Liebe Leser*innen

Diese Schwerpunktausgabe beinhaltet die Grundzüge einer originellen Konferenz über die Anhörung und Einvernahme im strafrechtlichen Kontext «Fictions et réalités des auditions: Comment adopter des bonnes pratiques?», die am 17. Januar 2024 an der Universität Neuchâtel veranstaltet wurde, um die besten Methoden zu erforschen, die bei gerichtlichen Anhörungen und Einvernahmen zur Gewährleistung einer fairen und effizienten Praxis angewandt werden können.

Obwohl die Kunst, die «richtigen» Fragen zu stellen, ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit von Polizeibeamt*innen, Staatsanwält*innen sowie Rechtsanwält*innen, aber auch von Verwaltungsstrafverfolgungsbehörden und Gerichten ist, wird sie in der Lehre und Rechtsprechung kaum behandelt und in der juristischen Ausbildung nur selten angesprochen. Der rote Faden der Konferenz war vorgezeichnet: Was sind die richtigen Vorgehensweisen bei einer Anhörung? Eine scheinbar einfache Frage, die sich jedoch nur schwer beantworten lässt, so heikel kann sich eine Anhörung erweisen. Fachleute aus verschiedenen Bereichen und Disziplinen teilen ihre theoretischen Überlegungen und ihre Berufspraxis, um die Schwierigkeiten der juristischen Übung, die eine Anhörung bzw. eine Einvernahme darstellt, zu beleuchten. Wie erhält man detaillierte Informationen? Wie beurteilt man die Glaubwürdigkeit eines Berichts? Wie geht man mit einer emotionalen Situation um? Wie erkennt man eine Risikosituation bei einer Anhörung bzw. Einvernahme? Wie führt man eine Anhörung oder eine Einvernahme in Anwesenheit einer dolmetschenden Person? Wie verhält man sich als Rechtsvertretung bei der Vernehmung einer Mandantin bzw. eines Mandanten? Wie führt man als Richter*in eine Einvernahme in einem Strafverfahren durch?

An dieser Konferenz hat ein Kreis von leidenschaftlichen Expert*innen sowie Praktiker*innen teilgenommen, denen es ein Anliegen war, sowohl am Rednerpult als auch im Saal Antwortmöglichkeiten auf diese verschiedenen Fragen zu bieten. Diese Schwerpunktausgabe rollt den Faden des Tages auf und bietet eine Momentaufnahme der wichtigsten Herausforderungen des Anhörens und Einvernehmens, wie sie von den Referent*innen gezeichnet wurden, ein Bericht, der als Hintergrund für die Beiträge einiger der Teilnehmenden dient, welchen es ein Anliegen war, ihre Gedanken zu Papier zu bringen.

Die Tagung bot Gelegenheit zu einem regen Austausch, bei dem wir die Rechtswissenschaft mit anderen Disziplinen ins Gespräch brachten und über unsere verschiedenen Arten des Dialogs in der Rechtspraxis nachdachten. Dieser interdisziplinäre Dialog hat sich als fruchtbar und inspirierend erwiesen und es ist uns eine grosse Freude, einige ausgewählte Auszüge dieser Veranstaltung in dieser Schwerpunktausgabe mit den Leser*innen des Jusletter zu teilen.

Wir wünschen eine anregende und interessante Lektüre!

