1.
Einleitung ^
Das Urteil über die Arbeit des Parlaments während der Covid-19-Krise fiel in den Medien und in der Wissenschaft zum Teil äusserst kritisch aus. So berichtete der Tagesanzeiger bereits am selben Abend, an dem die Büros der eidg. Räte den Abbruch der Session verkündeten: «Die Demokratie macht Pause».1 Glaser/Gfeller kritisieren: «Die Krise offenbarte, dass das bestehende Instrumentarium für eine Mitwirkung, wie sie Art. 148 Abs. 1 BV voraussetzt, nicht ausreicht.»2 Biaggini zieht eine «zwiespältige Bilanz» der Rolle des Parlaments während der Covid-19-Krise. Einerseits habe das Parlament immer wieder gezeigt, dass es sich bei vorhandenem politischem Willen durchaus rasch einbringen kann, andererseits habe das Parlament sich «zugespitzt formuliert mehr als Mitläufer des Bundesrats denn als dessen Antagonist erwiesen.»3 Ganz generell zur Rolle des Parlaments in einer Krise hält Müller fest: «Es [das Parlament] hat keine Rolle und sollte auch keine haben, will man nicht riskieren, dass die Krise grösser wird»,4 schreibt dem Parlament aber durchaus eine Rolle zu mit Blick auf das «Vorher und Nachher, mithin auf die Krisenprävention und -evaluation».5 Klar ist: (s)eine Rolle kann das Parlament einzig einnehmen, wenn es in einer Krise handlungsfähig bleibt. Das war während der Covid-19-Krise nicht immer der Fall.6 Schon früh während der Pandemie hat das Parlament begonnen, sich mit seiner Handlungsfähigkeit und Mitwirkung auseinanderzusetzen, was in die Revision des Parlamentsgesetzes mündete. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die vorgenommenen Änderungen und würdigt sowohl die Revision als Ganze als auch einzelne Punkte.
Der Ursprung der Revision findet sich bei den parlamentarischen Initiativen (pa.Iv.) «20.437 Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessern» und «20.438 Nutzung der Notrechtskompetenzen und Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts in Krisen», die am 29. Mai 2020 von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) verabschiedet wurden. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats (SPK-S) stimmte den parlamentarischen Initiativen am 25. Juni 2020 zu. In der Folge setzte die SPK-N eine Subkommission mit dem Auftrag ein, Vorschläge zur Umsetzung der parlamentarischen Initiativen auszuarbeiten.7 Am 1. September 2021 verabschiedete die SPK-N den Erlassentwurf. Die Parlamentsgesetz-Revision «Verbesserungen der Funktionsweise des Parlamentes, insbesondere in Krisensituationen» (AS 2023 483) wurde am 17. März 2023 von beiden Räten in der Schlussabstimmung angenommen, die Referendumsfrist lief ungenutzt ab. Die vorgenommenen Änderungen traten am 4. Dezember 2023 in Kraft, mit Ausnahme zweier Digitalisierungsbestimmungen (Artikel 10a und 32a ParlG), die später in Kraft gesetzt werden.8
2.
Die Revision – ein Überblick ^
Die durch das Parlament vorgenommenen Änderungen im Parlamentsgesetz lassen sich in vier Kategorien einteilen: «Zusammentreten der Kommissionen», «Zusammentreten der Räte», «Nutzung parlamentarischer Instrumente» sowie «Ausübung von Notrechtskompetenzen».9
2.1.
Zusammentreten von Kommissionen ^
- Mit Art. 45a ParlG wird das Sitzungsrecht der Kommissionen neu auf Gesetzesstufe verankert. Es wird insbesondere ausdrücklich festgehalten, dass Kommissionen zusätzliche Sitzungen ausserhalb der Jahressitzungspläne der jeweiligen Büros abhalten können (Abs. 2). Damit wird die während der Covid-19-Krise aufgekommene Unklarheit geregelt, ob das Büro eines Rates die Kompetenz hat, Kommissionssitzungen zu verbieten.10 Eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder kann per Zirkularverfahren einer zusätzlichen Sitzung zustimmen. Der bezeichnete Beratungsgegenstand muss zeitlich dringlich sein (Abs. 3).
- Neu werden in Art. 45b ParlG Rahmenbedingungen für das Abhalten von virtuellen Kommissionssitzungen festgehalten. Die Möglichkeit, virtuelle Kommissionssitzungen durchzuführen, bestand bislang auch ohne gesetzliche Grundlage.11 Virtuelle Kommissionssitzungen sind nur noch möglich, wenn entweder ein physisches Zusammentreten verunmöglicht ist (Abs. 1 lit. a) oder dringende Entscheide oder Entscheide zum Vorgehen zu fällen sind (Abs. 1 lit. b). Es braucht dafür die Zustimmung der Präsidentin oder des Präsidenten der Kommission und der Mehrheit der Kommissionsmitglieder (Abs. 2), womit der Kommissionsleitung ein Vetorecht zukommt. In Art. 45b Abs. 3 lit. a ParlG wird Kommissionsmitgliedern, für die eine Stellvertretung rechtlich nicht möglich ist, die Möglichkeit gegeben, sich zu einer physisch stattfindenden Sitzung virtuell dazuzuschalten. Die Teilnehmerinnen oder Teilnehmer von Anhörungen dürfen ebenfalls virtuell dazugeschaltet werden (Art. 45b Abs. 3 lit. b ParlG).
Gemäss dem Bericht der SPK-N dürfen als «vertraulich» oder «geheim» klassifizierte Informationen nicht an einer virtuellen Sitzung besprochen werden, da der aktuelle Stand der Technik den notwendigen Standard an Vertraulichkeit nicht garantieren kann.12
2.2.
Zusammentreten der Räte ^
- Art. 2 Abs. 3 ParlG regelt die Voraussetzungen für die Einberufung einer ausserordentlichen Session. An diesen Voraussetzungen ändert sich mit der Revision nichts.13 In Art. 2 Abs. 3bis ParlG werden Situationen aufgeführt, in denen eine nach Art. 2 Abs. 3 ParlG einberufene ausserordentliche Session unverzüglich, also so bald wie möglich, stattfinden muss. Das ist neu dann der Fall, wenn der Bundesrat eine Verordnung erlassen oder geändert hat, die sich auf Art. 184 Abs. 3 BV, 185 Abs. 3 BV oder auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 ParlG stützt (lit. a); wenn der Erlassentwurf für eine Verordnung oder einen einfachen Bundesbeschluss nach Artikel 173 Abs. 1 lit. c BV oder für ein dringliches Bundesgesetz nach Artikel 165 BV anhängig gemacht wird (lit. b); oder wenn nach Art. 33a ParlG die Verschiebung oder vorzeitige Beendigung der Session beschlossen wurde (lit. c).
- Art. 10a ParlG wurde bereits während der Covid-19-Krise eingeführt. Er erlaubte (nur im Nationalrat) die virtuelle Zuschaltung einzelner Parlamentarierinnen und Parlamentarier (nur Stimmrecht, keine weiteren Beteiligungsmöglichkeiten). Gemäss dem revidierten Art. 10a ParlG kann eine Mehrheit im Rat einzelnen Mitgliedern die Möglichkeit geben, virtuell an den Ratssitzungen teilzunehmen.14 Das ist neu in beiden Räten erlaubt, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Die physische Teilnahme muss verunmöglicht sein (Abs. 1), wobei der Verhinderungsgrund eine behördliche Anordnung oder höhere Gewalt sein muss (Abs. 2). Die virtuelle Zuschaltung unterliegt dabei gewissen Modalitäten: Virtuell zugeschaltete Parlamentarierinnen und Parlamentarier können dieselben Rechte wie diejenigen vor Ort ausüben, jedoch nicht an Wahlen und geheimen Beratungen teilnehmen (Abs. 3). Die Wiederholung von Abstimmungen bei technischen Problemen ist ausgeschlossen (Abs. 4). Der Rat und die Öffentlichkeit müssen darüber informiert werden, wer virtuell zugeschaltet ist (Abs. 5).
Die virtuelle Zuschaltung soll beispielsweise bei Seuchen oder bei Naturkatastrophen in bestimmten Regionen zur Anwendung kommen.15 Der Begriff der höheren Gewalt soll dabei klarstellen, dass rein persönliche Gründe wie gesundheitliche Probleme oder Elternschaft nicht zu einer virtuellen Teilnahme nach Art. 10a ParlG berechtigen.16 Vielmehr dient die Bestimmung der Gewährleistung der Sessionsteilnahmegarantie. Äussere Gründe oder Behördenanordnungen sollen diese nicht beschränken.17
- Gemäss Art. 32 Abs. 3 ParlG kann die Koordinationskonferenz einen anderen Tagungsort beschliessen, wenn ein Zusammentreten in Bern nicht möglich ist.
