung von Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 auf solche Legislativversammlungen nicht gegeben. So hat beispielsweise die Ratsleitung des Urner Landrats in Rücksprache mit den Fraktionspräsidien entschieden, die Session vom 18. März 2020 einfach ausfallen zu lassen und die Geschäfte auf die Session vom 22. April 2020 zu verschieben (vgl. https://www.ur.ch/politikinformationen/63560). Dort wo das kantonale Recht vorschreibt, dass die ordentlichen Gemeindeversammlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr stattfinden müssen, kann die Kantonsregierung diesen Zeitpunkt ändern. Wenn die Legislativversammlung eine Vollversammlung der Stimmberechtigten ist (z.B. Landsgemeinde, Gemeindeversammlung), muss eine Durchführung auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form, wie sie Art. 6a Abs. 1 Covid-19-Verordnung 2 vorsieht, zudem vor dem Hintergrund des Grundrechtsschutzes für politische Rechte (Art. 34 BV) und der Ausübung der politischen Rechte (Art. 39 BV) betrachtet werden. Zur Regelung der Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten sind die Kantone zuständig (Art. 39 Abs. 1 BV). Eine unverfälschte Stimmabgabe auf elektronischem Weg muss angesichts der Evaluationen der Versuche mit eVoting als kritisch betrachtet werden, umso mehr, als die gängigen Tools zur Durchführung von grossen Videokonferenzen zum grössten Teil nicht die genügende Datensicherheit aufweisen. Mithin schliesst Art. 34 Abs. 2 BV auch in Krisenzeiten eine Durchführung einer Versammlung von Stimmberechtigten in elektronischer Form zum Vornherein aus. Eine Durchführung einer Landsgemeinde oder Gemeindeversammlung in elektronischer Form würde zudem auch Stimmberechtigte ohne Internetanschluss von der Ausübung ihrer politischen Rechte ausschliessen und damit faktisch zu einer Alters-diskriminierung führen. Die Grundrechtseinschränkungen, die eine Durchführung in elektronischer Form mit sich bringt sind somit auch unter dem Aspekt von Notrecht unverhältnismässig. Möglich und zulässig wäre es wohl, wenn mittels kantonalem Notrecht die Durchführung einer Landsgemeinde oder von Gemeindeversammlungen durch eine Urnenabstimmung ersetzt würde. Sowohl die briefliche Stimmabgabe wie auch die Stimmabgabe an der Urne können unter Einhaltung von Hygienemassnahmen durchgeführt werden. Selbst dann, wenn Art. 185 Abs. 3 BV es zulassen würde, dass der Bundesrat mittels Notverordnungsrecht kantonale und kommunale Legislativversammlungen regeln würde, könnte Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 keine Anwendung auf solche Versammlungen finden. Erstens stellt sich die rechtsmethodische Frage, ob bundesrätliche Notverordnungen überhaupt mit den für das gewöhnliche Gesetzes- und Verordnungsrecht entwickelten Auslegungsmethoden ausgelegt werden dürfen, was vorliegend ausdrücklich bestritten wird. Zweitens muss die vom Autorenteam vorgenommene Auslegung in verschiedener Hinsicht angezweifelt werden, so namentlich hinsichtlich der Systematischen und der historischen Auslegung; bei einer Unterscheidung in subjektive und objektive historische Auslegung wird nämlich klar, dass sich der Anwendungsbereich von Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 nach dem Willen es Verordnungsgebers nur auf privatrechtliche Gesellschaften beziehen soll. Die Auslegung der zuständigen Bundesbehörden, welche die Redaktion des Verordnungstextes besorgt haben bewegt sich im Übrigen auch in diesem Bereich: Die FAQ des Bundesamts für Justiz zu Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 halten fest, was als Gesellschaft im Sinne der Notverordnung gilt: "Die Sondervorschriften gemäss COVID-19-Verordnung 2 beziehen sich auf Versammlungen sämtlicher Gesellschaften. Als Gesellschaften i.w.S. gelten neben den Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften und GmbH auch die Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, Vereine und Genossenschaften." (siehe https://www.bj.admin.ch/dam/data/ejpd/aktuell/news/2020/2020-03-06/faq-gv-d.pdf). In den FAQ werden dann auch noch die Stockwerkeigentümerversammlungen erwähnt; demgegenüber werden die Versammlungen von Leitungsorganen von Stiftungen vom Anwendungsbereich von Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 ausgeschlossen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 auf kantonale und kommunale Legislativversammlungen keine Anwendung findet bzw. finden kann. Alleine die Kantone sind befugt, Notrecht bezüglich kantonaler und kommunaler Legislativversammlungen zu erlassen. Würde eine solche Versammlung alleine gestützt auf Art. 6a Covid-19-Verordnung 2 auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form durchgeführt, könnten die Durchführung sowie das Ergebnis erfolgreich angefochten werden.

