Der Fall betrifft einen Bürger der ehemaligen Sozialistischen Autonomen Provinz Kosovo, der anfangs der 1990er-Jahre in der Schweiz Asyl erhalten hatte. Damals gehörte dieses Gebiet mit speziellem Status zur Sozialistischen Republik Serbien, die ihrerseits mit den anderen Teilrepubliken Jugoslawien bildete.
Im Juni 2015 aberkannte das Staatssekretariat für Migration (SEM) dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft und widerrief ihm gleichzeitig das Asyl. Das Staatssekretariat begründete seinen Entscheid mit dem Wegfall der Umstände, auf Grund derer er als Flüchtling anerkannt worden war. Die Situation in Kosovo habe sich mit den Jahren verändert. Das SEM unterstrich zudem, dass das Verhalten des Betroffenen in der Schweiz ein zusätzlicher Grund war, um den Widerruf zu rechtfertigen, weil dieser in der Zwischenzeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Bürgerrechtsregelung in der Republik Kosovo
Das Bundesverwaltungsgericht analysiert vorab die kosovarische Bürgerrechtsregelung. Es gelangt zum Schluss, dass die Angehörigen der Diaspora, die regulär im Ausland leben, das Bürgerrecht der Republik Kosovo mit einer einfachen Anfrage erhalten. Es genügt der Nachweis, dass sie in diesem Gebiet geboren wurden. Dazu können sie verschiedenste Dokumente wie beispielsweise Geburtsurkunden und alte Identitätskarten aus der Zeit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens vorlegen. Enthalten die Zivilstandsregister einen Eintrag über den Betroffenen, steht einer raschen Erlangung des Bürgerrechts nichts entgegen. Bei Vorliegen der erwähnten Voraussetzungen handelt es sich somit um eine quasi-automatische Anerkennung der Staatsbürgerschaft und nicht um eine Einbürgerung im engeren Sinne.
Es sei daran erinnert, dass Kosovo vorher eine autonome Provinz der Sozialistischen Republik Serbien und, auf föderalistischer Ebene, Jugoslawiens war. Mit dem geschilderten Verfahren anerkennt heute der auf diesem Gebiet entstandene Nachfolgestaat jenen Menschen die Staatsangehörigkeit, die im Kontext der Balkankriege ins Ausland geflüchtet sind und das Bürgerrecht dieses Teilgebiets zuvor bereits besassen, wenn auch in seiner vorherigen jugoslawischen Bedeutung.
Gesetzliche Grundlagen
Das SEM widerruft gemäss Asylgesetz das Asyl und aberkennt die Flüchtlingseigenschaft, wenn Gründe nach Art. 1 Bst. C Ziff. 1 –6 der Flüchtlingskonvention vorliegen. Gemäss Ziff. 5 dieser Bestimmung fällt eine Person nicht mehr unter dieses Abkommen, wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz ihres Heimatstaates in Anspruch zu nehmen. Der Sinn dieser Bestimmung ist, dass der von der Schweiz gewährte internationale Schutz subsidiär zum Schutz ist, den der Heimatstaat gewähren muss. Kann dieser infolge einer wesentlichen Änderung der Umstände im Heimatstaat wieder in Anspruch genommen werden, hat der internationale Schutz keine Berechtigung mehr und die Flüchtlingseigenschaft kann aberkannt werden. Ausserdem entfällt der Schutz der Konvention gemäss Art. 1 Bst. C Ziff. 3 der Flüchtlingskonvention, wenn der Betroffene eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des neuen Heimatstaates geniesst. Es handelt sich dabei um alternative Aberkennungsgründe. Die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft hat auch den Widerruf des Asyls zur Folge.
Änderung der Umstände bestätigt
Das Bundesverwaltungsgericht war bereits im Referenzurteil D-1213/2011 vom 30. Januar 2015 zum Schluss gekommen, dass sich die Lage in Kosovo für Personen albanischer Volkszugehörigkeit grundlegend verändert hat. Die Einschätzung, wonach sich die Situation in Kosovo stabilisiert hat und die Lage mit Blick auf die asylrelevanten Kriterien als zufriedenstellend betrachtet werden kann, ist immer noch aktuell. Andererseits hätte auch eine alternative Anwendung von Art. 1 Bst. C Ziff. 3 der Konvention zum Widerruf des Asyls führen können.
Das Bundesverwaltungsgericht weist somit die Beschwerde des Betroffenen ab. Der Beschwerdeführer ist mit einem Bürger der aktuellen Republik Kosovo vergleichbar und kann den Schutz dieses Staates in Anspruch nehmen. Der Widerruf des Asyls und die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sind daher gerechtfertigt. Für den Status des Aufenthaltstitels, der dem Betroffenen in Anwendung des Ausländerrechts ausgestellt wurde, sind dagegen die kantonalen Behörden zuständig.
Dieses Urteil ist abschliessend und kann deshalb nicht beim Bundesgericht angefochten werden.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-4282-2015 vom 25. April 2019
Quelle: Medienmitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 2019
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