- Art. 32a ParlG gibt den Räten die Möglichkeit, Ratssitzungen (oder auch ganze Sessionen) gesamthaft virtuell durchzuführen, sofern ein physisches Zusammentreten nicht möglich ist (Abs. 1). Die Entscheidungskompetenz liegt beim Büro des jeweiligen Rats, vorbehalten bleibt jedoch ein anderweitiger Entscheid des entsprechenden Rats.18 Da jedes Büro für seinen eigenen Rat entscheidet, ist es auch vorstellbar, dass nur ein Rat virtuell tagt und der andere nicht.19
- Die virtuelle Durchführung von Wahlen und geheimen Beratungen ist ausgeschlossen (Abs. 2). Bei technischen Problemen werden die Stimmabgaben nicht wiederholt (Abs. 3). Das Büro darf bei virtuellen Ratssitzungen zeitlich befristete organisatorische Vorkehrungen beschliessen, die vom Geschäftsreglement des jeweiligen Rates abweichen (Abs. 4).
- Der neue Art. 33a ParlG regelt, wer die Verschiebung oder vorzeitige Beendigung einer Session anordnen kann. Die Büros beider Räte hatten in der Pandemie entschieden, die Session abzubrechen. Dies löste die Frage aus, ob die Büros überhaupt über eine entsprechende Kompetenz verfügen.20 Es wird neu festgehalten, dass diese Kompetenz den beiden Räten zukommt (Abs. 1), aber die Koordinationskonferenz, soweit ein physisches Zusammentreten nicht mehr möglich ist, ebenfalls eine Verschiebung oder vorzeitige Beendigung beschliessen kann (Abs. 2).
2.3.
Nutzung parlamentarischer Instrumente ^
- Wird eine parlamentarische Initiative eingereicht, hat der Bundesrat nach Art. 112 Abs. 3 ParlG eine «angemessene Frist» für eine Stellungnahme, die in der Praxis i.d.R. sechs bis acht Wochen beträgt.21 Art. 112 Abs. 3bis ParlG erlaubt neu den Kommissionen bei Entwürfen für Erlasse nach Art. 165 oder Art. 173 Abs. 1 lit. c BV diese «angemessene Frist» so zu setzen, dass die Behandlung der parlamentarischen Initiative in der nächsten Session möglich ist.
- Gemäss Art. 121 Abs. 1ter ParlG müssen Motionen, die den Erlass oder die Änderung einer Verordnung verlangen, die sich auf Art. 184 Abs. 3 BV, 185 Abs. 3 BV oder auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 ParlG stützt, neu entweder in der nächsten oder laufenden ordentlichen oder in der nächsten ausserordentlichen Session traktandiert werden. Der Bundesrat hat entsprechend in kurzer Zeit Stellung zu nehmen, falls nötig, auch mündlich.
- Wenn der Bundesrat eine Motion nicht erfüllt, muss er nach zwei Jahren berichten, was er zur Erfüllung der Motion unternommen hat und wie er den Auftrag zu erfüllen beabsichtigt (Art. 122 Abs. 1 ParlG). Neu muss der Bundesrat nach Art. 122 Abs. 1bis ParlG unverzüglich berichten, «wenn eine Kommissionsmotion, welche die Änderung einer Verordnung des Bundesrats, die noch nicht länger als ein Jahr in Kraft ist, oder des Entwurfs für eine Verordnung des Bundesrats verlangt, nach sechs Monaten noch nicht erfüllt ist» (Abs. 1bis lit. a). Dasselbe gilt für eine Motion, die nicht innert der nach Motionstext vorgesehenen Frist erfüllt wird, welche die Änderung einer Verordnung verlangt, die sich auf Art. 184 Abs. 3 BV, 185 Abs. 3 BV oder auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 ParlG stützt (lit. b). Aus Sicht der SPK-N wird damit das Anliegen des Verordnungsvetos aufgenommen.24
2.4.
Ausübung von Notrechtskompetenzen ^
- Mit Art. 1 Abs. 4 Covid-19-Gesetz wurde für den Erlass von Verordnungen zur Bekämpfung der Covid-19-Krise eine Konsultationspflicht der Kommissionen eingeführt. Aufgrund des neuen Art. 151 Abs. 2bis ParlG muss der Bundesrat neu zu jedem Entwurf einer Verordnung oder Verordnungsänderung, die er auf Art. 184 Abs. 3 oder 185 Abs. 3 BV oder auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 ParlG stützt, eine Konsultation durchführen.
Sind die Informationen «vertraulich» oder «geheim», sind anstelle der Sachkommissionen die Finanzdelegation (FinDel) und die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) zu informieren.25
2.5.
Weitere Änderungen ^
- Der neue Art. 38 Abs. 2 ParlG verankert auf Gesetzesstufe die bereits in Art. 20 ParlVV festgehaltene Zuständigkeit der Verwaltungsdelegation für den Entwurf des Voranschlags der Bundesversammlung.26 Die neue Bestimmung konkretisiert diese Zuständigkeit jedoch dahingehend, dass die nötigen Ressourcen und Infrastrukturen der Bundesversammlung und ihrer Organe sichergestellt werden müssen.
- Mit Änderungen in Art. 3a Abs. 1 lit. c und Art. 10 VlG wird die Möglichkeit, auf Vernehmlassungen zu verzichten, gesetzlich verankert, soweit «das Vorhaben den Erlass oder die Änderung eines Bundesgesetzes nach Artikel 165 der Bundesverfassung oder einer Verordnung nach Art. 173 Abs. 1 lit. c, Art. 184 Abs. 3 oder Art. 185 Abs. 3 der Bundesverfassung betrifft». Gemäss Art. 10 VlG müssen in solchen Fällen – wenn möglich – die Kantonsregierungen und die vom Vorhaben in erheblichem Mass betroffenen Kreise konsultiert werden.
3.1.
Allgemeine Würdigung ^
Die vorliegende Revision gibt uns einen Einblick in die Rolle, die das Parlament in einer Krise einnehmen möchte. Dabei fällt auf, dass das Parlament zufrieden damit ist, die Hauptverantwortung der Krisenführung dem Bundesrat zu überlassen. Das Parlament sieht sich nicht in der Rolle des hauptverantwortlichen Entscheidungsträgers in einer Krise, will aber punktuell besser, schneller und institutionell unabhängiger auf die Arbeit des Bundesrats Einfluss nehmen können sowie grobe Linien der Krisenführung vorgeben. Das zeigt sich daran, dass mit der Revision zwar die Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments gestärkt wurden, die Änderungen aber keine einschränkende Wirkung auf die Macht des Bundesrats in einer Krise haben.27 Würde das Parlament eine deutlich aktivere Rolle in der Krisengouvernanz einnehmen wollen, wäre ein Ausbau der Instrumente ohnehin nicht zielführend. Zwei andere Faktoren sind nämlich die Grundbedingungen dafür, dass das Parlament seine Instrumente überhaupt nutzen kann und praktisch wohl wichtiger als die Instrumente selbst: politischer Konsens und die Ressourcen.28 Der politische Konsens ist schwer zu erreichen und kann nicht reguliert werden, was letztlich zur faktischen Überlegenheit des Bundesrats in Notlagen führt.29 Zu langsam und komplex ist die Konsensfindung. Das ist in einer Konkordanzdemokratie nichts Schlechtes, hingegen zur Bewältigung einer sich schnell entwickelnden Krise ungeeignet. Das Ressourcenproblem ist auch nicht einfach zu lösen, wie unten (Kapitel 3.2.B.) noch ausgeführt wird.
Zur Stärkung seiner Handlungsfähigkeit hat das Parlament wichtige Grundfragen geklärt und seine institutionelle Unabhängigkeit bei der Anwendung parlamentarischer Instrumente ausgebaut. Für die Handlungsfähigkeit stellt die Stärkung der Kommissionen ein wichtiges Element dar. Sind die Kommissionen nicht handlungsfähig, ist es das Parlament auch nicht. Die Kommissionen sind der Ort, an dem intensivere Diskussionen stattfinden und tragfähige Kompromisse gefunden werden können, wofür das Ratsplenum aufgrund der Grösse (und wohl auch der Öffentlichkeit) kaum geeignet ist.30 Zusätzlich zu starken Kommissionen muss für die Handlungsfähigkeit aber auch der Ratsbetrieb funktionieren. Zu Beginn der Covid-19-Krise war das Parlament derart mit organisatorischen Fragen beschäftigt, dass die inhaltlichen Diskussionen kaum Raum hatten.31 Die neuen Regelungen in Bezug auf den Tagungsort (vor Ort, hybrid oder online) und die klaren Zuständigkeiten für den Abbruch oder der Verschiebung einer Session sollten in Zukunft eine schnellere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Krise erlauben. Mit der Revision ist das Parlament in Krisenzeiten nun auch institutionell unabhängiger vom Bundesrat, da es selbst bestimmen kann, innert welcher Frist der Bundesrat zu parlamentarischen Initiativen und (Kommissions-)Motionen Stellung nehmen muss. Somit kann der Bundesrat die parlamentarische Beteiligung nicht durch das Ausschöpfen von langen Fristen hinauszögern. Die kürzeren Fristen entsprechen der Praxis während der Covid-19-Krise, in welcher der Bundesrat freiwillig auf die Ausschöpfung der Fristen verzichtete.32 Durch die Verankerung dieser Praxis ist das Parlament nicht mehr vom «Goodwill» des Bundesrats abhängig, um seine Meinung rasch einzubringen.33
Nebst der Verbesserung der Handlungsfähigkeit hat das Parlament auch seine Mitwirkung gestärkt. Hervorzuheben ist insbesondere der neue Art. 151 Abs. 2bis ParlG. Er schreibt in praktisch jeder Krise neu eine obligatorische Konsultation der Sachkommissionen vor. Neu besteht also, nebst den Kompetenzen der FinDel, eine weitere Möglichkeit zur vorgängigen Einbringung des Parlaments in die Arbeit des Bundesrats. Die Konsultation führt dabei nicht nur zu einer ersten Mitwirkungsmöglichkeit, sondern schafft auch einen wichtigen Informationsvorsprung für die mögliche Anwendung späterer Instrumente wie bspw. Kommissionsmotionen. Die Mitwirkung des Parlaments wird praktisch auch dadurch gestärkt, dass der Bundesrat nun unverzüglich berichten muss, wenn er eine Motion, welche die Änderung einer Notverordnung (sei sie verfassungsunmittelbar oder gestützt auf eine gesetzliche Ermächtigung) verlangt, nicht innert vorgegebener Frist umsetzt (Art. 133 Abs. 1bis ParlG).34
Die Revision führt zu einer erheblichen Stärkung der Handlungsfähigkeit und Mitwirkung des Parlaments. Im nachfolgenden Beispiel wird das Zusammenspiel der neuen Normen illustriert: Eine neue Krise führt zur Notwendigkeit einer Verordnung gestützt auf Art. 185 Abs. 3 BV. Der Bundesrat muss den Entwurf der Verordnung neu den Kommissionen zur Konsultation vorlegen (Art. 151 Abs. 2bis ParlG). Die Konsultation kann, wenn die Frist für ein physisches Zusammentreten der Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu kurz ist, über eine virtuelle Sitzung vorgenommen werden (Art. 45b ParlG). Nach der Konsultation erlässt der Bundesrat die Verordnung. Besteht danach aus Sicht der Kommissionen zusätzlich der Bedarf, eine Motion einzureichen, um eine Änderung der Verordnung zu verlangen, könnte eine gleichlautende Kommissionsmotion vorbereitet werden (Art. 121 Abs. 1bis ParlG). Tagt das Parlament gerade nicht, um die Motion zu verabschieden, kann mit der neuen Regelung zur unverzüglichen Einberufung einer ausserordentlichen Session innert weniger Tage die Verabschiedung durch das Parlament erreicht werden (Art. 2 Abs. 3bis ParlG). Wird die Motion nicht innert der im Motionstext vorgesehenen Frist erfüllt, muss der Bundesrat unverzüglich berichten, was er zur Erfüllung des Auftrages bisher unternommen hat und wie er den Auftrag zu erfüllen beabsichtigt (Art. 122 Abs. 1bis lit. b ParlG).
Wie dieses Beispiel aufzeigt, haben die Änderungen durchaus das Potenzial, die (rasche) Mitwirkung des Parlaments in zukünftigen Krisen deutlich besser zu ermöglichen als bisher. Dies gilt natürlich nur, sofern der parlamentarische Konsens gefunden werden kann und die benötigten Ressourcen vorhanden sind.
Hervorzuheben ist aber auch, was der Gesetzgeber nicht geändert hat. Er hat auf eine engere Definition von Art. 185 Abs. 3 BV verzichtet,35 keine Änderung von Art. 7d RVOG vorgenommen,36 keine neuen gesetzlichen Ermächtigungen (wie Art. 7 EpG) für andere Arten von Krisen geschaffen,37 den Rechtsschutz nicht verbessert38 und auch keine neuen parlamentarischen Organe für Krisenzeiten geschaffen.39 Einige dieser Themen bedürfen von Seiten der Wissenschaft noch einer genaueren Untersuchung. Zuzustimmen ist dem Verzicht auf die Schaffung einer Rechts- oder Notrechtsdelegation für die Konsultation von Notverordnungen.40 Dank den neuen virtuellen Tagungsmöglichkeiten sind Sachkommissionen nun fähig, rasch zu handeln und aufgrund ihrer Sachkompetenz auch inhaltlich besser geeignet. Nicht Teil der Diskussion war die Frage, ob der Bundesrat verpflichtet werden soll, seine Notrechtsausübung stärken zu begründen. Deshalb ist hier insbesondere die Pa.Iv. 23.439 von Andrea Caroni «Begründungspflicht beim Erlass von Notrecht» zu begrüssen, die für zusätzliche Transparenz sorgen würde.41
A.
Vernehmlassung ^
Die Änderung des Vernehmlassungsgesetzes ist grundsätzlich zu begrüssen. Ein Aspekt der neuen Regelung lässt sich m.E. inhaltlich aber schwer begründen. Im neuen Art. 3a lit. c VlG wird die Möglichkeit eines Verzichts auf eine Vernehmlassung konkretisiert, jedoch nur für verfassungsunmittelbare Notverordnungen oder dringliche Bundesgesetze. Es ist nicht ersichtlich, auch in den Materialien (inkl. Kommissionsprotokollen) nicht, weshalb Verordnungen gestützt auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 des ParlG nicht auch Teil dieser Ausnahme sind.42 Gerade Art. 7 EpG hat deutlich aufgezeigt, dass auch Verordnungen gestützt auf solche «Krisenermächtigungen» u.U. innert so kurzer Zeit erlassen werden müssen, dass auch für eine verkürzte Vernehmlassungsfrist nach Art. 7 Abs. 4 VlG keine Zeit mehr besteht. Der Verzicht auf eine Vernehmlassung in Krisensituationen war bislang nicht explizit geregelt, wobei in der Praxis bei Dringlichkeit bereits darauf verzichtet wurde und die Lehre ebenfalls von der Zulässigkeit eines Verzichts ausgegangen ist.43 Da dieser Aspekt nun geregelt ist, besteht kaum Spielraum, um in Zukunft bei Verordnungen, die gestützt auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 des ParlG erlassen werden, gesetzeskonform auf eine Vernehmlassung zu verzichten.
B.
