Jusletter Coronavirus-Blog

[Gesundheitsrecht] Abegg-Vaterlaus/Knecht - Contact Tracing App. Kann eine mögliche Nutzungspflicht Freiheiten schaffen?

Ergänzende Kritik zur Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission Nr. 33/2020 betreffend Digital Contact Tracing als Instrument der Pandemiebekämpfung
 

Die aktuelle Sars-Cov-2-Pandemie bringt mit dem möglichen Einsatz von Contact Tracing Apps ein emotional diskutiertes Thema auf die Tagesordnung. Dieser Beitrag soll eine sachliche Beurteilung einer möglichen Nutzungspflicht von Contact Tracing Apps ermöglichen, indem die hierfür wesentlichen Aspekte aus rechtlicher Perspektive beleuchtet und Handlungsoptionen aufgezeigt werden. Da die definitive Ausgestaltung von Contact Tracing Apps in der Schweiz noch unklar ist, wird in diesem Beitrag auf die wesentlichen technischen Elemente abgestellt, die ein Digital Contact Tracing erst ermöglichen.1

 

Zitiervorschlag: Lukas Abegg / Raffael Knecht, Contact Tracing App. Kann eine mögliche Nutzungspflicht Freiheiten schaffen?, in: Jusletter Coronavirus-Blog vom 24. April 2020

Dieser Blog-Post ist auch als PDF verfügbar.

 

Einleitung

Die Nationale Ethikkommission (NEK) hat im Auftrag des Eidgenössischen Departements des Inneren (EDI) am 6. April 2020 eine Stellungnahme zu rechtlichen und ethischen Fragen bezüglich des Digital Contact Tracing als Instrument der Pandemiebekämpfung veröffentlicht. Soweit ersichtlich ist dies der erste wissenschaftliche Beitrag in der Schweiz zur Frage der Zulässigkeit von Contact Tracing Apps. Zur Zulässigkeit von digitalem Contact Tracing durch Private gab es vereinzelt schon Stimmen in der Tagespresse, diese Thematik soll vorliegend indes ausgeklammert bleiben.2

Die Stellungnahme der NEK mündet in neun Kernforderungen, davon sind die Kernforderungen 2 bis 9 sehr umsichtig und sinnvoll und sollten in der Debatte um digitales Contact Tracing unbedingt berücksichtigt werden.

Kernforderung 1 ist allerding nach Ansicht der Autoren nicht haltbar und bedarf daher einer kritischen Beleuchtung. Sie postuliert, dass der Einsatz einer Contact Tracing App nur auf freiwilliger Basis möglich sei. Diese Forderung der NEK steht im Gegensatz zu den Bestimmungen des Epidemiegesetzes (EpG)3, welches in der Volksabstimmung vom September 2013 mit einem Ja-Stimmenanteil von 60 % angenommen wurde, und darf daher nicht unwidersprochen bleiben.

Da naturgemäss in Debatten über noch unbekannte Anliegen wie die vorliegende Contact Tracing App die erste Publikation am meisten Beachtung erfährt und den Kurs der Debatte massgeblich vorzeichnet, sehen es die Autoren als notwendig an, die genannte Kernforderung 1 einer umfassenden Beurteilung zu unterziehen. Damit soll beigetragen werden, dass wesentliche Elemente der Rechtmässigkeit von solchen Apps nicht von Anfang an aus dem Diskurs gedrängt werden. In der vorliegenden prekären Situation müssen möglichst viele Ansätze zur Bekämpfung der Pandemie in der zur Verfügung stehenden Zeit zumindest evaluiert werden können. Es darf nicht sein, dass unter Umständen erfolgsversprechende Wege aufgrund der Meinung weniger Experten bereits in einem frühen Stadium nicht mehr verfolgt werden.

In dem Sinne bietet der vorliegende Beitrag eine Anregung, die pauschale Ablehnung einer Nutzungspflicht einer Contact Tracing App zu überdenken und möchte die Diskussion darüber neu entfachen. Selbstredend kann vorliegend nicht abschliessend über die Zulässigkeit einer App-Pflicht geurteilt werden. Idealerweise sind die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die technische Ausgestaltung einer Contact Tracing App durch ein interdisziplinäres Team in einem iterativen Prozess zu erarbeiten.

Auch aufgrund der gebotenen Kürze der Analyse soll an dieser Stelle nicht auf die konkrete Umsetzung und Einführung einer App und deren allfälligen Nutzungspflicht eingegangen werden.

Digital Contact Tracing kurz erklärt

Zur Bekämpfung der Sars-Cov-2-Pandemie erliess der Bundesrat mehrere Verordnungen basierend auf dem EpG und der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft4. Diese Verordnungen sehen umfassende und einschneidende Massnahmen gegenüber der Bevölkerung zur Eindämmung der Pandemie vor. Im Zuge der öffentlichen Debatte, wie diese Massnahmen gelockert werden können unter gleichzeitiger Kontrolle der Ausbreitung des Sars-Cov-2 Virus’, wurde verschiedentlich die Möglichkeit erörtert, eine technische Lösung für das sog. Contact Tracing5 einzusetzen.

Die meisten der in Europa öffentlich diskutierten Lösungen bestehen in einer Smartphone App, welche über die Bluetooth Technologie die Nähe und Verweildauer zu anderen Smartphones mit entsprechender App registriert. Erhoben werden dabei nicht Personen- oder Geodaten sondern anonyme Nummern, welche den einzelnen Apps zugeschrieben sind. Wird eine Person positiv auf eine Sars-Cov-2 Infektion getestet, kann dessen App alle anderen Apps, mit welchen sie in virologisch relevanter Nähe und Verweildauer im Austausch stand, über eine mögliche Infektion informieren. Eine so benachrichtigte Person ist gehalten, sich zum Schutz weiterer Personen für eine gewisse Zeit in Quarantäne zu begeben und sich nötigenfalls auch auf eine Infizierung testen zu lassen.6

Weiter könnten die mittels Digital Contact Tracing gewonnen nicht-personenbezogenen Daten über Infektionsketten seitens der zuständigen Behörden7 zur Beurteilung der allgemeinen Lage sowie zum besseren Verständnis des Virus verwendet werden. Gestützt darauf können behördliche Massnahmen umsichtiger geplant und gezielter angeordnet werden. Mithin könnten dadurch schwerere Massnahmen durch mildere ersetzt werden. Erforderlich hierfür ist, dass die zuständige Behörde über die einschlägigen Daten verfügt.