Prof. Nadja Capus und Prof. Véronique Jaquier Erard

Wissenschaftliche Beiträge
Auditions et enquêtes internes : un tandem à apprivoiser
Clara Poglia
Clara Poglia
Die Autorin befasst sich mit den Besonderheiten von Befragungen im Rahmen interner Untersuchungen im Vergleich zu gerichtlichen Vernehmungen, wobei sie die besondere Rolle des Rechtsanwalts in diesem Zusammenhang und die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes zur Festlegung des anwendbaren Rechtsrahmens hervorhebt. Darüber hinaus werden einige konkrete Aspekte der Vorbereitung solcher Befragungen behandelt. Dieser Artikel gibt den wesentlichen Inhalt eines Vortrags wieder, der anlässlich der Konferenz «Fiction et réalités des auditions» (Prof. N. Capus und V. Jaquier Erard) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Neuchâtel am 17. Januar 2024 gehalten wurde. (xf)
Auditionner avec l’aide d’une interprète
Silvia Cerrella Bauer
Silvia Cerrella Bauer
Dieser Artikel fasst den gleichnamigen Vortrag zusammen, der anlässlich der Konferenz «Fiction et réalités des auditions» (Prof. N. Capus und V. Jaquier Erard) an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Neuchâtel am 17. Januar 2024 gehalten wurde. In dem Vortrag wurde die entscheidende Rolle von Gerichtsdolmetscherinnen und -dolmetschern bei der Kommunikation zwischen den Justizbehörden und den an Rechtsverfahren beteiligten Parteien hervorgehoben. In den folgenden Abschnitten werden die besonderen Schwierigkeiten und Herausforderungen dieser Tätigkeit erörtert und sodann bewährte Praktiken für jede dieser Situationen vorgestellt. (xf)
L’art de l’audition réussie : Perspectives psychologiques
Teresa Schneider
Teresa Schneider
Rainer Banse
Rainer Banse
Susanna Niehaus
Susanna Niehaus
Ausgangspunkt für diesen Artikel war ein Vortrag anlässlich der Konferenz «Fiction et réalités des auditions» (Prof. N. Capus und V. Jaquier Erard) am 17. Januar 2024 in Neuchâtel. Mit der jüngsten Reform der Schweizer Strafprozessordnung, die am 1. Januar 2024 in Kraft trat, kommt der Qualität von Einvernahmen grössere Bedeutung zu. In diesem Beitrag wird erläutert, worauf im Rahmen eines Strafverfahrens aus psychologischer Sicht zu achten ist, um von Beschuldigten, Zeug:innen und mutmasslichen Opfern zuverlässige Angaben zu erhalten.
Auditionner pour juger
Katia Elkaim
Katia Elkaim
Der vorliegende Artikel gibt den wesentlichen Inhalt eines Vortrags anlässlich der Konferenz «Fiction et réalités des auditions» (Prof. N. Capus und V. Jaquier Erard) wieder, die am 17. Januar 2024 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Neuchâtel abgehalten wurde. Die Anhörung trägt zur Feststellung des Sachverhalts bei. Die Vorbereitung der Anhörung ist entscheidend, um Zeit zu sparen, indem man sich nur auf die relevanten Fragen konzentriert, und um Ungereimtheiten aufzudecken. Das Ziel des Richters ist es, den Sachverhalt zu ermitteln, zu klären oder zu verdeutlichen. Gutes Zuhören erfordert ein gutes Anhören, die Klärung von Erinnerungen, flüssige Befragungen und ein vorsichtiges Vorgehen angesichts der Empfindlichkeit des Gedächtnisses. (xf)
Simplifier les informations sur les droits et obligations
Cornelia Griebel
Cornelia Griebel
Verständnishürden unterschiedlicher Art können das Verstehen der Rechtsbelehrung bei einer Einvernahme behindern. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Grundsätze der Einfachen Sprache, analysiert verschiedene Ursachen für Unverständlichkeit und stellt Möglichkeiten der Vereinfachung vor. Der Artikel greift den Inhalt eines Vortrags auf, der am 17. Januar 2024 an der Konferenz «Fictions et réalités des auditions» (Prof. N. Capuset und V. Jaquier Erard) an der Rechtsfakultät der Universität Neuchâtel gehalten wurde.
Tagungsberichte
Fictions et réalités des auditions : Comment adopter les bonnes pratiques ?
Nadja Capus
Nadja Capus
Véronique Jaquier Erard
Véronique Jaquier Erard
In diesem Bericht fassen die beiden Organisatorinnen der Konferenz «Fiktionen und Realitäten bei Einvernahmen: Welche gute Praktiken sind zur Anwendung zu bringen?» die wichtigsten Punkte der einzelnen Vorträge sowie einige Highlights aus den Diskussionen mit dem Publikum zusammen.
Aus dem Bundesgericht
Windpark-Projekt «Bel Coster» im Kanton Waadt: Beschwerde gutgeheissen