Digitalisierung ^
Art. 10a Abs. 4 ParlG und Art. 32a Abs. 3 ParlG bestimmen beide, dass bei technischen Problemen die Abstimmungen nicht wiederholt werden. Diese Normen dürften als lex specialis Art. 76 Abs. 3ter ParlG vorgehen, der einen Antrag für die Wiederholung einer Abstimmung zulässt.44 Die Idee hinter den neuen Normen ist, dass die technischen Probleme einzelner Ratsmitglieder nicht den ganzen Betrieb aufhalten sollen.45 Der Ausschluss einer Wiederholung wurde vom Zweitrat eingebracht und vom Nationalrat als Differenz diskussionslos angenommen.46
Während das Bedürfnis nach einem effizienten Ratsbetrieb grundsätzlich nachvollziehbar ist, birgt die Regelung gewisse Gefahren für den Parlamentsbetrieb und das Vertrauen in Abstimmungen, die komplett virtuell oder mit zugeschalteten Ratsmitgliedern stattfinden.47 Problematisch wird die Regelung dann, wenn die Differenz zwischen den Ja- und Nein-Stimmen gleich gross oder kleiner ist als die aufgrund technischer Störungen nicht berücksichtigten «Online-Stimmen». Ein Beispiel: Wenn bei zwei Stimmen Differenz ein Geschäft angenommen wird, jedoch drei Personen ihre Stimmen aus technischen Gründen nicht abgeben konnten, hätten die nicht berücksichtigen Online-Stimmen potenziell das Resultat ändern können. Die Regelung geht damit über eine rein "effizienzfördernde" Massnahme hinaus und könnte das eigentliche Abstimmungsergebnis verfälschen. Vorliegend kann nicht abgeschätzt werden, wie wahrscheinlich das Eintreten eines solchen Szenarios ist. Je umstrittener ein Geschäft jedoch ist, desto höher wird das Risiko sein (da für das Eintreten des Problems weniger Stimmen ausfallen müssten). Gleichzeitig ist aber gerade bei umstrittenen Geschäften mit knappen Resultaten eine saubere Abwicklung der Abstimmung umso wichtiger. Abstimmungsergebnisse sind dabei nach Caroni/Graf zudem häufig knapp und Stichentscheide der Ratspräsidien nicht selten.48 Sachgerechter wäre es deshalb gewesen, wenn die Räte bei den aktuellen Regelungen nach Art. 76 Abs. 3ter ParlG für Abstimmungswiederholungen geblieben wären. Insbesondere vermeiden die aktuellen Regelungen zur Abstimmungswiederholung auch, dass einzelne technische Fehler gleich den ganzen Ratsbetrieb aufhalten.49
Ein weiteres Problem stellt der Ausschluss virtueller geheimer Wahlen in Art. 10a Abs. 3 und Art. 32a Abs. 2 ParlG dar. Die Regelung wurde geschaffen, weil die technischen Voraussetzungen für virtuelle geheime Wahlen und Beratungen aktuell nicht gegeben sind und nur mit «erheblichem Aufwand» erfüllbar wären.50 Dieser absolute Ausschluss ist äusserst problematisch, sollten Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats (oder des Bundesgerichts) mit einer Krise zusammenfallen, die ein Zusammenkommen der Räte verunmöglicht. Ohne Wahlen hat man keine demokratisch legitimierte Regierung, die durch die Krise führen kann. Unrealistisch ist das Szenario nicht, und es wäre wohl eingetreten, wenn die Covid-19-Krise nur vier Monate früher in der Schweiz ausgebrochen wäre. Dabei ist gerade in der Krise die demokratische Legitimation der Regierung umso zentraler, da die üblichen Kontrollmechanismen der Gewaltenteilung aufgrund des Bedarfs einer schnellen Reaktion ohnehin nicht mehr gleichwertig gegeben sind.
Es ist klar, dass man während einer Krise nicht plötzlich ohne Regierung dastehen kann. Deshalb enthält der Bericht der SPK-N auch eine Alternative, sollte die oben genannte Konstellation eintreten. Der Bericht schlägt als Lösung vor, dass die Bundesversammlung über ein dringlich erklärtes Bundesgesetz die Amtsdauer des Bundesrats oder des Bundesgerichts verlängert.51 Es wird dabei übersehen, dass das gar nicht möglich ist. Amtsdauern sind verfassungsrechtliche Organisationsregeln (Art. 145 BV), von denen das Parlament gestützt auf Art. 165 Abs. 3 BV gar nicht abweichen darf.52 Nur schon die Verhältnismässigkeit verlangt hier zunächst die Prüfung einer verfassungsmässigen Regelung.53 Dazu kommt das Problem, dass dringlich erklärte Bundesgesetze dem obligatorischen Referendum unterstehen (Art. 140 Abs. 1 lit. c BV), soweit sie länger als ein Jahr in Kraft sind.54 Man stelle sich ein Szenario vor, in dem der Bundesrat mehr als ein Jahr lang gestützt auf diese Amtszeitverlängerung durch eine Krise führt und die weiteren Geschäfte weiterführt, danach aber aufgrund einer Abstimmung nachträglich die Legitimation der gesamten Handlungen seit Amtszeitverlängerung verliert.
Praktisch bedeutsamer ist aber noch eine andere Schwäche dieses Lösungsvorschlags. Mit der Amtszeitverlängerung können keine Ersatzwahlen vorgenommen werden, es liessen sich nur verunmöglichte Gesamterneuerungen auffangen. Sollte ein Bundesratsmitglied während einer Krise ausfallen (denkbar ist insbesondere in einer Krise nicht nur ein Rücktritt, sondern auch ein Todesfall), müsste der Bundesrat unterbesetzt weiterarbeiten. Der Vorschlag löst das Problem somit nicht, zumal er kaum mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist.55
Anstelle des absoluten Verbots wäre der im Ständerat abgelehnte Formulierungsvorschlag der SPK-S vorzuziehen gewesen, der virtuelle geheime Wahlen zugelassen hätte, «wenn der Schutz des Wahlgeheimnisses und die Informationssicherheit gewährleistet sind».56 Es ist nicht auszuschliessen, dass eine geheime virtuelle Wahl in naher Zukunft technisch umsetzbar sein wird. So hat beispielsweise der Europarat in der Covid-19-Krise bereits (geheime) Wahlen der EGMR-Richter hybrid durchgeführt.57 Selbst wenn die Sitzungen hybrid oder komplett virtuell durchgeführt werden, besteht zudem die Möglichkeit, bspw. über Briefwahlen analoge Wahlen durchzuführen.58 Das ist zugegeben eine äusserst unpraktische und langsame Lösung, die sich wohl vor allem für hybride Sitzungen eignet. Aufgrund der kurzen Reisedistanzen in der Schweiz und bei einer dezentralisierten Auszählung der Wahlzettel, sollten aber selbst bei komplett virtuell durchgeführten Sitzungen dennoch mehrere Wahlgänge pro Tag möglich sein.59 Das ist selbstverständlich keine ideale Lösung, aber verhältnismässiger, als während einer langanhaltenden Krise – mit der üblichen und notwendigen Machtkonzentration bei der Exekutive – einen in Abweichung von der Verfassung und dem vorgegebenen demokratischen Verfahren gewählten Bundesrat ohne ausreichende Legitimation weiterregieren zu lassen.
C.
Die Sache mit den Ressourcen… ^
Der Bericht der SPK-N setzt klar zum Ziel, dass die parlamentarischen Kommissionen möglichst selbst in der Lage sein sollten, Entwürfe für dringliche Bundesgesetze oder Verordnungen der Bundesversammlung auszuarbeiten.60 Heute, und so weit absehbar auch in Zukunft, spielt bei parlamentarischen Initiativen der Beizug der Bundesverwaltung aber eine sehr wichtige Rolle.61 Das ist für die Handlungsfähigkeit und für die institutionelle Unabhängigkeit des Parlaments nicht optimal. Bereits in normalen Zeiten stellt sich die Frage, inwiefern die entsprechenden Mitarbeitenden der Bundesverwaltung in einem Loyalitätskonflikt sein könnten, wenn sie für die Bundesversammlung Aufträge erfüllen.62 Dieses Problem wäre in Krisensituationen, in denen das Parlament bspw. eine Notverordnung des Bundesrats überschreiben möchte, wohl grösser, da dieselben Expertinnen und Experten der Bundesverwaltung, die an den Verordnungen des Bundesrats mitarbeiten, auch das Parlament bspw. bei der Erarbeitung der überschreibenden Parlamentsverordnungen (Art. 173 Abs. 1 lit. c BV) unterstützen müssten. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Expertinnen und Experten in einer Krise auch ressourcenmässig bereits stark von den Departementen beansprucht werden, womit die durch das Parlament eingeforderte Unterstützung auch rein mit Blick auf die Ressourcen der betroffenen Mitarbeitenden der Bundesverwaltung problematisch sein kann.
Immerhin hat in Folge der pa.Iv. 20.437/20.438 die SPK-S bei der Verwaltungsdelegation beantragt, für den Voranschlag mehr Stellen für die Parlamentsdienste zu schaffen.63 Wie aus dem Voranschlag 2024 zu entnehmen ist, werden die Kommissionssekretariate mit insgesamt fünf zusätzlichen Stellen für wissenschaftliche Mitarbeitende gestärkt.64 Das genügt natürlich keineswegs, um das Parlament vom Einbezug der Bundesverwaltung unabhängiger zu machen.65 Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2024 wird die Bundesverwaltung gemäss dem EFD über 38’901 Vollzeitstellen verfügen, die Parlamentsdienste machen dabei lediglich 253 Stellen davon aus.66
3.3.
