Jusletter

Militärjustiz aus Sicht der zivilen Strafverfolgungsbehörden

  • Autor/Autorin: Beat Oppliger
  • Beitragsart: Beiträge
  • Rechtsgebiete: Militärstrafrecht und Militärstrafverfahren
  • Zitiervorschlag: Beat Oppliger, Militärjustiz aus Sicht der zivilen Strafverfolgungsbehörden, in: Jusletter 13. Mai 2019
Das Fazit des Autors als Leiter einer zivilen Strafverfolgungsbehörde lautet: Die Militärjustiz hat sich als unabhängige Institution bewährt und es braucht sie aus mehreren Gründen zwingend nach wie vor. Gleichzeitig besteht im Militärstrafprozess in mehrfacher Hinsicht ein mögliches Optimierungspotential, insbesondere was Zuständigkeiten und Kompetenzen angeht.
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Als ich die Anfrage des Oberauditors erhalten habe, zu diesem Thema zu referieren, haben sich bei der Lagebeurteilung die drei folgenden Fragen herauskristallisiert:

  1. Was kann ich als oberster Strafverfolger des Kantons Zürich zum Thema beitragen?
  2. Braucht es die Militärjustiz noch?
  3. Wenn ja: Sind allenfalls Anpassungen erforderlich, insbesondere bei den gesetzlichen Grundlagen?
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Einleitend möchte ich Ihnen meinen Bezug zur Militärjustiz erläutern.

  • Ich war rund zehn Jahre Offizier bei der Militärpolizei und zwar im MP Det 41, stationiert in Oberuzwil. Dabei haben wir diverse Ermittlungen im gesamten Bereich des MStG getätigt und an den militärischen Untersuchungsrichter (UR) rapportiert.
  • Als Bezirksanwalt bin ich dann für militärische UR ausgerückt, wenn diese aufgrund grosser örtlicher Distanz nicht selber innert nützlicher Frist an die Unfallörtlichkeit oder den Tatort gelangen konnten.
  • Ausserdem sind diverse Zürcher Staatsanwälte als militärische Untersuchungsrichter und Auditoren für die Militärjustiz tätig.
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Die durch Medien und Politik immer wieder gestellte Frage im Zusammenhang mit der Militärjustiz lautet: Handelt es sich hier um einen alten Zopf oder um eine notwendige Spezialgerichtsbarkeit? Ich möchte Sie nicht auf die Folter spannen: Mein Gesamtfazit fällt klar zu Gunsten der Beibehaltung der Militärjustiz aus. Ich möchte Ihnen das in der Folge begründen.

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Zunächst einmal betrifft die grosse Mehrheit der militärgerichtlichen Verfahren Spezialtatbestände, welche das StGB nicht kennt: Insbesondere Militärdienstverweigerung und -dienstversäumnis, Verletzung der Pflicht zur militärischen Unterordnung, Nichtbefolgung von Dienstvorschriften, aber auch Missbrauch und Verschleuderung von Material. Der Strafverfolgungswille von zivilen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten wäre hier wohl nicht besonders ausgeprägt. Ganz generell benötigt man aber für eine sachgerechte Untersuchung und Beurteilung im militärischen Umfeld unbedingt entsprechende Kenntnisse und Erfahrungen. Ein bekannter Strafrechtler hat sich dazu einmal wie folgt geäussert: «Bei der Beurteilung von Strassenverkehrsdelikten müssen sie nicht zwingend Auto fahren können». Dieser praxisfremden Argumentation kann ich in keinster Weise folgen. Ebenso ungerechtfertigt erscheint mir der immer wieder kolportierte Vorwurf der generellen Befangenheit. Militärgerichte urteilen völlig unabhängig und haben das immer wieder bewiesen. Wichtig erscheint mir auch die generell hohe Akzeptanz von militärischen UR durch die Truppe – wobei man manchmal durchaus auch von übertriebenem Respekt sprechen könnte.

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Und meine Damen und Herren, wer könnte bei einer Aufhebung der Militärjustiz die Truppenkommandanten im Militärstrafrecht kompetent beraten? Ausserdem wäre die disziplinarische Erledigung von leichten Fällen, ein jahrzehntelang bewährtes System, in Frage gestellt oder es wäre zumindest erheblich schwieriger zu handhaben.

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Letztlich würde es sich beim Verzicht auf die Militärjustiz auch um einen betriebswirtschaftlichen Unsinn handeln. Eine Verschiebung der Aufgaben zu den zivilen Strafverfolgungsbehörden hätte einen Ressourcenaufbau zur Folge und ist auch aus diesen Gründen nicht opportun.

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Nun besteht aus meiner Sicht durchaus Optimierungspotential und zwar in mehrfacher Hinsicht. Das Grenzwachtkorps als ziviles Sicherheitsorgan des Bundes müsste auch der zivilen Gerichtsbarkeit unterstehen. Generell sollten Zivile immer von zivilen Instanzen beurteilt werden. Es braucht in Zukunft auch ein formelles Weisungsrecht des Oberauditors gegenüber den militärischen Untersuchungsrichtern, um ein einheitliches Vorgehen gewährleisten zu können. Auch ein Angleichen der Militärstrafprozessordnung an die Schweizerische Strafprozessordnung wäre sinnvoll und erforderlich. Das würde die Vereinigung von parallelen Verfahren vereinfachen. Beim zweistufigen Verfahren handelt es sich meines Erachtens tatsächlich um einen alten Zopf.

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Die militärischen UR oder besser neu die militärischen Staatsanwälte müssten ebenfalls von sich aus Verfahren einleiten können. Ich möchte darauf hinweisen, dass nach geltendem Recht ein Truppenkommandant, der keine vorläufige Beweisaufnahme befehlen will, nicht übersteuert werden kann. Hinterfragen kann man sicher auch das Laienrichtertum. Der Kanton Zürich hat es abgeschafft. Die Fünferbesetzung von Militärgerichten selbst bei Bagatellfällen kann als Verschleuderung von Ressourcen bezeichnet werden. Ich plädiere sehr dafür, dass man für militärische UR einen Bezug bzw. die Erfahrung in der Strafjustiz mitbringen sollte. Schliesslich wäre es auch aus Sicht von militärischen Untersuchungsrichtern wichtig, die Ermittlungskompetenz der Militärpolizei in fachlicher Hinsicht zu verbessern. Das alte System mit den erfahrenen zivilen Polizisten in den ehemaligen MP Det hatte diesbezüglich durchaus seine Vorteile.


Beat Oppliger, lic. iur., Leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich