Liebe Leserinnen und Leser
 
Am 11. März 2014 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Angehörigen eines Asbestopfers Recht gegeben und festgestellt, dass die momentan von Schweizer Gerichten angewendeten Verjährungsfristen im konkreten Fall gegen Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) verstossen. Dieser Entscheid könnte – wenn er in Rechtskraft erwächst – die geplante Revision der Verjährungs- und Verwirkungsfristen im Schadensrecht in der Schweiz massiv beeinflussen. Für Prof. Dr. Frédéric Krauskopf ist dieses Urteil wenig überraschend; das Ergebnis war im Gegenteil geradezu angekündigt. Bereits in früheren Fällen hat der EGMR Verwirkungs- und Verjährungsfristen darauf untersucht, ob sie das Recht auf Zugang zum Gericht auf eine Art. 6 EMRK verletzende Weise einschränken. Auch Prof. Dr. Christoph Müller analysiert und kommentiert das Urteil. Er zieht Vergleiche zu Rechtsnormen anderer Länder und legt die Entscheidung dahingehend aus, dass die in der Schweiz vorgesehene Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist von zehn auf dreissig Jahre dem Entscheid des EGMR genügen könnte. In jedem Fall muss – darüber sind sich beide Autoren einig – die Rechtsprechungspraxis des Bundesgerichts im Falle von Asbestopfern überdacht werden.
 
Die grosse Finanzkrise lässt den Ruf nach Sanktionen laut werden. Die Politik versucht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und ihre Nachfolger in die Pflicht zu nehmen. Daniel Zuberbühler widmet sich – in einer schriflichen Fassung seines anlässlich der Schweizerischen Bankrechtstagung 2014 gehaltenen Referates – den personellen Sanktionen gegen leitende Bankorgane und monetären Sanktionen gegen Banken als  Unternehmungen. Er fordert dabei zur Zurückhaltung im Urteil über das Verhalten der primär verantwortlichen Akteure der Finanzbranche und zugleich zu bescheidenen Erwartungen hinsichtlich des Nutzens von aufsichts- oder strafrechtlicher Sanktionen zur Vermeidung zukünftiger Finanzkrisen auf. Als Alternative plädiert er für präventive prudentielle Massnahmen bei Grossbanken: massiv höheres hartes Eigenkapital, Kapitalzuschläge für Verluste oder schwere Regelverstösse anstelle von Bussen sowie die organisatorische Vereinfachung komplexer Bankkonzerne.
 
Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) ist ein internationales Gremium, mit dem Ziel, Strategien zur Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung zu erarbeiten und zu fördern. Prof. Dr. Xavier Oberson betrachtet insbesondere den Ansatz des Bundesrates, bei der Umsetzung der Empfehlungen der FATF bei Auslandsvortaten die Voraussetzungen der doppelten Strafbarkeit nicht zu streng auszulegen, kritisch.
 
Philipp Haberbeck macht sich Gedanken zur Schliessung der Lücke in der Schweizer Zivilprozessordnung die effektive Durchsetzung von Massen- und Streuschäden betreffend und stellt ein Massnahmenpaket vor.
 
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und einen guten Start in die neue Woche.
 
   
Simone Kaiser Sandrine Lachat
Verlagsleiterin Editions Weblaw Leiterin Jusletter Suisse Romande
Urteilsbesprechungen
Frédéric Krauskopf
Frédéric Krauskopf
Abstract

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 11. März 2014 in einem Urteil über zwei Individualbeschwerden festgestellt, dass die Verjährungs- und Verwirkungsfristen des Schadensrechts, so wie sie vom Bundesgericht angewendet werden, gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossen. Mit diesem Urteil macht der EGMR einen weiteren Schritt in seiner 2013 eingeläuteten Rechtsprechung zum Verhältnis von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zum nationalen Verjährungs- und Verwirkungsrecht und entfacht zugleich die alte Diskussion um die Grenzen seiner Kompetenzen. Für die Schweiz hat das Urteil weitreichende Konsequenzen. Sollte es endgültig werden, drängt sich eine Rechtsprechungsänderung auf.

Christoph Müller
Christoph Müller
Abstract

Am 11. März 2014 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Schweizer Verwirkungs- und Verjährungsfristen unter den ausserordentlichen Umständen des zu beurteilenden Falles der Angehörigen eines Asbestopfers das Recht auf Zugang zu einem Gericht (Art. 6 § 1 EMRK) verletzen. Der Beitrag erörtert diesen wichtigen Entscheid und versucht, mögliche Konsequenzen für Gerichte und Gesetzgeber in der Schweiz aufzuzeigen.

Beiträge
Daniel Zuberbühler
Daniel Zuberbühler
Abstract

Nach der Mega-Finanzkrise versucht die Politik, «Versager» unter den leitenden Bankorganen zur Rechenschaft zu ziehen und ihre Nachfolger in die Pflicht zu nehmen. Weil dies in komplexen Konzernen schwerfällt, findet unter Aufsehern und Strafverfolgern ein Bussen-Wettrüsten gegen Grossbanken statt, welches die individuelle Verantwortlichkeit untergräbt, Aktionäre und Steuerzahler bestraft, die Eigenkapitalausstattung schwächt und unverhältnismässig ist. Stattdessen sollen präventive Massnahmen dafür sorgen, dass Banken auch hohe Verluste auffangen können und das Risiko schwerer Fehler durch organisatorische Vereinfachung herabgesetzt wird.

Xavier Oberson
Xavier Oberson
Abstract

Der Gesetzesentwurf des Bundesrates betreffend die Umsetzung der Empfehlungen der Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) beinhaltet unter anderem die Einführung einer Vortat zur Geldwäscherei im Steuerbereich. Dieser neue Straftatbestand basiert auf dem sog. Urkundenmodell, welches den Vorteil mit sich bringt, dass die Norm damit klar definiert ist. Bei Auslandsvortaten ist der Bundesrat jedoch der Meinung, dass die Voraussetzung der doppelten Strafbarkeit nicht zu restriktiv auszulegen sei. Der Beitrag analysiert diesen Auslegungsansatz kritisch.

Philipp Haberbeck
Philipp Haberbeck
Abstract

De lege lata besteht hinsichtlich des effektiven Rechtsschutzes bei Massen- und vor allem bei Streuschäden ein strukturelles Defizit, das auch in einem Bericht des Bundes­rates vom 3. Juli 2013 konstatiert wurde. In dem Beitrag stellt der Autor ein Massnahmenpaket vor, das seines Erachtens die effektive Durchsetzung von aus Massen- und Streuschäden resultierenden Ansprüchen ermöglichen sollte.

Aus dem Bundesgericht
Jurius
Jurius
Abstract

BGer – Ein zu fünf Jahren Gefängnis verurteilter ehemaliger Theater-Pädagoge aus Aigle (VD) muss bis zu seinem Berufungsprozess in Haft bleiben. Das Bundesgericht bestätigte einen entsprechenden Entscheid der Waadtländer Justiz, welche einen Antrag des Mannes auf sofortige Freilassung abgelehnt hatte. (Urteil 1B_51/2014)

Jurius
Jurius
Abstract

BGer – Nachdem sie Opfer eines sexuellen Übergriffes durch einen Patienten der psychiatrischen Klink in Belle-Idée (GE) wurde, beantragte eine junge Frau mit Behinderungen gemeinsam mit ihrer Mutter unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren gegen das Hôpitaux Universitaires de Genève. Das Bundesgericht hob den Einspruch der Genfer Justiz hiergegen auf. (Urteil 1B_32/2014) (sk)

Jurius
Jurius
Abstract

BGer – Die nur Männern zugängliche Studentenverbindung Zofingia behält ihre Anerkennung als universitäre Vereinigung der Universität Lausanne. Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Universität am 20. März 2014 ab. Gemäss dem Urteil muss die verfassungsmässig garantierte Gleichberechtigung von Frau und Mann in den Hintergrund treten. (Urteil 2C_421/2013)

Medienmitteilungen
Jurius
Jurius
Abstract

Die Monetary Authority of Singapore (MAS) teilte am 13. März 2014 mit, dass sie virtuelle Zahlungsmittel in Singapur regulieren wird, um potenzielle Risiken der Geldwäsche («money laundering» [ML]) sowie Finanzierung von Terroristen («terrorist financing» [TF]) zu begegnen.

Jurius
Jurius
Abstract

Bundesrätin Doris Leuthard und ihr französischer Amtskollege Frédéric Cuvillier haben am 19. März 2014 in Paris das bilaterale Abkommen über die Bahnlinie zwischen dem Genfer Bahnhof Eaux-Vives und Annemasse unterzeichnet, welche Teil des Projekts Cornavin-Eaux-Vives-Annemasse (CEVA) ist. Das Abkommen legt die Rollen der Akteure beidseits der Landesgrenze fest, die an der Planung, am Bau, am Betrieb und an der Finanzierung der Linie beteiligt sind. Vor dem Inkrafttreten muss das Abkommen vom Parlament ratifiziert werden.

Aus der Frühjahrssession 2014
Jurius
Jurius
Abstract

Im Folgenden finden Sie eine Übersicht der in der Frühjahrssession 2014 verabschiedeten Schlussabstimmungstexte. Die Vorlagen der Redaktionskommission sind im Format PDF abrufbar.

Jurius
Jurius
Abstract

Die Schweiz kann dem Nagoya-Protokoll, das den Zugang zu genetischen Ressourcen und deren Nutzung international regelt, beitreten. Der Ständerat hat am 20. März 2014 die letzte Differenz in der Vorlage bereinigt und sie damit für die Schlussabstimmung bereitgemacht.

Jurius
Jurius
Abstract

Der Ständerat will Hausangestellte bei der Arbeit besser schützen. Er hat die Ratifizierung eines Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation gutgeheissen. Es soll Hausangestellten grundlegende Rechte und ein Mindestmass an sozialem Schutz garantieren.

Jurius
Jurius
Abstract

Die Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital soll möglichst rasch erfolgen. Anders als der Ständerat will die Mehrheit des Nationalrates nicht auf die Unternehmenssteuerreform III warten. (sk)

Jurius
Jurius
Abstract

Die Strafverfolgungsbehörden sollen Trojaner in Computer einschleusen dürfen, um Skype-Gespräche von Kriminellen mithören zu können. Der Ständerat hat am 19. März 2014, als Erstrat, Gesetzesänderungen gutgeheissen, mit welchen der Bundesrat die Überwachung ans Internet-Zeitalter anpassen will.

Jurius
Jurius
Abstract

Airlines drohen künftig Bussen, wenn sie Passagiere ohne gültige Reisepapiere in die Schweiz fliegen. Der Ständerat hat am 19. März 2014 als Erstrat Gesetzesänderungen gutgeheissen, mit welchen der Bundesrat die Airlines im Kampf gegen illegale Einwanderung stärker in die Pflicht nehmen will.

Jurius
Jurius
Abstract

Begeht eine Person zum ersten Mal eine schwere Straftat und besteht die Gefahr, dass sie ein weiteres gleichartiges Delikt begehen könnte, soll sie in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft genommen werden können. Das will das Parlament.

Jurius
Jurius
Abstract

Das Parlament möchte auch Unternehmen, die in die Kategorie «too big to fail» fallen, strafrechtlich zur Verantwortung ziehen. Der Ständerat hat mit 33 zu 2 Stimmen der Motion, die als Folge des Falles UBS ins Leben gerufen wurde, am 19. März 2014 zugestimmt. (sk)

Jurius
Jurius
Abstract

Steuererleichterungen für Biotreibstoffe werden künftig nach strengeren Kriterien gewährt. Wer beispielsweise Biodiesel herstellt, muss nachweisen, dass der Anbau der Rohstoff-Pflanzen keine negative Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Umwelt hat.

Jurius
Jurius
Abstract

Der Ständerat möchte die Rechte von Kindern stärken, auch wenn dies Fragen aufwirft. Am 17. März 2014 überwies er mit 22 zu 8 Stimmen eine Motion aus dem Nationalrat. Diese verlangt, dass die Schweiz das dritte Fakultativprotokoll zur UNO-Kinderrechtskonvention unterzeichnet.