Genügen die parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten? ^
Wie bereits dargelegt, haben Stimmen in der Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft die passive Rolle des Parlaments während der Covid-19-Krise kritisiert oder zumindest festgestellt.67 Mit der vorliegenden Revision hat der Gesetzgeber insbesondere durch die neue Konsultationspflicht und die Anpassung von Fristen seine Mitwirkungsrechte in Krisensituationen verbessert und damit sein Instrumentarium68 erweitert und optimiert. Dennoch stellt sich die Frage – zumal diese Instrumente mehrheitlich während der Covid-19-Krise bereits bestanden –, ob es das Parlament bei dieser Revision verpasst hat, weitergehende Instrumente wie bspw. ein Verordnungsveto einzuführen.69 Konkret stehen dem Parlament nach dieser Revision insbesondere folgende Instrumente und Möglichkeiten der Mitwirkung in Bezug auf die Krisenbewältigung zur Verfügung:
- Obligatorische Konsultation nach Art. 151 Abs. 2bis ParlG;70
- Vorläufige Zustimmung der FinDel nach Art. 28 und 34 FHG sowie die nachträgliche Genehmigung oder Ablehnung durch das Parlament;71
- Notverordnungskompetenz nach Art. 173 Abs. 1 lit. c BV;72
- Dringlicherklärung von Bundesgesetzen nach Art. 165 BV;
- Motionen (insbesondere gleichlautende);
- Postulate;
- Überführung von Notverordnungen in das ordentliche Recht (nach Art. 7d RVOG);
- Parlamentarische Oberaufsicht;
- informelle Kontakte.
Das Instrumentarium ist breit und kann auf eine Vielzahl von verschiedenen Situationen angewendet werden. Die Instrumente sind auch vielseitig anwendbar. So können bspw. Parlamentsverordnungen nach Art. 173 Abs. 1 lit. c BV genutzt werden, um entweder nur einzelne Punkte einer bundesrätlichen Notverordnung zu überschreiben oder aber um selbst eine eigene Regulierung für die Krisengouvernanz zu erlassen.73 Wenn ein konkreter Erlassentwurf vorliegt, ist die Dringlicherklärung von Bundesgesetzen zudem auch rasch möglich.74 Während der Covid-19-Krise dauerte es bei der Revision des Luftfahrtgesetzes von der Botschaft des Bundesrates vom 29. April 2020 gerade mal sieben Tage bis zur Schlussabstimmung in beiden Räten.75 M.E. kann deshalb nicht gesagt werden, dass dem Parlament die Instrumente fehlen, um in einer Krise eine aktivere Rolle einzunehmen.
Ein Blick auf die Arbeit des Parlaments während der Covid-19-Krise zeigt ebenfalls auf, dass das Instrumentarium nicht der Grund war, weshalb das Parlament nicht eine aktivere Rolle eingenommen hat. Im Zeitraum vom 24. Februar bis 18. Juni 2021 hat das Parlament 88 Postulate und 304 Motionen mit einem Covid-19-Bezug eingereicht.76 Dagegen wurden in den Räten im selben Zeitraum 32 Postulate und 40 Motionen, die einen Covid-19-Bezug hatten, angenommen. In Zahlen ausgedrückt wurden also gerade mal knapp 13,16% der eingereichten Motionen von den Räten angenommen.77 Zwar konnte vorliegend keine detaillierte Analyse der eingereichten Motionen und deren Inhalt und Bedeutung für die Krisenbewältigung vorgenommen werden, die Zahlen sagen jedoch trotzdem etwas aus: Der politische Konsens ist bereits bei Einzelfragen schwer zu finden.78
M.E. ist das ein deutliches Indiz dafür, dass das Parlament als Gremium nicht geeignet ist, innert sehr kurzer Zeit umfassend eine Krise zu regulieren.79 Vor diesem Hintergrund scheint es folgerichtig zu sein, dass das Parlament sein bereits weitgehendes Instrumentarium – abgesehen von der Konsultationspflicht – nicht erweitert hat, sondern in der Revision den Schwerpunkt daraufgesetzt hat, die bestehenden Instrumente in der Krise schneller und effizienter nutzen zu können und seine Handlungsfähigkeit sicherzustellen.
4.
Zusammenfassung ^
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es dem Gesetzgeber im Rahmen der vorliegenden ParlG-Revision gelungen ist, die Rahmenbedingungen für eine stärkere parlamentarische Beteiligung in Krisenzeiten zu schaffen und insbesondere die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisen zu verbessern. Mit der Stärkung der gleichlautenden Kommissionsmotion durch die Kürzung der bundesrätlichen Fristen, der Möglichkeit einer ausserordentlichen Session, die unverzüglich einberufen werden muss, und der Stärkung der Kommissionen sind die Voraussetzungen für rasche Interventionen des Parlaments gegeben, ohne allzu stark von den gewohnten Prozessen abweichen zu müssen.
In gewissen kritischen Einzelfragen wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die vorgenommenen Änderungen verbessert. Die Digitalisierungsbestimmungen bspw. stellen zwar einen Fortschritt dar, aber ausgerechnet bei Abstimmungen und Wahlen weisen sie aufgrund starrer Regeln konzeptionelle Fehler auf. Gerade in einer Krise ist es umso wichtiger, dass die grundlegenden Prozesse der Demokratie (wie Wahlen und Abstimmungen) sauber abgewickelt werden können, ohne dass sich Vertrauens- und Legitimationsfragen stellen. Praktische Probleme wird auch die Änderung des Vernehmlassungsgesetzes mit sich bringen. Sofern die gesetzlichen Ermächtigungen zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 ParlG nicht ebenfalls auf die Verzichtliste für Vernehmlassungen aufgenommen werden, wird sich der Bundesrat in Zukunft zwischen der Einhaltung des Vernehmlassungsgesetzes oder dem raschen Erlass einer Verordnung entscheiden müssen.
Die ParlG-Revision ist eine pragmatisch vorgenommene, punktuelle Verbesserung einzelner Aspekte der Funktionsweise des Parlaments. Das der Revision zugrundeliegende Konzept der Krisengouvernanz entspricht dem in der Praxis Bewährten: Der Bundesrat trägt die Hauptverantwortung. Will das Parlament in einer Krise allerdings mehr als nur ein «Mitläufer des Bundesrats»80 sein, stellen sich doch Fragen: Findet das Parlament in einer Krise überhaupt den politischen Konsens, um zu handeln? Und erlauben die Ressourcen dem Parlament überhaupt eine aktivere Rolle?
Eine allgemeine Antwort auf diese Fragen gibt es wohl nicht, da sich in jeder Krise – genau genommen jedes Mal, wenn das Parlament sich während einer Krise einbringen möchte – die Ausgangslage anders gestalten kann. Will das Parlament sich bspw. eher zur politischen Ausgestaltung der Krisenführung einbringen, ist das Ressourcenproblem wohl kleiner, dafür aber die Schwierigkeit, einen politischen Konsens zu finden, u.U. grösser. Hat sich das Parlament aber im Vorfeld einer Krise bereits eingehend mit einem Thema auseinandergesetzt – wie es bspw. bei der Axpo-Rettung der Fall war –,81 kann man davon ausgehen, dass die politischen Linien besser bekannt sind und allfällige parlamentarische Vorstösse auch konsensfähiger ausgestaltet werden können. Handlungsfähigkeit bedeutet aber auch, dass das Parlament unabhängig von der Art einer Krise seine Rolle wahrnehmen kann, und das ist aktuell aufgrund des Ressourcenproblems insbesondere bei langanhaltenden Krisen nicht möglich. Wie der Kommissionsbericht selbst festhält, können die Kommissionen in Krisenzeiten nicht auf die volle Unterstützung der Verwaltung zählen, und die Ressourcen beschränken die Möglichkeit der Wahrnehmung der vielfältigen Rechte des Parlaments.82
Die Situation bleibt deshalb auch nach dieser Revision – trotz verbessertem Instrumentarium – unbefriedigend. Nicht weil das Parlament bei einer nächsten langanhaltenden Krise eine aktivere Rolle einnehmen muss als bisher, sondern weil es diese aktivere Rolle nach dem heutigen Stand gar nicht einnehmen könnte. Bei diesem Problem muss das Parlament für seine Handlungsfähigkeit nun ansetzen. Die vorliegende Revision – mit all ihren äusserst positiv zu wertenden Verbesserungen für die Handlungsfähigkeit und Mitwirkung des Parlaments – ist nur der erste Schritt.
Luis A. Maiorini, MLaw, ist SNF-Doktorand am Institut für Föderalismus der Universität Freiburg. Er forscht zurzeit zur «Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Krisenzeiten» im Rahmen des NFP 80 (Covid-19 in der Gesellschaft).
Gedankt sei an dieser Stelle Prof. Dr. Andreas Stöckli für die reichhaltigen Diskussionen und den wegweisenden Inputs sowie MLaw Max Ammann für die kritische Durchsicht des Manuskripts.
Diese Forschung wurde ganz oder teilweise durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) (209937) gefördert. Zur Umsetzung von Open Access wird eine Creative Commons Attribution CC BY Lizenz auf jedes Author’s Accepted Manuscript angewendet, das aus dieser Einreichung hervorgeht. Dieser Beitrag ist lizenziert unter Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).