Das hier beleuchtete Spektrum von Digital Contact Tracing bildet im Wesentlichen die digitale Variante dessen ab, was die kantonalen Behörden im Rahmen der Pandemie in analoger Weise über Befragung von infizierten Personen bereits durchführten.

Relevanz von Digital Contact Tracing als Instrument der Pandemiebekämpfung

In gewissen ostasiatischen Staaten hat sich der Einsatz digitaler Contact Tracing Lösungen als zentrale Säule8 der Pandemiebekämpfung erwiesen.9 Unter Zuhilfenahme von Smartphone basierten Technologien10, welche die Rückverfolgung von Infektionsketten erleichtern, hat es namentlich Südkorea als demokratisch organisierter Staat geschafft, die Sars-Cov-2-Pandemie ohne weitreichendes Ausgangsverbot und ohne extreme Einschränkungen der unternehmerischen Freiheiten nachhaltig einzudämmen. Um dies zu ermöglichen, nahmen Bürgerinnen und Bürger einen gezielten sowie zeitlich begrenzten Eingriff in ihre Privatsphäre in Kauf.11

Die epidemiologische Signifikanz des Einsatzes von Digital Contact Tracing hängt unmittelbar mit dem Verbreitungsgrad derartiger Lösungen in der Bevölkerung zusammen. Erforderlich ist eine möglichst breite Nutzung von Contact Tracing Apps auf den Smartphones der Bürgerinnen und Bürger. In Singapur, wo Digital Contact Tracing lediglich freiwillig zur Verfügung stand und nur von ca. einem Sechstel der Bevölkerung genutzt wurde, war die App nicht effektiv genug; es mussten drastischere Massnahmen wie die Schliessung von Restaurants und Geschäften angeordnet werden.12

Weiter hängt die Wirksamkeit von Digital Contact Tracing von der Qualität der erhobenen Daten ab. Benötigt werden rasche und zuverlässige Angaben zum Infektionsstatus einer Person, um einschlägige Infektionsketten zeitnah identifizieren und ein erneutes Aufflackern der Pandemie im Keim ersticken zu können. Hierbei erweisen sich (teil)automatisierte Lösungen nicht nur als erheblich effizienter, sondern auch als qualitativ besser als erinnerungsbasierte Erhebungsmethoden wie namentlich das klassische Contact Tracing.

Aus Vorstehendem folgt, dass Digital Contact Tracing ein relevantes Instrument der Pandemiebekämpfung sein kann, sofern hierfür taugliche Rahmenbedingungen vorliegen.

Kritik an der Stellungnahme der NEK

Rechtliche und ethische Fragestellung

Der Einsatz von Contact Tracing Apps wirft sowohl rechtliche als auch ethische Fragen auf. Einige davon wurden in der Tagespresse bereits ansatzweise diskutiert. Das EDI beauftragte die NEK, diese rechtlichen und ethischen Fragen eingehender zu beantworten, was in der Stellungnahme 33/2020 resultierte.13 Obwohl es sehr begrüssenswert ist, dass sich ein Fachgremium diesen Fragen annimmt und die Stellungnahme von hoher Qualität ist, müssen zwei Punkte angesprochen werden: (i) Die als Fazit aufgestellten Kernforderungen geben nur die ethische Sicht wieder und ignorieren die rechtliche Einschätzung, obwohl diese in der Stellungnahme ausführlich dargelegt wurde und teilweise auch eine der Kernforderungen widersprechende Schlussfolgerung zulässt. (ii) So wird die Freiwilligkeit der Nutzung einer Contact Tracing App als zwingend vorgeschrieben, obwohl aus rechtlicher Sicht ein Obligatorium klar möglich, wenn - zumidest situativ - nicht sogar angezeigt, wäre.

Für ein besseres Verständnis der Kritikpunkte an der Kernforderungen 1 wird diese im Wortlaut wiedergegeben. Da sich die vorliegende Kritik einzig auf eine Forderung bezieht und insbesondere die Kernforderungen 2 bis 9 als sehr sinnvoll und umsichtig anzusehen sind, wird dringend empfohlen, das vollständige Fazit bzw. die vollständige Stellungnahme zu lesen.14

Wortlaut der Kernforderungen 1 der Stellungnahme NEK Nr. 33/2020

Weil Contact Tracing wichtige Rechtsgüter und Interessen des Individuums tangiert und die Gefahr besteht, dass eine staatliche Teilnahmepflicht die Solidarität und Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung bei der Pandemiebekämpfung beeinträchtigen würde, muss es auf Freiwilligkeit beruhen. Der Nutzung einer Tracing-App müssen die Individuen umfassend informiert und ohne äusseren Druck zustimmen können.

 

Kernforderungen 1 stützt sich nicht auf die Diskussion in der Stellungnahme

Die NEK ist eine interdisziplinäre Kommission. In der Kommission vertreten sind die juristischen, geistes- und sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen.15 Damit eine interdisziplinäre Zusammensetzung überhaupt einen Sinn ergibt, müssen die Ansichten der einzelnen Disziplinen bei einer Stellungnahme und konsequenterweise auch bei den daraus resultierenden Forderungen auch tatsächlich berücksichtigt werden. Sofern eine fachliche Ansicht zugunsten einer Einschätzung aus einem anderen Fachbereich zurückgestellt wird, muss dies offengelegt und entsprechend begründet werden. Diesen nach Ansicht der Autoren fundamentalen Grundsatz der interdisziplinären Zusammenarbeit missachtet die Kernforderungen 1. Es wird ausschliesslich auf die ethische Ansicht abgestützt, ohne darzulegen, weshalb die rechtlich anderslautende Ansicht keine Erwähnung findet. Das ist methodisch nicht korrekt und wissenschaftlich fragwürdig.

Im Folgenden wird detaillierter erläutert, inwiefern die Kernforderung 1 nicht dem gesetzgeberischen Willen entspricht.

Warum bei einer Contact Tracing App eine Nutzungspflicht diskutiert werden muss

Gesetzliche Grundlage für Obligatorium ist vorhanden

Die Kernforderung 1 postuliert die Freiwilligkeit einer Contact Tracing App. Begründet wird dies ausschliesslich mit ethischen Überlegungen (siehe nachfolgend)16. Allerdings sieht das EpG gerade vor, dass für Contact Tracing auch behördlich zwingend zu befolgende Massnahmen eingesetzt werden dürfen. Namentlich enthält das EpG folgende Rechtsgrundlage für Contact Tracing:

Art. 33 Identifizierung und Benachrichtigung

Eine Person, die krank, krankheitsverdächtig, angesteckt oder ansteckungsverdächtig ist oder Krankheitserreger ausscheidet, kann identifiziert und benachrichtigt werden.

 

Art. 58 EpG erlaubt es weiter, die relevanten Personendaten zu erheben, welche im Rahmen eines Digital Contact Tracings je nach technischer Ausgestaltung - wenn überhaupt nötig - verwendet werden müssten. Weiter verpflichtet Art. 60 EpG den Bund, ein Informationssystem zu führen, welches relevante Daten über Kranke, Krankheitsverdächtige, Angesteckte oder Ansteckungsverdächtige enthält. Dieses Informationssystem soll dem Zweck dienen, Kranke, Krankheitsverdächte, Angesteckte oder Ansteckungsverdächtige zu identifizieren. In Art. 92 Epidemienverordnung17 wird dieser Zweck wörtlich erwähnt, indem statuiert wird, dass Daten über Personen, mit denen eine infizierte Person Kontakt hatte, im Informationssystem erfasst werden. Der Gesetzeswortlaut beschreibt also ziemlich genau die Funktion einer Contact Tracing App. Auch die Erläuterungen in der Botschaft zu Art. 33 EpG, welche das Contact Tracing detaillierter beschreiben, stehen im Einklang mit dem Einsatz einer App. Auch wenn damals wohl noch nicht konkret an die Nutzung einer App gedacht wurde, so ist den Erläuterungen doch klar zu entnehmen, dass dem rechtzeitigen Austausch von Daten zur Koordination personenbezogener Massnahmen im Rahmen des Kontaktmanagements eine zentrale Bedeutung zukommt. Eine schnelle Reaktionszeit und das Auffinden möglichst aller Beteiligten seien von grösster Bedeutung.

Im Rahmen der ausserordentliche Lage könnte der Bund eine behördliche Anordnung, eine Contact Tracing App zu nutze18, als zwingend einzuhaltende Massnahme gegenüber der gesamten Bevölkerung gestützt auf Art. 7 EpG erlassen, wie das mit der aktuellen Covid-19-Verordnung 2 gerade geschieht. Diese Bestimmung wiederholt auf Gesetzesstufe die verfassungsmässige Kompetenz des Bundesrates gemäss Art. 185 Absatz 3 BV, in ausserordentlichen Situationen ohne Grundlage in einem Bundesgesetz Polizeinotverordnungsrecht zu erlassen.

Soweit basierend auf Art. 7 EpG keine explizite bundesrechtliche Regulierung bezüglich Digital Contact Tracing erfolgt, wäre Art. 40 EpG als Massnahme gegenüber der Bevölkerung bzw. bestimmten Personengruppen massgeblich. Nach dieser Bestimmung ordnen die zuständigen kantonalen Behörden Massnahmen an, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern (Art. 40 Abs. 1 EpG). Die Aufzählung möglicher Massnahmen aus Art. 40 Abs. 2 EpG ist nicht abschliessend.

In zeitlicher Hinsicht verlangt Art. 40 Abs. 3 EpG, dass die Massnahmen nur so lange angeordnet werden dürfen, wie es notwendig ist, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit, wie COVID-19, zu verhindern. Die zuständigen kantonalen Behörden werden weiter verpflichtet, die Massnahmen regelmässig auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen.

Damit sind sowohl sämtliche gesetzlichen Grundlagen für die Einführung von Digital Contact Tracing als auch eine behördlich angeordnete Pflicht oder teilweise Pflicht zur Teilnahme an einem Digital Contact Tracing vorhanden. Diese gesetzlichen Grundlagen werden denn auch in der Diskussion in der Stellungnahme NEK unter Kapitel 4 erläutert.19

Zwischenzeitlich haben sich auch weitere Experten dahingehend geäussert, dass entsprechende gesetzliche Grundlagen klar vorhanden sind. So argumentiert Rosenthal ebenfalls, dass Art. 58 i.V.m. Art. 33 EpG eine genügende gesetzliche Grundlage für Digital Contract Tracing biete, soweit, abgestellt auf die technische Ausgestaltung, aus datenschutzrechtlicher Sicht überhaupt eine solche erforderlich sei, und sich dies grundsätzlich auch mit Art. 40 EpG als Pflicht oder Teilpflicht anordnen liesse, wenn damit schwerwiegendere Massnahmen ersetzt werden könnten.20 Auch Prof. Uhlmann sieht sowohl die gesetzlichen Grundlagen für eine App als auch deren teilpflichtigen Einsatz als rechtmässig an, bspw. wenn diese Pflicht als Auflage zur Aufhebung der Schliessung von Geschäften wie etwa Fitnessstudios ausgestaltet ist.21

In der Kernforderung 1 findet das Vorhandensein von gesetzlichen Grundlagen, wie sie die in der Diskussion in der Stellungnahme erläutert werden, indes keinerlei Erwähnung. Dieses Unterlassen ist aus drei Gründen problematisch.

Das EpG wurde in einer Volksabstimmung angenommen

Erstens wurde das EpG aufgrund eines Referendums in der Volksabstimmung vom 22. September 2013 von Volk und Ständen mit 60% Zustimmung angenommen,22 wobei die neuen Datenschutzbestimmungen und die zwangsweise Durchsetzung von behördlichen Massnahmen aktiv und umfassend diskutiert wurde.23 Das EpG hat daher die in der Schweiz grösstmögliche demokratische Legitimation.

Notwendigkeit der Freiwilligkeit ist rein spekulativ

Zweitens werden als Begründung für eine Freiwilligkeit in lediglich drei Absätzen höchst spekulative Argumente angeführt.24 Es wird behauptet, dass ein Zwang das Vertrauen in die anordnenden Stellen untergraben und zur Abnahme gesellschaftlicher Solidarität beitragen könnte. Eine Erläuterung oder Erklärung zu dieser Behauptung wird nicht angeführt. Führt man sich indes vor Augen, wie diszipliniert die Schweizer Bevölkerung die viel schwerwiegenderen Massnahmen der derzeit geltenden Covid-19-Verordnung 2 mitträgt und wird weiter berücksichtig, dass eine App-Pflicht massgeblich dazu beitragen könnte, dass viele dieser schwerwiegenden Massnahmen anhaltend gelockert werden könnten, ist die obgenannte Behauptung nicht nachvollziehbar. Keinesfalls rechtfertigen blosse Annahmen zur Befindlichkeit der Bevölkerung die Nichtbeachtung eines bereits von Volk und Ständen verabschiedeten Gesetzes, besonders da dieses jüngeren Datums ist und sich dieses explizit zu Fragen der Datenbearbeitung äussert.25

Wenngleich im Jahre 2013 die technische Ausgestaltung von Contact Tracing aufgrund der sich seither rasch entwickelten Technologie eine andere war als die vorliegend skizzierte, hat der Souverän anlässlich der Volksabstimmung zum EpG in Abwägung zwischen dem Datenschutz und dem Schutz der Menschen vor übertragbaren Krankheiten bereits einschlägige Leitplanken vorgezeichnet,26 die nicht ohne Weiteres unbeachtet bleiben dürfen.

Bei der in Frage stehenden Güterabwägung ist nämlich - unabhängig vom Automatisierungsgrad27 der jeweiligen Contact Tracing Lösung - die Nutzung des positiven Netzwerkeffekts28 von Digital Contact Tracing ausschlaggebend:

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben sich mit Annahme des EpG bereit erklärt, im Infektionsfall Daten zur eigenen Identität, die eine eindeutige Identifizierung und die Kontaktaufnahme ermöglichen sowie Angaben über Reisewege, Aufenthaltsorte und Kontakte mit Personen29 in ein Informationssystem des BAG aufnehmen zu lassen, damit die Identifizierung und Benachrichtigung von Personen, die angesteckt oder ansteckungsverdächtig sind, möglich ist.30 Die damit bezweckte Eindämmung einer Epidemie und somit auch der konkrete Nutzen für eine Person lassen sich dabei nur realisieren, wenn möglichst viele an diesem System partizipieren. Gleichermassen stiftet eine Contact Tracing App nur dann einen Nutzen für eine Person, wenn auch andere Personen die Contact Tracing App verwenden.

Dank der heute zur Verfügung stehenden Technologien erscheint es dabei möglich, mittels Digital Contact Tracing sogar eine datenschutzfreundlichere Lösung einsetzen zu können31 als jene, die der Souverän bei Annahme des EpG für das Contact Tracing vor Augen hatte. So ausgestaltet könnte der Einsatz von Technologie sogar dazu beitragen, ein höheres Datenschutzniveau zu erreichen.

Verhältnismässigkeit wurde verfrüht vorweggenommen

Drittens verzerrt diese unvollständige Kernforderung 1 die Entscheidgrundlagen für eine Verhältnismässigkeitsprüfung, sollte eine App-Pflicht behördlich angeordnet werden.

Die situative Einführung einer App-Pflicht unterläge selbstredend einer umfassenden Prüfung der Verhältnismässigkeit. Eine solche muss für die Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter die konkrete Ausgestaltung der einzusetzenden App sowie alle weiteren Implementierungs- sowie Begleitmassnahmen wie bspw. deren Strenge, Dauer, Intensität oder Umfang berücksichtigen. Es ist daher umso wichtiger, dass alle rechtlichen, sachlichen sowie sozial-politischen Möglichkeiten ergebnisoffen erläutert werden, um dann in einem zweiten Schritt die konkrete Verhältnismässigkeitsprüfung durchführen zu können. Da die Entscheidgrundlagen für die Verhältnismässigkeitsprüfung derzeit erst geschaffen werden, stellt es eine unzulässig verfrühte Vorwegnahme dar, dass in der Kernforderung 1 die Freiwilligkeit als Resultat einer Verhältnismässigkeitsprüfung präsentiert wird.

Dass die Bestimmungen des EpG bei der Kernforderung 1 der NEK keinerlei Beachtung finden, ist damit sowohl methodisch als auch wissenschaftlich nicht haltbar. Entsprechend muss der Kernforderung 1 in aller Deutlichkeit widersprochen werden. Die Debatte über die Art und Möglichkeiten zur Nutzung einer Contact Tracing App muss breit abgestützt und objektiv geführt werden.

Eine zeitliche, örtliche und sachliche Einschränkung der Nutzungspflicht erhöht Akzeptanz in der Bevölkerung

Als Resultat der übermässigen Fokussierung auf die Freiwilligkeit ist zu befürchten, dass eine sachliche Diskussion über verschiedene Varianten von Digital Contact Tracing oder gar Obligatorien unterbunden wird. Letztere könnten durchaus auch zeitlich, örtlich und/oder sachlich begrenzt werden. So könnte ein Obligatorium von der Zahl Neuinfizierter abhängig gemacht werden, sodass dieses automatisch wegfällt, wenn sich keine Person mehr neu infiziert. 32 Weiter wäre es denkbar, dass für den Besuch beim Coiffeur oder für den Besuch einer Bar oder eines Kinos, wo Social Distancing nur sehr schwierig einzuhalten ist, eine App-Pflicht vorgeschrieben wird.33 Für einen Spaziergang im Wald oder im Quartier hingegen kann die Nutzung der App freiwillig bleiben. Ebenso wäre denkbar, dass eine sachlich eingeschränkte App-Pflicht eingeführt würde, bspw. für Teilnehmer an einer Veranstaltung mit mehr als 5 Personen. Solche zeitlich, örtlich und/oder sachlich eingegrenzten Obligatorien könnten basierend auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Übertragungsart und Übertragungsweg des Sars-Cov-2 Virus ergehen und zudem schlüssig begründet und damit auch einfacher kommuniziert werden. Entsprechend dürfte auch die Akzeptanz einer App-Pflicht relativ hoch sein, was die Kontrolle und allfällige Durchsetzung weniger aufwendig macht.

Eine höhere Akzeptanz einer App-Pflicht müsste schliesslich erreicht werden durch die konsequent datenschutzfreundliche Ausgestaltung (Privacy by Design) der zur Anwendung gelangenden Software.34

Fällt die Wahl ungeachtet des Umstands, dass das EpG bereits über breite Rechtsgrundlagen betreffend den Einsatz von Digital Contact Tracing aufweist, auf eine rein freiwillige Digital Contact Tracing Lösung, empfiehlt sich, bereits im Rahmen der Softwarearchitektur darauf zu achten, dass bestimmte Funktionen der App nötigenfalls hinzugefügt oder gar für obligatorisch erklärt werden könnten. Damit liesse sich sicherstellen, dass im Falle eines erneuten Anstiegs der Infektionszahlen deutlich mildere Massnahme im Vergleich zum partiellen oder gar vollständigen «Lockdown» zeitnah bereitgestellt und damit als taugliche Alternativen zumindest in Erwägung gezogen werden könnten.

Besteht eine Pflicht des Bundes, eine Contact Tracing App einzuführen?

Wie beschrieben sind die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung einer Contact Tracing App vorhanden.35 Aus der Bundesverfassung ergibt sich weiter der Auftrag an den Bund, die Volksgesundheit vor übertragbaren Krankheiten zu schützen.36 Aus Südkorea ist zumindest als Evidenz bekannt, dass der Einsatz von Smartphone basierten Technologien, welche die Rückverfolgung von Infektionsketten erleichtern, gegen die Pandemie Wirkung zeigt und aus Singapur ist ebenfalls evidenzbasiert bekannt, dass eine freiwillige App wenig genutzt wird und nicht besonders effektiv ist. Soweit also eine Contact Tracing App nach Einschätzung der Fachexperten geeignet ist, schwerwiegendere und weitergehende Massnahmen entweder zu lockern oder deren Wiedereinführung im Falle eines Anstiegs der Anzahl infizierter Personen zu verhindern, muss daher die Frage aufgeworfen werden, ob der Bund seine Pflicht zum Schutz der Volksgesundheit oder den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt, wenn er die in der Schweiz aufgrund des EpG gegebenen Möglichkeit des Einsatzes einer (teil-)obligatorischen Contact Tracing App unbenutzt lässt?

Zusammenfassung

Was ist Contact Tracing?

Contact Tracing bei der Bekämpfung einer Pandemie oder Epidemie beinhaltet das Nachverfolgen derjenigen, welche mit einer infizierten Person Kontakt hatten, sodass diese identifiziert und über eine mögliche Infektion informiert werden können. Diese Methode ist altbewährt und wurde am Anfang der Sars-Cov-2-Pandemie in der Schweiz in analoger Form, also händisch und über mündliche Kommunikation, vorgenommen. Dank neuer Technologie ist es möglich, diesen Prozess auch mittels technischer Hilfsmittel zumindest zum Teil zu automatisieren, was das Contact Tracing erheblich effektiver und leistungsfähiger machen kann.

Wie funktioniert eine Contact Tracing App?

In den aktuell in Europa und der Schweiz diskutierten Lösungen wird eine App auf ein Smartphone geladen. Diese App registriert mittels Bluetooth andere Smartphones mit der gleichen Contact Tracing App und notiert diesen Kontakt. Registriert werden dabei nicht etwa Personendaten, sondern anonyme zufällige Nummern, die der jeweiligen App zugeordnet wurden. Wird nun eine Person positiv auf eine Infektion getestet, kann die App alle registrierten Nummern informieren, dass eine mögliche Infektion vorliegt. Der Nutzer eines Smartphones mit entsprechend installierter App erhält daraufhin eine Mitteilung, dass er in der Vergangenheit mit einer infizierten Person in Kontakt kam und kann sich entsprechend in Quarantäne bzw. ärztliche Behandlung begeben.

Weiter können die mittels Digital Contact Tracing gewonnen nicht personenbezogenen Daten über Infektionsketten seitens der zuständigen Behörden zur Beurteilung der allgemeinen Lage verwendet werden. Gestützt darauf können behördliche Massnahmen umsichtiger geplant und gezielter angeordnet werden. Mithin könnten dadurch schwerere Massnahmen durch mildere ersetzt werden. Erforderlich hierfür ist, dass die zuständige Behörde über die einschlägigen Daten verfügt.

Die NEK postuliert Freiwilligkeit nur mit ethischer Begründung

Aus dem beschriebenen Vorgang geht hervor, dass die Effektivität einer solchen App am grössten ist, wenn möglichst viele Personen diese nutzen, weshalb die Nutzungspflicht einer solchen App - mindestens bei gewissen Szenarien - wünschenswert ist. In der Stellungnahme NEK wird allerdings postuliert, dass eine solche App ausschliesslich auf freiwilliger Basis zulässig wäre. Begründet wird diese Haltung einzig mit unseres Erachtens spekulativen Argumenten aus ethischer Sicht.

Das EpG enthält allerdings die Möglichkeit für eine App-Pflicht

Das EpG stellt allerdings klar und eindeutig die rechtlichen Instrumente zur Verfügung, eine App-Pflicht einzuführen. Es kann nach Ansicht der Autoren nicht angehen, dass eine nicht demokratisch legitimierte Kommission wie die NEK darüber entscheidet, ob ein demokratisch maximal legitimiertes Gesetz, das von Volk und Ständen in einer Abstimmung angenommen wurde, angewendet wird oder nicht.

Eine App-Pflicht kann zeitlich/örtlich/sachlich moduliert werden

Ziel des vorliegenden Dokumentes ist es daher, die Debatte über eine App-Pflicht nicht vorzeitig absterben zu lassen. Denn es bestehen nach Ansicht der Autoren verschiedene Möglichkeiten, wie ein solches Obligatorium ausgestaltet werden könnte, damit die Akzeptanz in der Bevölkerung möglichst gross ist, ohne dabei übermässig in die Grundrechte der Schweizer Bevölkerung einzugreifen. Im Gegenteil könnte ein solches Obligatorium andere, viel schwerwiegendere Grundrechtseingriffe (Versammlungsverbot, Betriebsschliessungen etc.) zumindest teilweise überflüssig machen.

So könnte eine App-Pflicht zeitlich, örtlich und/oder sachlich eingegrenzt werden. Bspw. kann ein Obligatorium von der Zahl Neuinfizierter abhängig gemacht werden, sodass dieses automatisch wegfällt, wenn sich keine Person mehr neu infiziert. Weiter wäre es denkbar, dass für den Besuch beim Coiffeur oder einer Bar oder eines Kinos, wo Social Distancing nur sehr schwierig einzuhalten ist, eine App-Pflicht vorgeschrieben wird. Für einen Spaziergang im Wald oder im Quartier hingegen kann die Nutzung der App freiwillig bleiben. Ebenso wäre denkbar, dass eine sachlich eingeschränkte App-Pflicht eingeführt würde, bspw. für Teilnehmer an einer Veranstaltung mit mehr als 5 Personen. Solche zeitlich, örtlich und/oder sachlich eingegrenzten Obligatorien könnten basierend auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Übertragungsart und zum Übertragungsweg des Sars-Cov-2 Virus ergehen und zudem schlüssig begründet und damit auch einfacher kommuniziert werden. Entsprechend dürfte auch die Akzeptanz einer App-Pflicht relativ hoch sein, was die Kontrolle und allfällige Durchsetzung weniger aufwendig macht.

Fällt die Wahl ungeachtet des Umstands, dass das EpG bereits über breite Rechtsgrundlagen betreffend den Einsatz von Digital Contact Tracing aufweist, auf eine rein freiwillige Digital Contact Tracing Lösung, empfiehlt sich, bereits im Rahmen der Softwarearchitektur darauf zu achten, dass bestimmte Funktionen der App nötigenfalls hinzugefügt oder gar für obligatorisch erklärt werden könnten. Damit liesse sich sicherstellen, dass im Falle eines erneuten Anstiegs der Infektionszahlen deutlich mildere Massnahme im Vergleich zum partiellen oder gar vollständigen «Lockdown» zeitnah bereitgestellt und damit als taugliche Alternativen zumindest in Erwägung gezogen werden könnten.

 


Dr. iur. Lukas Abegg-Vaterlaus, LL.M., Advokat, ist Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht, Mitglied des Vorstandes der Swiss LegalTech Association SLTA und publiziert regelmässig zu Themen an der Schnittstelle von Technologie und Recht.

MLaw Raffael Knecht, Rechtsanwalt, ist Jurist bei der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) für das Transformationsprogramm DaziT, Dozent für Wirtschaftsrecht und Recht im digitalen Raum an der Privaten Hochschule PHW Bern und befasst sich massgeblich mit rechtlichen Fragen der Digitalisierung.

Dieser Beitrag gibt einzig die persönliche Ansicht der Autoren als Mitglieder der Zivilgesellschaft wieder. Weder deren Arbeitgeber noch andere Organisationen waren beim Verfassen dieser Kritik involviert oder werden durch die hier geäusserte Meinung gebunden.

  1. 1 Im Gegensatz zum Tracing, welches die Nachverfolgung von Infektionsketten bezweckt, besteht das Tracking im Lokalisieren von bestimmten Personen und ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Dies vor dem Hintergrund, dass Tracking-Lösungen in Europa, soweit ersichtlich, überhaupt nicht zur Diskussion stehen.
  2. 2 Vgl. etwa die Grobbeurteilung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) betreffend des privaten EPFL-Projekts für eine «Covid proximity tracing App», abrufbar unter https://www.edoeb.admin.ch/edoeb/de/home/aktuell/aktuell_news.html #651755567 (abgerufen am 18.4.2020)
  3. 3 Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG), SR 818.101
  4. 4 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV), SR 101
  5. 5 Beschaffen und Verwerten relevanter Informationen durch einschlägiges Gesundheitspersonal zwecks Rückverfolgung von Infektionsketten.
  6. 6 Vgl. zum Ganzen das Whitepaper der Lösung von DP-3T „Decentralized Privacy Preserving Proximity Tracing“, abrufbar unter https://github.com/DP-3T/documents/blob/master/DP3T%20White%20Paper.pdf (abgerufen am 19.4.2020)
  7. 7 Gestützt auf Art. 5 EpG kommt hierfür in erster Linie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Betracht.
  8. 8 Neben breitflächigen Infektionstests, Social Distancing und Maskentragen.
  9. 9 https://hbr.org/2020/04/how-digital-contact-tracing-slowed-covid-19-in-east-asia (abgerufen am 16.4.2020)
  10. 10 Südkorea verfolgte hierbei einen GPS gestützten Location Tracking-Ansatz, während in Europa Bluetooth basierte Contact Tracing-Lösungen bevorzugt werden.
  11. 11 https://www.nzz.ch/international/suedkoreaner-tauschen-daten-gegen-bewegungsfreiheit-ld.1551094 (abgerufen am 16.4.2020)
  12. 12 https://www.economist.com/science-and-technology/2020/04/16/app-based-contact-tracing-may-help-countries-get-out-of-lockdown (abgerufen am 17.4.2020)
  13. 13 Abrufbar unter https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK-stellungnahme-Contact_Tracing.pdf (abgerufen am 9.4.2020)
  14. 14 Abrufbar unter https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK-stellungnahme-Contact_Tracing.pdf (abgerufen am 9.4.2020)
  15. 15 https://www.nek-cne.admin.ch/de/ueber-uns/kommissionsmitglieder/ (abgerufen am 16.4.2020)
  16. 16 Auch der EDÖB lässt die bereits geltenden Rechtsgrundlagen aus dem EpG in seiner Stellungnahme vom 21.4.2020 unberücksichtigt und beschränkt sich darauf, den Nachweis einer genügenden Rechtsgrundlage einzufordern, abrufbar unter https://www.edoeb.admin.ch/ edoeb/de/home/aktuell/aktuell_news.html#282204506 (abgerufen am 21.4.2020)
  17. 17 Verordnung über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemieverodnung, EpV), SR 818.101.1
  18. 18 Die Verhältnismässigkeit dieser Massnahme beurteilt sich nach der konkreten Ausgestaltung einer möglichen Nutzungspflicht. Siehe «Eine zeitliche, örtliche und sachliche Einschränkung der Nutzungspflicht erhöht Akzeptanz in der Bevölkerung» hiernach.
  19. 19 Stellungnahme NEK 33/2020 S. 12 und 13
  20. 20 Weblaw Webinar „Coronavirus: Praxisfragen aus rechtlicher Sicht V“ vom 21.4.2020, abrufbar unter https://www.weblaw.ch/competence/academy/webinar/coronavirus5.html ab Minute 28 (abgerufen am 23.4.2020)
  21. 21 Prof Uhlmann in NZZ vom 16.4.2020 „Millionen von Downloads nötig: Wie die Schweiz Smartphone-Apps im Kampf gegen das Coronavirus einsetzen will“
  22. 22 https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20130922/index.html (abgerufen am 16.4.2020)
  23. 23 Vgl. Nachbesprechung der Abstimmung durch das SRF unter https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen/abstimmungen/epidemiengesetz/ja-zum-epidemiengesetz-zeichen-fuer-vertrauen-in-behoerden und durch die NZZ unter https://www.nzz.ch/schweiz/epidemiengesetz-zustimmung-1.18154667 (beide abgerufen am 16.4.2020)
  24. 24 Stellungnahme NEK 33/2020 Kapitel 6.2 S. 17
  25. 25 Wie dargelegt erlauben die einschlägigen Bestimmungen des EpG die Bearbeitung der für Digital Contact Tracing möglicherweise erforderlichen Daten. Eine datenschutzfreundliche Ausgestaltung («Privacy by Design») von Digital Contact Tracing könnte gar dafür sorgen, dass keine personenbezogenen Daten bearbeitet werden müssten. So oder anders fiele das datenschutzrechtliche Erfordernis der Einwilligung im Einzelfall selbstredend weg.
  26. 26 Vgl. Art. 58 ff. EpG
  27. 27 Je nach Ausgestaltung der Digital Contact Tracing Lösung wird das klassische Contact Tracing, also das Beschaffen und Verwerten relevanter Informationen durch einschlägiges Gesundheitspersonal, mehr oder weniger automatisiert.
  28. 28 Ein Netzwerkeffekt liegt vor, wenn der Nutzen, den jemand aus einem Gut zieht, von der Zahl der Anderen abhängt, die dieses Gut ebenfalls nutzen.
  29. 29 Art. 60 Abs. 2 Bstn. a und b EpG
  30. 30 Art. 60 Abs. 3 Bst. a EpG
  31. 31 Vgl. für die aktuell diskutierten Ansätze «Digital Contact Tracing kurz erklärt» hiervor.
  32. 32 Eine App-Pflicht basierend auf dem EpG fiele so spätestens mit der erfolgreichen Bekämpfung der Sars-Cov-2-Pandemie dahin.
  33. 33 So Prof Uhlmann in NZZ vom 16.4.2020 „Millionen von Downloads nötig: Wie die Schweiz Smartphone-Apps im Kampf gegen das Coronavirus einsetzen will“.
  34. 34 Dieser Ansatz wird bei fast allen Apps, die derzeit in Europa entwickelt und in den Medien diskutiert werden, verfolgt.
  35. 35 Entweder auf bundesrechtlicher Ebene nach Art. 7 EpG oder durch subsidiäre Anordnung von Massnahmen durch die Kantone i.V.m. der Pflicht des Bundes zur Koordination nach Art. 77 Abs. 2 EpG.
  36. 36 Art. 118 Abs. 1 und Abs. 2 Bst b BV SR 101

 

3 Kommentare

  • 1

    Kommentar von Andrea Büchler (Präsidentin NEK) und Bernhard Rütsche (Mitglied NEK)

    Im Sinne eines offenen wissenschaftlichen Diskurses ist es zu begrüssen, dass sich Lukas Abegg und Raffael Knecht mit der Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission (NEK) zum digitalen Kontakt Tracing kritisch auseinandersetzen. Inhaltlich zielt die Kritik aber in den wesentlichen Punkten ins Leere. So kommt die Stellungnahme klar zum Schluss, dass die gesetzlichen Grundlagen für ein obligatorisches Contact Tracing vorhanden wären (S. 13). Die Kritik von Abegg/Knecht kapriziert sich darauf, dass dies in den Kernforderungen am Schluss der Stellungnahme nicht nochmals erwähnt wird. Dabei übersehen sie, dass die Kernforderungen die Funktion haben, die konsensfähigen Ergebnisse der – durchaus kontroversen – interdisziplinären Debatte der Kommission aufzunehmen. Das Postulat der Freiwilligkeit von Contact Tracing ist dabei das Ergebnis einer intensiven, unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit geführten Auseinandersetzung, in welche ethische, rechtliche, sozialwissenschaftliche und medizinische Perspektiven eingeflossen sind. Ein zentraler Punkt – den Abegg/Knecht übersehen – ist dabei die Problematik der Durchsetzung: Eine effektive Durchsetzung der Pflicht, beim Kontakt mit anderen Leuten ein aufgeladenes Smartphone mit eingeschalteter App und Bluetooth-Funktion auf sich zu tragen, wäre mit weitreichenden und einschneidenden Kontrollen verbunden. Ob dies in einer freiheitlichen Rechtskultur wie der schweizerischen von der Bevölkerung mitgetragen würde, ist fraglich. Die NEK ist jedenfalls zum Schluss gekommen, dass für die Umsetzung eines digitalen Contract Tracing Information und Vertrauensbildung wirksamer sind als Zwang.