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht heisst eine Beschwerde gegen den interkommunalen Teilnutzungsplan für den geplanten Windpark «Bel Coster» im Kanton Waadt gut. Ergänzende Abklärungen zu den möglichen Auswirkungen des Projekts auf mehrere Vogelarten und den Gewässerschutz sind bereits im Rahmen der Nutzungsplanung zu treffen und nicht erst im Baubewilligungsverfahren. (Urteil 1C_458/2022)
Les avoirs d’un ancien vice-ministre russe restent gelés
Jurius
Jurius
BGer – Die in der Schweiz deponierten Vermögenswerte eines ehemaligen russischen Vize-Landwirtschaftsministers bleiben eingefroren. Das Bundesgericht heisst eine Beschwerde des Bundesamtes für Justiz gut. Der Mann wird von Moskau beschuldigt, 1 Milliarde Rubel (ca. 15 Millionen CHF) zum Nachteil des staatlichen Unternehmens Rosagroleasing veruntreut zu haben (Urteil 1C_543/2023) (cs)
Doch keine Formfehler im Prozess gegen deutschen Finanzjongleur
Jurius
Jurius
BGer – Der Prozess gegen den deutschen ehemaligen Milliardär und Fondsmanager Florian Homm vor dem Bundesstrafgericht war rechtmässig. Nach Ansicht des Bundesgerichts hat das Gericht in Bellinzona keine Formfehler begangen. (Urteile zu den Entscheiden 7B_573/2023; 7B_574/2023; 7B_621/2023, 7B_622/2023 und 7B_623/2023)
Chômeur sanctionné après un retard de postulation
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht verschärft die Massnahme gegen einen arbeitslosen Neuenburger, der zwei Bewerbungen drei Tage zu spät eingereicht hatte. Die von der kantonalen Justiz ausgesprochene Einstellung der Arbeitslosenentschädigung für 16 Tage wird auf 25 Tage erhöht. (Urteil 8C_225/2023) (cs)
Un recours de l’ex-patron de BFM TV est déclaré irrecevable
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht erklärt die Beschwerde von Patrick Drahi gegen einen Entscheid des Genfer Gerichtshofs für unzulässig. Der französische Milliardär und ehemalige Chef von BFM TV befindet sich in einem Rechtsstreit mit der Genfer Steuerverwaltung, die die vom Kanton Wallis gewährte Pauschalsteuer anfechtet und ihn an seinem Wohnsitz in Cologny (GE) besteuern will. (Urteil 9C_732/2023)
Medienmitteilungen
Wesentliche Erhöhung der Geschäftslast
Jurius
Jurius
Das Bundesverwaltungsgericht verzeichnete im Jahr 2023 einen markanten Anstieg bei den eingehenden Verfahren. Dies führte zu einer Zunahme der Ende Jahr noch hängigen Verfahren, obschon das Gericht mehr Fälle als im Vorjahr erledigte.
FINMA eröffnet Anhörung zum Prüfwesen
Jurius
Jurius
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA schafft eine neue Aufsichtsprüfverordnung. Diese übernimmt den Grossteil der bisherigen Inhalte des Rundschreibens 2013/3 «Prüfwesen». Damit sind keine materiellen Anpassungen im bestehenden Prüfwesen verbunden. Die FINMA befürwortet jedoch eine Untersuchung der rechtlichen Grundlagen des aufsichtsrechtlichen Prüfwesens hinsichtlich Verbesserungen, insbesondere der sogenannten Direktmandatierung.
Erneuter Anstieg der Vermögensstraftaten im Jahr 2023
Jurius
Jurius
Mit einem Total von 522'558 Straftaten gemäss Strafgesetzbuch (StGB) wurden 2023 im Vergleich zum Vorjahr 14,0% mehr Straftaten polizeilich registriert. Die Zunahme ist insbesondere auf die Vermögensstraftaten (+17,6%) zurückzuführen, welche bereits das zweite Jahr in Folge zugenommen haben. Ein Anstieg wurde auch bei der digitalen Kriminalität verzeichnet (+31,5%). Wie bereits im vergangenen Jahr wurden 2023 erneut mehr schwere Gewaltstraftaten (+5,9%) registriert. Bei den beschuldigten Personen gab es einen Anstieg um 4,3%. Dies geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervor.
Banque Audi (Suisse) SA hat gegen Geldwäschereiregeln verstossen
Jurius
Jurius
Die Banque Audi (Suisse) SA hat ihre Pflichten in der Geldwäschereiprävention verletzt und damit schwer gegen Finanzmarktrecht verstossen. Dies stellte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA im Rahmen eines Enforcementverfahrens fest. Die Bank hat im nun abgeschlossenen Verfahren mit der FINMA kooperiert und Massnahmen zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands ergriffen. Die FINMA ordnet zusätzlich eine Gewinneinziehung von 3,9 Millionen CHF sowie einen Eigenmittelzuschlag von 19 Millionen CHF an.
Bundesrat beschliesst Stossrichtung für Reform der Wettbewerbsbehörden
Jurius
Jurius
Der Bundesrat will die Wettbewerbsbehörden reformieren. Er hat am 15. März 2024 das WBF beauftragt, ihm bis Mitte 2025 eine Vernehmlassungsvorlage für eine Reform vorzulegen.