- 1 https://www.tagesanzeiger.ch/die-demokratie-macht-pause-478598592175 (besucht am 1. März 2024).
- 2 Glaser/Gfeller gehen dabei von einem breiteren Begriff des parlamentarischen Instruments aus als die SPK-N (Andreas Glaser/Katja Gfeller, Das Ringen des Parlaments um mehr Macht, Rückschlag infolge der Corona-Pandemie?, in: Jusletter 5. Oktober 2020, N 49). Die SPK-N setzt in ihrem Bericht parlamentarische Instrumente mit den parlamentarischen Vorstössen gleich und hat somit bspw. nach eigener Auffassung das parlamentarische Instrumentarium mit dieser Revision nicht erweitert (siehe Bericht der SPK-N vom 27. Januar 2022 zu Parlamentarische Initiativen Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessern/Nutzung der Notrechtskompetenzen und Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts in Krisensituationen, BBl 2022 301 [zit. Bericht SPK-N], S. 3). Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff eines parlamentarischen Instruments wie bei Glaser/Gfeller ebenfalls breiter verstanden, womit insbesondere die Konsultation auch als parlamentarisches Instrument einzuordnen ist.
- 3 Giovanni Biaggini, Das Verfassungsgefüge im Stresstest der Pandemie, Über Defizite im rechtsstaatlich-demokratischen Schutzdispositiv (ausgehend von den Beispielen «Notrecht» und Covid-Zertifikat), ZBl 123/2020 S. 59 ff., S. 85 ff.; in diesem Sinne wohl auch Ammann/Uhlmann die sich eine aktivere Rolle des Parlaments aufgrund der fehlenden Verfassungsgerichtsbarkeit wünschen, siehe Odile Ammann/Felix Uhlmann, Switzerland: The (Missing) Role of Parliament in Times of Crisis, in: Matthias C Kettemann/Konrad Lachmayer (Hrsg.), Pandemocracy in Europe, Power, Parliaments and People in Times of COVID-19, Oxford et al. 2022, S. 179 ff., S. 181.
- 4 Markus Müller, Verhältnismässigkeit, Gedanken zu einem Zauberwürfel, 2. Auflage, Bern 2023, S.152 f.
- 5 Müller (Fn. 4), S. 154.
- 6 Siehe für eine gute Chronologie der Ereignisse Andrea Caroni/Stefan G. Schmid, Notstand im Bundeshaus, Die Rolle der Bundesversammlung in der (Corona-)Krise, AJP 2020/6, S. 710 ff., S. 711 f.
-
7
Die verantwortliche Subkommission der SPK-N folgte bei der Erarbeitung der Vorschläge folgenden Grundsätzen (siehe Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 38 f.):
1. Das Parlament als «oberste Gewalt im Bunde» (Art. 184 BV) muss auch in Krisenzeiten jederzeit handlungsfähig sein.
2. Die Räte sollen jederzeit tagen können. Dazu sollen sie sich unbürokratisch an alternativen Tagungsorten versammeln und auch Sitzungen virtuell durchführen können. Das Tagungsrecht der Räte darf durch keine andere Behörde eingeschränkt werden.
3. Die parlamentarischen Kommissionen müssen ihr Selbstbefassungsrecht wahrnehmen können. Somit sollen sie jederzeit eigenständig beschliessen können, Sitzungen durchzuführen. Auch sie sollen dazu digitale Instrumente und alternative Tagungsorte nutzen können.
4. Das parlamentarische Instrumentarium muss in Krisenzeiten effizient genutzt werden können. Dazu müssen für Krisenzeiten allenfalls flexiblere Fristen vorgesehen werden.
5. Dem Parlament und seinen Organen müssen genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, damit die parlamentarischen Rechte auch in Krisenzeiten effizient wahrgenommen werden können. - 8 AS 2023 483.
- 9 So auch die Gliederung im Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 10.
- 10 Beim Aussetzen der ordentlichen Session während der Covid-19-Krise haben die Büros beider Räte beschlossen, dass nur Kommissionssitzungen für dringende Geschäfte zum Bewältigen der ausserordentlichen Lage erlaubt sind (Medienmitteilung der Büros vom 19. März 2020, abrufbar unter: https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-bue-n-s-vd-2020-03-19.aspx?lang=1031 [zuletzt besucht am 1. März 2024]); zur Zulässigkeit dieses Vorgehens siehe Felix Uhlmann/Martin Wilhelm, Die Durchführung von Sessionen und Kommissionssitzungen in ausserordentlichen Lagen, Kurzgutachten zuhanden der sozialdemokratischen Fraktion der eidgenössischen Räte, 3. April, N 48 ff., die ein Aussetzen der Kommissionssitzungen «über mehrere Monate» gar als verfassungswidrig bezeichnen (N 58); vgl. auch Caroni/Schmid (Fn. 6), S. 717 f.; siehe auch Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 39.
- 11 Vgl. Caroni/Schmid (Fn. 6), S. 718.
- 12 Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 68.
- 13 Es ist insbesondere nach wie vor ein hängiger Beratungsgegenstand notwendig (siehe Bericht SPK-N [Fn. 2], S. 60).
- 14 Im entsprechenden Rat braucht es vor Ort ein gültiges Quorum (Art. 10a Abs. 1 ParlG).
- 15 Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 61.
- 16 Der Begriff der höheren Gewalt orientiert sich gemäss dem Bericht der SPK-N an Artikel 1051 Abs. 1 und 1131 Absatz 1 OR (siehe Bericht SPK-N [Fn. 2], S. 61 f.).
-
17
Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 62; siehe dazu insbesondere
Andrea Caroni/Martin Graf, Wahrung der Sessionsteilnahmegarantie in einer Pandemie?, Das dringliche Bundesgesetz ohne Verfassungsgrundlage zur Änderung des Parlamentsgesetzes vom 10. Dezember 2020, in: Jusletter 15. Februar 2021, N 24 ff. - 18 Über einen Ordnungsantrag könnte der betroffene Rat zu Beginn der virtuellen Ratssitzung eine Rückkehr zu physischen Sitzungen fordern.
- 19 https://www.tagesanzeiger.ch/die-demokratie-macht-pause-478598592175 (besucht am 1. März 2024).
- 20 Die sozialdemokratische Fraktion der eidg. Räte gab zur Klärung dieser Frage ein Gutachten in Auftrag. Uhlmann/Wilhem kommen im Gutachten zum Schluss, dass das Gesetz in dieser Zuständigkeitsfrage bisher eine Lücke enthielt. Geht man von dieser Lücke aus, ist es gemäss Uhlmann/Wilhelm naheliegend, dass die Büros der Räte die Zuständigkeit eines Sessionsunterbruchs oder Sessionsabbruchs haben, siehe Felix Uhlmann/Martin Wilhelm, Sessionsabbruch und Einberufung zu einer ausserordentlichen Session, Kurzgutachten zuhanden der sozialdemokratischen Fraktion der eidgenössischen Räte, 16. April 2020, N 32; auch Caroni/Graf (Fn. 17), N 14.
- 21 Martin Graf, Kommentar zu Art. 112 ParlG, in: Martin Graf/Cornelia Theler/Moritz von Wyss (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung, Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13. Dezember 2002 (zit. Graf, Art. 112 ParlG), N 21.
- 22 Gleichlautende Motionen erlauben eine gleichzeitige Behandlung eines Vorstosses in beiden Räten, was Zeit spart. Nehmen beide Räte eine solche gleichlautende Kommissionsmotion an, gilt sie als angenommen (Art. 121 Abs. 5 lit. b ParlG).
- 23 Gemäss dem Kommissionssprecher setzen gleichlautende Kommissionsmotionen viel politischen Willen und Koordination voraus und geschehen nur in wichtigen Fällen. Dies begründet eine Stärkung des Instruments auch ausserhalb von Krisenzeiten (siehe Votum Rutz AB N 2022 409).
- 24 Siehe Votum Rutz AB N 2022 409.
- 25 Die FinDel (Art. 51 ParlG) und die GPDel (Art. 53 ParlG) sind jeweils aus drei Mitgliedern beider Finanzkommissionen bzw. Geschäftsprüfungskommissionen zusammengesetzt. Insbesondere die FinDel spielt in der Krisengouvernanz eine entscheidende Rolle, da sie vorgängig bei Dringlichkeit die Zustimmung eines Verpflichtungskredits geben (Art. 28 FHG) sowie dringliche Nachtragskredite (Art. 34 FHG) vorläufig genehmigen muss. In beiden Fällen muss die Bundesversammlung nachträglich die Genehmigung erteilen.
- 26 Die SPK-N hatte ursprünglich die Schaffung einer Verwaltungskommission gefordert, was der Ständerat jedoch ablehnte bzw. nicht im Rahmen dieser Revision behandeln wollte. In der Folge hat die SPK-N die pa.Iv. 23.471 «Stärkung der Kontinuität und der Unabhängigkeit der obersten Leitung der Parlamentsverwaltung» eingereicht, in der das Thema wieder aufgegriffen wird.
- 27 In der Lehre wurden einige der vorgenommenen Änderungen bereits im Vorfeld gefordert oder diskutiert. So wünschten Caroni/Schmid die Überprüfung eines Tagungsrechts der Kommissionen und die Verankerung der Eckpunkte virtueller Kommissionsarbeit (siehe Caroni/Schmid [Fn. 6], S. 718). Stöckli schlug u.a. die Schaffung einer «dringlichen Notrechtsmotion» vor, was mit den verkürzten Fristen und der Stärkung gleichlautender Kommissionsmotionen umgesetzt wurde (siehe Andreas Stöckli, Gewaltenteilung in ausserordentlichen Lagen – quo vadis?, Lehren aus der Corona-Krise, in: Jusletter 15. Februar 2021, N 34).
- 28 So auch im Fazit des Berichts SPK-N (Fn. 4), S. 37; in den Kommissionsprotokollen wird festgehalten, dass die Anwendung der einzelnen Instrumente während einer Krise nahezu gleich lange dauern würde. Ein Verordnungsveto würde also bspw. gleich viel Zeit von der Idee bis zur Verabschiedung benötigen wie das Überschreiben einer Notverordnung via dringliches Bundesgesetz (Art. 165 BV) oder einer parlamentarischen Verordnung nach Art. 173 Abs. 1 lit. c BV.
- 29 Siehe dazu unten Kapitel 3.3; sowie Stöckli (Fn. 27), N 15 f.
- 30 Ulrich Häfelin et al., in: Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 10. Auflage, Zürich et al. 2020, N 1574.
- 31 In den Kommissionsprotokollen ist davon die Rede, dass organisatorische Fragen zu Beginn der Covid19-Krise politische Diskussionen des Parlamentes paralysierten.
- 32 Siehe Votum Sommaruga AB S 2020 177; sowie Caroni/Schmid (Fn. 6), S. 719. Sie halten fest, dass u.a. mit diesen kürzeren Fristen der Bundesrat nicht nur die Defizite parlamentarischer Instrumente in Krisenzeiten auffangen wollte, sondern auch Notverordnungen der Bundesversammlung vermieden werden sollten. Dies sei bei einem «Dialog unter Gewalten» so beschlossen worden; siehe dazu insbesondere auch das vom Ständerat herausgegebene Buch «En Route 2020, Der Ständerat im Jahr der ausserordentlichen Lage», Bern 2020, S. 216.
- 33 So auch die Voten von Caroni AB N 2022 988 f.
- 34 Diese Berichterstattungspflicht wird als Alternative zum Verordnungsveto betrachtet (siehe Votum Rutz AB N 2022 409).
- 35 Siehe Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 55.
- 36 Siehe Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 57.
- 37 Siehe Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 54.
- 38 Siehe Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 52.
- 39 Siehe Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 53.
- 40 Befugnisse, die über eine Konsultation hinausgehen, wären mit Art. 153 Abs. 3 BV wohl nicht zu vereinbaren; so auch im Bericht der SPK-S vom 26. April 2021 zur pa.Iv. Rieder (20.414), Schaffung einer Rechtsdelegation (ReDel), S. 2.
- 41 Zudem bereits gefordert von Stöckli, Gewaltenteilung (Fn. 27), N 37.
- 42 Ein Vernehmlassungsverfahren muss gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. d VlG stattfinden, bei «Verordnungen und anderen Vorhaben, die von grosser politischer, finanzieller, wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer oder kultureller Tragweite sind». Die Verordnungen gestützt auf eine gesetzliche Ermächtigung zur Bewältigung einer Krise nach Anhang 2 des ParlG werden in den allermeisten Fällen unter diese Bestimmung fallen.
- 43 Vgl. für Praxisbeispiele Florian Brunner/Martin Wilhelm/Felix Uhlmann, Das Coronavirus und die Grenzen des Notrechts – Überlegungen zu einer ausserordentlichen ausserordentlichen Lage, AJP 2020/6, S. 685 ff., S. 690, Fn. 53; sowie zur Lehre David Rechsteiner, Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Notrecht, Präzisierungen und Weiterentwicklungen im Recht der besonderen und ausserordentlichen Lagen, S&R 2020/3, S. 118 ff., S. 121.
- 44 Gemäss Art. 76 Abs. 3ter dürfen Ordnungsanträge für eine Abstimmungswiederholung nur unmittelbar nach der Abstimmung gestellt werden, was Missbrauch verhindern und Vertrauen in Abstimmungen fördern soll (siehe Bericht der SPK-N vom 18. August 2017 zu Parlamentarische Initiative. Verschiedene Änderungen des Parlamentsrechts. BBl 2017 6797, S. 6815 ff.).
- 45 Siehe Votum Caroni AB S 2022 985; auch bereits der Bericht der SPK-N zur ersten Fassung von Art. 10a ParlG (Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates zu Parlamentarische Initiative: Nationalratsmitglieder, die wegen der COVID-19-Krise verhindert sind. Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit, BBl 2020 9271 ff., 9279).
- 46 AB S 2022 984 ff.; AB N 2022 2270 ff.
- 47 Fraglich ist zudem, ob der Verzicht auf eine Abstimmungswiederholung mit Blick auf die Gleichstellung der Ratsmitglieder überhaupt zulässig ist (siehe zur Gleichberechtigung der Ratsmitglieder Moritz von Wyss, Maximen und Prinzipien des parlamentarischen Verfahrens, Eine Untersuchung über die Schweizerische Bundesversammlung, Diss. Zürich 2001 [Zürcher Studien zum öffentlichen Recht Band 136], S. 83 ff.).
- 48 Caroni/Graf (Fn. 17), N 32.
- 49 Ein Lösungsansatz findet sich allenfalls in den Ratsreglementen. Wenn ein «technischer Fehler» das Risiko beherbergt, ein verfälschtes Abstimmungsresultat wiederzugeben, könnte man das auch als einen Ausfall der Anlage qualifizieren. Der Zweck der elektronischen Anlage vor Ort, aber auch einer virtuellen Abstimmungsmöglichkeit ist es ja, den Willen des Parlaments unverfälscht wiederzugeben. Tut sie das nicht, liegt ein Ausfall vor. Bei einem Ausfall der elektronischen Stimmanlage sehen die Ratsreglemente vor, dass eine Abstimmung per Namensausrufen durchgeführt werden muss (Art. 44 Abs. 2 GRS bzw. Art. 58 GRN), was auch bei hybriden oder virtuellen Ratssitzungen möglich wäre.
- 50 Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 62.
- 51 Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 63.
- 52 So auch Pierre Tschannen, Kommentar zu Art. 165 BV, in: Bernhard Ehrenzeller/Patricia Egli/Peter Hettich/Peter Hongler/Benjamin Schindler/Stefan G. Schmid/Rainer J. Schweizer(Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar 4. Auflage, Zürich et al. 2023 (zit. SGK-Tschannen, Art. 165 BV), N 18; sowie bereits zur Parallelbestimmung in der aBV Peter Buss, Das Dringlichkeitsrecht im Bund, Eine Untersuchung über den dringlichen Bundesbeschluss nach Art. 89bis und die Dringlichkeitspraxis der Bundesversammlung während der Jahre 1960–1980, Diss. Basel 1983, S. 51; nach Biaggini legt der Wortlaut der Bestimmung nahe, dass Art. 165 Abs. 3 BV lediglich die Möglichkeit einer Abweichung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie von der Wirtschaftsfreiheit erlaubt (Giovanni Biaggini, Kommentar zu Art. 165 BV, in: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kommentar, Zürich 2007, N 11); das ist gemäss Hangartner et al. auch die verbreitetste Auffassung in der Literatur, wobei aus ihrer Sicht der Wortlaut dennoch keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung auf bestimmte Verfassungsnormen erkennen lässt (siehe Hangartner et al., Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2023, N 1115); schliesslich ist auch noch anzumerken, dass selbst, wenn man auch von organisatorischen Regelungen der Verfassung abweichen dürfte, Art. 165 Abs. 3 BV äusserst restriktiv anzuwenden ist und zwar nur dann, wenn das Vorgehen «geradezu als unumgänglich eingestuft» wird (siehe Wyttenbach Kommentar zu Art. 165 BV, in: Bernhard Waldmann/Eva Maria Belser/Astrid Epiney (Hrsg.), Basler Kommentar, Bundesverfassung, Art. 165 BV, 1. Auflage, Basel 2015, N 17). Wie hier aber aufgezeigt wird, bestehen durchaus verfassungskonforme Alternativen zu einer Amtszeitverlängerung gestützt auf Art. 165 Abs. 3 BV, sollten während einer Krise, die physische Tagungen des Parlaments verunmöglicht, Wahlen durchgeführt werden müssen (siehe insbesondere Fn. 52). Die von der SPK-N vorgeschlagene Lösung bleibt somit unanwendbar.