    avatarBernhard Rütsche27.04.2020 22:56:39Antworten

  • 2

    Besten Dank für die Kenntnisnahme des wissenschaftlichen Artikels und die konstruktive Kritik dazu. Ich möchte nicht das im Artikel Gesagte wiederholen, sondern lediglich einen Gedanken bezüglich die von Ihnen als zentraler Punkt erwähnte Schwierigkeit der Durchsetzung weiter ausführen. Der Aufwand für eine Durchsetzung und die Tiefe von möglichen Eingriffen hängt ganz wesentlich von der Ausgestaltung einer Pflicht ab. So ist es nicht die Ansicht der Autoren, eine generelle und allgemeingültige Pflicht vorzusehen. Vielmehr schlagen wir vor, eine partielle Pflicht zu diskutieren. Nämlich in Situationen, bei welchen Distanzhalten schwierig ist und sich die Akteure zudem nicht kennen, wodurch die Nachverfolgung der Infektionsketten erschwert ist; wie etwa im Fitnesscenter, welches von Professor Uhlmann in der NZZ vom 16.4.2020 schon als Beispiel erwähnt wurde. Eine solche partielle Pflicht liesse sich relativ einfach und pragmatisch umsetzen: Wer Zutritt möchte, muss neben einem gültigen Ticket auch die eingeschaltete App vorweisen. Damit wäre die Kontrolle sowohl hinsichtlich des Aufwandes als auch hinsichtlich der Intensität des Eingriffs absolut minimal. Eine solche partielle Pflicht an Orten, an denen aus epidemiologischer Sicht das Ansteckungsrisiko erhöht ist, scheint unseres Erachtens auch ohne weiters der Bevölkerung vermittelbar. Eine solche partielle Pflicht kann sogar vertrauensbildend sein, da Teilnehmer eben genau darauf zählen dürfen, dass alle übrigen Teilnehmer auch am proximity tracing Programm mitmachen und daher eine Nachverfolgung einer möglichen Infektion im bestmöglichen Umfang gewährleistet ist. Unseres Erachtens sollten diese Modelle und Überlegungen breit und intensiv diskutiert werden. Denn wir befürchten mit einer überstarken Fokussierung auf die Freiwilligkeit werden plausible, einfach umzusetzende, wenig invasive und gleichzeitig sehr effektive Möglichkeiten des Digital Contact Tracings gar nicht erst zur Debatte gestellt.

    avatarLukas Abegg28.04.2020 18:40:09Antworten

  • 3

    Kommentar von Daniel Kettiger: Art. 33 EpG keine genügende Rechtsgrundlage

    Dass Art. 33 EpG eine genügende gesetzliche Grundlage für ein Obligatorium (Nutzungspflicht) der Contact Tracking App darstelle, ist eine kühne Behauptung. Das EpG stammt aus dem Jahr 2012 und ist somit ein relativ junges Gesetz, so dass für die Auslegung insbesondere die subjektiv-historische Auslegungsmethode massgeblich ist. In der Botschaft zum EpG (BBl 2011 311, S. 387) wird ziemlich detailliert erläutert, welche Vorgänge und Handlungen von Behörden unter der in Art. 33 EpG geregelten «Identifizierung und Benachrichtigung» verstanden werden. Der Gesetzgeber hat mithin in Art. 33 EpG genau das und nichts Anderes regeln wollen, ganz sicher aber nicht eine Contact Tracking App. Art. 33 EpG regelt das Vorgehen bei einem konkreten, (medizinisch) erhärteten Verdacht. Eine Contact Tracking App funktioniert eher nach dem Prinzip einer Rasterfahndung (ausgehend von einem Generalverdacht) und benötigt somit eine besondere rechtliche Grundlage. Auch Art. 58 EpG kann nicht als gesetzliche Grundlage für ein Obligatorium der Contact Teacking App dienen. Diese Gesetzesbestimmung ermächtigt die Gesundheitsbehörden und von diesen beauftragte Private nur zur Datenbearbeitung; sie kann aber immerhin als eine (Teil-)Rechtsgrundlage für den freiwilligen Betrieb der App dienen. Ein Obligatorium im Sinne einer generellen Nutzungspflicht für eine Contact Tracking App verletzt auch das Verhältnismässigkeitsprinzip und stellt damit kein zulässiger Grundrechtseingriff im Sinne von Art. 36 BV. Die Contact Tracking App funktioniert mit der Bluetooth-Technologie und soll Kontakte speichern, die während rund 15 Minuten in 10 Metern Distanz oder näher waren (https://www.heise.de/ct/artikel/Wie-Tracing-Apps-Covid-19-bremsen-sollen-4704893.html). Grundsätzlich verringert der geforderte Abstand von 2 Metern die Ansteckungsgefahr erheblich. Der Contact Tracking App verzeichnet nun aber auch den Fall, dass jemand bei sozusagen null Prozent Ansteckungsgefahr in der Warteschlange vor der Kasse vier Positionen vor einer infizierten Person steht. Allerdings geht die Forschung davon aus, dass es in schlecht belüfteten Innenräumen trotz des Mindestabstands zu Infektionen kommen kann, wenn sich Personen dort längere Zeit mit Infizierten aufhalten. Andererseits funktioniert Bluetooth teilweise auch durch Zwischenwände, so dass auch in Fällen von fehlendem Sichtkontakt und damit fehlender Ansteckungsgefahr alarmiert wird. Wer beispielsweise mit dem Auto im Stau 15 Minuten hinter einer infizierten Person im voranfahrenden Auto fährt, kann von de App als infizierter Kontakt erfasst werden. hinter dem Auto Die Contact Tracking App dürfte in einer hohen Zahl von Fällen (ich schätze diese auf gut 30 %) einen unbegründeten Alarm auslösen und damit die allarmierten Personen in Angst versetzen und diesen durch die Selbstquarantäne Probleme verschaffen. Andererseits ist die Nützlichkeit in Frage gestellt, weil – wenn es wirklich stimmt, dass die Anonymität vollständig gewahrt wird – nicht kontrolliert werden kann, ob die allarmierten Personen sich wirklich in Selbstquarantäne begeben oder den Alarm einfach ignorieren (auch bei einem Nutzungsobligatorium wäre das gewünschte Handeln mithin auf freiwilliger Basis). Letztlich wird Bluetooth von Informatikexperten als Einfallstor in das Mobiltelefon betrachtet, weshalb geraten wird, Bluetooth nicht ständig eingeschaltet zu lassen – genau das ist aber bei der aktiven Verwendung der Contact Tracking App notwendig. Bei der zu erwartenden hohen Rate von sachlich unbegründeten Alarmen einerseits und einer Nichtüberwachbarkeit des Verhaltens Betroffener nach dem Alarm andererseits, sowie des Risikos des permanent eingeschalteten Bluetooth muss eine Nutzungspflicht der App als klar unverhältnismässig betrachtet werden.

    avatarDaniel Kettiger04.05.2020 21:40:25Antworten

Ihr Kommentar zu diesem Beitrag

Jusletter-AbonnentInnen können sich an der Diskussion beteiligen. Bitte loggen Sie sich ein, um Kommentare verfassen zu können.

Jusletter abonnieren