Wolfgang Wiegand promovierte 1972 an der Universität München. Seine Habilitation erfolgte 1976 mit der venia docendi für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Zivilrecht und Zivilprozessrecht. Bereits 1977 wurde er Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern, an der er bis zu seiner Emeritierung im September 2005 wirkte. Während mehr als einem Vierteljahrhundert prägte Wolfgang Wiegand das Zivilistische Seminar und das Departement für Privatrecht, dem er zuletzt als Direktor vorstand, in hohem Masse mit. Seit 1993 leitete er zudem das von ihm gegründete Institut für Bankrecht, das in Fachkreisen rasch einen hervorragenden Ruf genoss, nicht zuletzt dank der jährlich durchgeführten Berner Bankrechtstage, die stets «ausgebucht» und immer erfolgreich waren. Auch in der Fakultät, der er unter anderem als Dekan diente, kam ihm kraft seiner Persönlichkeit und seiner hohen fachlichen Autorität eine gewichtige Stellung zu.
Das wissenschaftliche Betätigungsfeld von Wolfgang Wiegand war ausserordentlich breit. Er befasste sich schwergewichtig mit Obligationenrecht, Sachenrecht, Arztrecht und Bankrecht, daneben aber auch etwa – vor allem in jüngeren Jahren – mit rechtsgeschichtlichen Fragestellungen und später mit der Amerikanisierung des europäischen Rechts. In seinen Publikationen richtete sich sein Fokus nicht bloss auf das schweizerische Recht, sondern stets auch auf das deutsche, europäische und amerikanische Recht, dem er unter anderem wegen seines Aufenthalts als Visiting Scholar in Berkeley zu Beginn der neunziger Jahre stark verbunden war. Aus seinen weitgefächerten Forschungsfeldern können hier nur ein paar Aspekte aufgezeigt werden. Von grosser Bedeutung waren etwa seine sachenrechtlichen Kommentierungen im «Staudinger», dem Grosskommentar zum BGB, und im Basler Kommentar ZGB II sowie seine Kommentierung des Leistungsstörungsrechts im Basler Kommentar OR I (je über mehrere Auflagen hinweg). Von Praktikerinnen und Praktikern sehr geschätzt wurden seine jährlichen fundierten und kritischen Besprechungen der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Obligationenrecht in den ZBJV von 1994 bis 2008. Beeindruckend ist sodann die Fülle seiner wissenschaftlichen Publikationen im Arztrecht und vor allem im Bankrecht, in denen er sich zunächst schwergewichtig – jedoch nicht nur – dem Kreditsicherungsrecht sowie den Sorgfalts-, Informations- und Aufklärungspflichten widmete, später dann aber auch weiterer «modernerer» Fragestellungen wie z.B. der Geschäftsverbindung im E-Banking oder der Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Vertragsbeziehungen zwischen Banken und Kunden. Und last but not least: Wolfgang Wiegand war auch Zivilprozessualist. Christoph Hurni hat diesen Aspekt seiner Gelehrtentätigkeit in einem Jusletterbeitrag zu seinem 80. Geburtstag eindrücklich geschildert und gewürdigt.1
Bei diesen vielen wissenschaftlichen Qualifikationen wundert es nicht, dass Wolfgang Wiegand ehrenvolle Gastprofessuren in Göttingen, Genf, Basel und Luzern angeboten wurden. Ebenso war er in zahlreichen internationalen Schiedsgerichtsverfahren als Schiedsrichter sehr gefragt.
Wolfgang Wiegand war nicht nur Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, sondern betätigte sich auch als Redaktor bzw. Herausgeber von Fachorganen. So war er z.B. von 1977 bis 2002/2004 Redaktor von Band III des «Staudingers», Herausgeber der Tagungsbände der Berner Bankrechtstage, Mitherausgeber des «Schweizerischen Privatrechts» sowie Mitherausgeber des Basler Kommentars OR I, und zwar vom allerersten Band dieser Kommentarreihe an (ich erinnere mich noch gut an die «Initialsitzung» in Zürich an seinem 50. Geburtstag, an der ich als Habilitand und Autor einer Kommentierung teilnehmen durfte). 1983 gründete er mit recht eine für die Schweiz neuartige Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis (heute: Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis). Bei der Online-Fachpublikation Jusletter war er von Beginn weg wissenschaftlicher Herausgeber; deren erste Ausgabe erschien am 8. Mai 2000 an seinem 60. Geburtstag. Darüber hinaus war er Mitherausgeber verschiedener Sammelbände und Festschriften.
Wie sehr Wolfgang Wiegand in Fachkreisen als Wissenschaftler geschätzt wurde, zeigt sich nicht zuletzt in der ihm zum 65. Geburtstag (2005) gewidmeten Festschrift «Norm und Wirkung», zu der zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz namhafte Beiträge geliefert haben. Ein Blick in diese umfangreiche Festschrift lohnt sich, spiegeln doch die dort publizierten Aufsätze das breite Betätigungsfeld von Wolfgang Wiegand eindrücklich wider.