- 53 Jörg P. Müller, Gebrauch und Missbrauch des Dringlichkeitsrechts, Bern 1977, S. 23; Konkret müsste man sich auch die Frage stellen, ob man in einer solchen Extremsituation, in der aufgrund der Geheimhaltung droht, keine Regierung mehr wählen zu können, nicht lieber auf geheime Wahlen verzichtet werden sollte. Dies bedarf «nur» einer Abweichung vom Parlamentsgesetz (Art. 130 Abs. 1 ParlG) und wäre weniger gravierend, als gar keine Wahl durchzuführen.
- 54 Bei einer Befristung des dringlichen Bundesgesetzes auf unter ein Jahr könnte das Referendum vermieden werden (siehe SGK-Tschannen, Art. 165 BV [Fn. 52], N 8).
- 55 Siehe zur Verfassungsmässigkeit Fn. 52.
- 56 Siehe AB S 2022 984 ff.
- 57 Bspw. auch bei der Wahl des aktuellen Schweizer Richters Andreas Zünd im Januar 2021: https://pace.coe.int/en/news/8157/hybrid-winter-plenary-session-2021 (zuletzt besucht am 1. März 2024).
- 58 Der Europarat hat sowohl für die hybriden Wahlen als auch für mögliche Briefwahlen ein Verfahren vorbereitet. Siehe für die beiden Verfahren Appendix XI, S. 206 ff. der «Rules of Procedure of the Assembly», abrufbar unter: https://pace.coe.int/en/pages/procedure (zuletzt besucht am 1. März 2024).
- 59 Was unter Einhaltung aller Sicherheits- und Vertraulichkeitsvorschriften möglich sein sollte.
- 60 Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 42.
- 61 Martin Graf, Kommentar zu Art. 68 ParlG, in: Martin Graf/Cornelia Theler/Moritz von Wyss (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung, Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13. Dezember 2002, N 5; auch Tschannen hält fest, dass die Parlamentsdienste trotz fortwährenden Ausbaus in den letzten Jahren «den Informationsrückstand des Parlaments gegenüber der Administration nicht annähernd auszugleichen [vermögen]», siehe Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 5. Auflage, Bern 2021, N 1322.
- 62 Siehe dazu Graf, Art. 112 ParlG (Fn. 21), N 14.
- 63 Auskunft der Parlamentsdienste.
- 64 Siehe: https://www.efv.admin.ch/dam/efv/de/dokumente/Finanzberichte/finanzberichte/va_iafp/2024/va-2a-2024.pdf.download.pdf/Voranschlag%202024%20%20-%20Band%202A%20-%20DE.pdf, S. 11 (zuletzt besucht am 1. März 2024), wobei der Text missverständlicherweise von «wissenschaftliche Mitarbeitende in den Kommissionsekretariaten der Staatspolitische Kommission SPK» spricht, als ob nur die SPK von den neuen Stellen profitieren würde. Dabei kommt gemäss Auskunft der Parlamentsdienste der Ausbau dem ganzen Ressort Kommissionen zugute.
- 65 Zur Klarstellung: Damit soll auf keinen Fall die Kompetenz und Expertise der Mitarbeitenden der Parlamentsdienste in Frage gestellt werden. Es scheint mir aber bspw. äusserst unwahrscheinlich, dass die Parlamentsdienste jemals über eigene Epidemiologen verfügen werden. Dafür fehlt in normalen Lagen schlicht der Bedarf. Bei der Bundesverwaltung hingegen ist diese Expertise vorhanden.
- 66 Zum Vergleich: Der Bundestag in Deutschland verfügt über Parlamentsdienste mit über 3’200 Mitarbeitenden, insgesamt aber über 10’000 Angestellten (https://www.bundestag.de/parlament/verwaltung [zuletzt besucht am 1. März 2024]). Der Bundesrat in Deutschland verfügt über zusätzliche 250 Stellen in seinen eigenen Parlamentsdiensten (https://www.bundesrat.de/DE/bundesrat/sekretariat/sekretariat-node.html [zuletzt besucht am 1. März 2024]).
- 67 Siehe bspw. Glaser/Gfeller (Fn. 2), N 39 ff.; Giovanni Biaggini, «Notrecht» in Zeiten des Coronavirus – Eine Kritik der jüngsten Praxis des Bundesrats zu Art. 185 Abs. 3 BV, ZBl 121/2020, S. 239 ff., S. 265; Andreas Stöckli/Eva Maria Belser/Bernhard Waldmann, Gewaltenteilung in Pandemiezeiten, NZZ vom 26. Mai 2020, S. 8.
- 68 Siehe zum Begriff des Instruments Fn. 2.
- 69 Wobei für ein Verordnungsveto wohl eine Verfassungsänderung nötig wäre.
- 70 Graf zieht dabei ein grundsätzlich positives Fazit zur Wirkung der Konsultationen während der Covid-19-Krise, soweit deren Wirkung überhaupt erkennbar ist (siehe Martin Graf, Konsultation parlamentarischer Kommissionen zu Verordnungsentwürfen, LeGes 32 (2021) 2).
- 71 Es besteht vorliegend kein Platz, um die Rolle des Parlaments nach Vorentscheiden der FinDel im Detail zu besprechen. Nach meinem Dafürhalten ist jedoch die Ansicht, die nachträgliche Genehmigung im Bundesparlament stelle nur eine politische Rüge dar, nicht mit Art. 153 Abs. 3 BV zu vereinbaren. Faktisch würde das nämlich eine abschliessende Delegation einer Finanzkompetenz an eine Kommission darstellen, was nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist (siehe zur Delegation der Finanzkompetenz auch von Wyss (Fn. 47), S. 191).
- 72 Die h.L. geht davon aus, dass die Notverordnungen des Parlaments denjenigen des Bundesrates vorgehen (siehe u.a. Urs Saxer/Florian Brunner, Kommentar zu Art. 173 BV, in: Bernhard Ehrenzeller/Patricia Egli/Peter Hettich/Peter Hongler/Benjamin Schindler/Stefan G.Schmid/Rainer J. Schweizer [Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar 4. Auflage, Zürich et al. 2023, N 46; a.M. Benjamin Märkli, Notrecht in der Anwendungsprobe – Grundlegendes am Beispiel der COVID-19-Verordnungen, Sicherheit und Recht 2020/2, S. 59 ff., S. 65).
- 73 Vorausgesetzt die Ressourcen dafür würden bestehen.
- 74 Wobei die Geschwindigkeit vom Inhalt des Gesetzes abhängig sein dürfte.
- 75 Siehe zur Chronologie: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20200039 (zuletzt besucht am 1. März 2024).
- 76 Siehe für Zahlen: Faktenbericht, Die Bundesversammlung und die Covid-19-Krise: Ein chronologischer Überblick, Stand 18.06.2021, abrufbar unter: https://www.parlament.ch/centers/documents/_layouts/15/DocIdRedir.aspx?ID=DOCID-1-10033 (zuletzt besucht am 1. März 2024).
- 77 Bei den Postulaten ist die Quote mit 36,36% zwar höher, aber ebenfalls tief.
- 78 Das ist nicht nur in Krisen der Fall. Zumindest war die Annahmequote von Motionen in derselben Legislatur auch unabhängig von der Covid-19-Krise mit ca. 18 % nicht wesentlich höher (die Zahl basiert auf eigener Berechnung, gestützt auf der Annahmequote der gesamten Legislatur [siehe dafür: https://www.parlament.ch/centers/documents/de/Statistikflyer-%c3%96ffentlichkeit-online-DE.pdf, S. 6, zuletzt abgerufen am 1. März 2024]), wobei ich die auf Covid bezogene Motionen abgezogen habe).
- 79 Ausführlicher zur faktischen Überlegenheit des Bundesrats in Notlagen Stöckli (Fn. 27), N 15 f.
- 80 Biaggini (Fn. 3), S. 85 ff
- 81 Bei Erlass der Verordnung befand sich ein Gesetzesentwurf für «Rettungsschirme» im parlamentarischen Prozess, weshalb der Bundesrat inhaltlich die parlamentarischen Debatten für die Notverordnung berücksichtigen konnte.
- 82 Bericht SPK-N (Fn. 2), S. 58.
Aucun commentaire