    avatarDaniel Kettiger16.04.2020 17:51:43Antworten

  • 3

    Änderungen der Covid-19_Verordnung 2 vom 16.04.2020

    Der Bundesrat hat am 16.04.2020 die Covid-19-Verordnung 2 geändert mit den hier massgeblichen folgenden Änderungen ab dem 27.04.2020: a) Art. 6a ist neu Art. 6b Covid-19-Verordnung 2. b) Die Veranstalter können ihren Beschluss zur Anwendung von Art. 6a bzw. neu Art. 6b Covid-19-Verordnung 2 bis zum 10.05.2020 fassen und kommunizieren (Art. 6b Abs. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 8 Covid-19-Verordnung 2).

    avatarDaniel Kettiger16.04.2020 21:23:02Antworten

  • 4

    Anwendungsdauer von Art. 6b COVID-19-Verordnung 2 bis 30.06.2020 verlängert

    Der Bundesrat hat am 29.04.2020 die Anwendungsdauer der Sonderregelungen für Versammlungen von Gesellschaften in elektronischer oder schriftlicher Form (Art. 6b COVID-19-Verordnung 2) bis zum 30. Juni 2020 verlängert (Verordnung vom 29.04.2020 [Transitionsschritt 2: Schulen und Einkaufsläden sowie Sportbereich], AS 2020 1401, in Kraft seit 11.05.2020). Art. 6b Abs. 2 COVID-19-Verordnung 2 verweist hinsichtlich der Anwendungsdauern nun auf Art. 12 Abs. 10 COVID-19-Verordnung 2 (die Korrektur der Verweisung wurde erst mit Verordnung vom 08.05.2020 [Transitionsschritt 2: Restaurationsbetriebe)], AS 2020 1499, in Kraft seit 11.05.2020 angebracht) und dieser legt die Geltungsdauer der Regelung nun bis zum 30.06.2020 fest. Die Verlängerung ist sachlich richtig, kommt aber möglicherweise nun zu spät und dient gewissen Gesellschaften nicht mehr. Da der Bundesrat schon am 16.04.2020 weitestgehend wusste, dass grössere Versammlungen bis in den Juni hinein nicht erlaubt sein werden, hätte er schon damals die Geltungsdauer der Sonderregelungen für Versammlungen von Gesellschaften bis in den Juni hinein festlegen können.

    avatarDaniel Kettiger11.05.2020 12:54:37Antworten

  • 5

    Nun Art. 27 der Covid-19-Verordnung 3

    Mit der Covid-19-Verordnung 3 vom 19. Juni 2020 (AS 2020 2195), welche am 22. Juni 2020 in Kraft trat, wurde die COVID-19-Verordnung 2 aufgehoben. Die Regelung betreffend die Versammlung von Gesellschaften, welche dem Art. 6b Abs. 2 COVID-19-Verordnung 2 entspricht, wurde nun neu in Art. 27 Covid-19-Verordnung 3 festgeschrieben. Diese Regelung gilt noch bis zum 31. August 2020. Weshalb Art. 27 Covid-19-Verordnung 3 nicht auch - wie der Rest der Verordnung - bis zum 13. September 2020 gilt, wird nicht weiter begründet und entzieht sich jeder Logik, dies umso mehr als der Bundesrat in der Vernehmlassungsvorlage zum Covid-19-Gesetz in Art. 5 die Anordnung der gleichen Massnahme wieder vorsieht. Die notrechtliche Regelung zu den Versammlungen von Gesellschaften ist eine sinnvolle und zielführende Massnahme zur Abfederung der Präventionsmassnahmen (Primärmassnahmen) zur Bekämpfung der Viruskrankheit Covid-19. Die gesetzgeberische Umsetzung der Massnahme ist aber eine "Katastrophe" und ein Beispiel dafür, wie man es gerade im Notrecht nicht machen soll. Notrecht soll zu Rechtssicherheit in der Notlage führen. Dieses Ziel erreicht man aber nicht, wenn die Massnahme zuerst bis zum 19. April 2020 Geltung hat und dann bis zum 26. April 2020, dann bis zum 30. Juni 2020 und schliesslich bis zum 31. August 2020 verlängert wird und wenn die massgebliche Rechtsnorm zuerst in Art. 6a COVID-19 Verordnung 2, dann in Art. 6b COVID-Verordnung 2 und schliesslich in Art. 27 Covid-19-Verordnung 3 zu finden ist.

    avatarDaniel Kettiger02.07.2020 23:06:40Antworten

Ihr Kommentar zu diesem Beitrag

Jusletter-AbonnentInnen können sich an der Diskussion beteiligen. Bitte loggen Sie sich ein, um Kommentare verfassen zu können.

Jusletter abonnieren