Geschätzt wurde Wolfgang Wiegand aber nicht nur von seinen Kolleginnen und Kollegen, sondern auch vom Mittelbau am Zivilistischen Seminar. Augenfälligstes Beispiel dafür sind die exquisiten, um nicht zu sagen «sternewürdigen» Abendessen, die die Assistierenden ihm und seinen Gästen für die Feier zu seinem 60. Geburtstag im Haus der Universität sowie für die Feier zu seinem 65. Geburtstag (verbunden mit der Übergabe der Festschrift) im Zunfthaus zum Distelzwang in der Berner Altstadt zubereitet und serviert haben. Auch im Geleitwort des Redaktorenteams in der Festschrift zum 65. Geburtstag kommt diese Wertschätzung aufs Schönste zum Ausdruck.
Wolfgang Wiegand war nicht nur ein herausragender Wissenschaftler, sondern auch ein brillanter Vortragender und begnadeter Lehrer. Meine Frau und ich denken gerne an die «Vorsingrunde» zurück, als es 1977 um die Besetzung des Lehrstuhls ging, an der wir als Zuhörerin bzw. Zuhörer teilnahmen. Er hat uns als junger Privatdozent mit seinem frischen und lebendigen Auftreten sofort begeistert. Für uns «Kleine» war klar: Er und kein anderer! Schön, dass es die Fakultät gleich gesehen hat! Legendär waren später seine Auftritte bei den Bankrechtstagen. Wenn er vor einem Auditorium voller «Geldmenschen» in einem Referat z.B. zunächst über ärztliche Aufklärungspflichten zu sprechen begann, mochte sich manche und mancher gefragt haben: Was soll das an einem Bankrechtstag? Dann aber schlug er unvermittelt den Bogen zu den Risikoaufklärungspflichten der Bankerinnen und Banker und zog so die Anwesenden in seinen Bann. Es war eine seiner ganz besonderen Stärken, die sich hier manifestierte: Die speziellen Pflichten einer Berufssparte einzubinden in einen übergeordneten Zusammenhang und sie so unmittelbar verständlich zu machen. Es liegt auf der Hand, dass ihm diese Fähigkeit auch im akademischen Unterricht zustatten kam. Seine Vorlesungen vor allem im Obligationenrecht, aber auch sonst, waren bei den Studierenden sehr beliebt, weil er es dank seiner Rednergabe und seinem breiten Fachwissen verstand, Rechtsprobleme nicht nur zu analysieren, sondern sie immer auch in einen Gesamtkontext einzubinden. Er hat die Studierenden stets dafür sensibilisiert, dass Jurisprudenz eine Wertungswissenschaft ist, bei der es darum geht, verschiedene Interessen gegeneinander abzuwägen, dass diese Abwägung aber mit guten Argumenten untermauert zu erfolgen hat. Unvergessen bleiben kernige Aussagen, etwa wenn er (mit leiser Ironie) meinte: «Der Blick ins Gesetz hilft ungemein.» Meine Frau hat sein Wirken als akademischer Lehrer in der zu seinem 60. Geburtstag erschienenen Sondernummer der Zeitschrift recht anschaulich dargelegt.2 Ich selbst habe zwar bei ihm keine Vorlesungen mehr gehört, aber in meiner Funktion als Habilitand am Zivilistischen Seminar viel von diesen Fähigkeiten profitiert.
Und damit komme ich zu meiner persönlichen Beziehung zu Wolfgang Wiegand. Ihm war die Nachwuchsförderung stets ein grosses Anliegen. So hat er nicht nur eine grosse Zahl von Dissertationen betreut, sondern auch immer wieder junge Leute zum Habilitieren ermuntert und Habilitationsvorhaben nach Kräften gefördert, etwa indem er für Forschungsgelder sorgte oder jemandem eine Anstellung am Zivilistischen Seminar ermöglichte. Einer davon war ich. Er hat mich, den ewigen Zauderer und Zögerer, mehrfach aufgefordert, eine Habilitation in Angriff zu nehmen. Schliesslich gab er beim Schweizerischen Nationalfonds ein Forschungsprojekt ein, das es mir gestattete, zusammen mit meiner Frau unseren Lebensunterhalt während der Arbeit an der Habilitationsschrift zu bestreiten und eine Familie zu gründen. Am Ende hat er dann in der Fakultät für eine zügige Durchführung des Habilitationsverfahrens gesorgt, was es mir erlaubte, die Geburt unserer Tochter anfangs 1993 unbeschwert mitzuerleben. Das war Nachwuchsförderung vom Feinsten!
Auch im späteren Verlauf meiner akademischen Karriere stand er mir stets wohlwollend zur Seite. Nachdem ich selbst Mitglied der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Bern geworden war, entwickelte sich unsere Beziehung zu einer richtigen Freundschaft. Wer das Innenleben von Fakultäten kennt, weiss, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Mit Wolfgang Wiegand verliert das Privatrecht einen hervorragenden Wissenschaftler, das Zivilistische Seminar und die Fakultät einen wunderbaren Kollegen, den wir nicht vergessen werden, und ich selbst einen Freund und Förderer, dem ich viel verdanke.
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Thomas Koller, vormals Ordinarius am Zivilistischen Seminar der Universität Bern.
- 1 Christoph Hurni, Wolfgang Wiegand als Zivilprozessualist, in: Jusletter vom 11. Mai 2020.
- 2 Marlis Koller-Tumler, Vorwort und Glückwunsch, recht 2000 S. 85 f.