Jusletter

Liebe Leserin, lieber Leser
 
Das Jahr 2016 hat für die Rechtsetzung im Bereich Migration einige Klärungen gebracht: Im Dezember verabschiedete das Parlament eine Vorlage zur Umsetzung von Art. 121a BV (Steuerung der Zuwanderung, sog. «Masseneinwanderungsinitiative»), die politisch und medial mit der ungenauen Bezeichnung «Inländervorrang light» versehen worden ist; damit wurde – durch den Verzicht auf eine Verletzung des Freizügigkeitsabkommens mit der EU – auch der Weg frei für die Ratifizierung des Protokolls über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien. Offen bleibt vorerst, welche Regeln für die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit gelten werden. In derselben Session einigten sich die beiden Parlamentskammern nach mehrjährigen Diskussionen im Dezember 2016 mit Bezug auf die Integration der ausländischen Wohnbevölkerung auch auf eine umfangreiche Änderung des Ausländergesetzes, welches nun neu «Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration» (AIG) heissen wird.
 
Am 1. Oktober ist in Umsetzung der «Ausschaffungsinitiative» (Art. 121 Abs. 3–6 BV) eine Revision des StGB mit zahlreichen Änderungen auch des Ausländergesetzes in Kraft getreten, wodurch nun bei Verurteilung wegen Verstössen zu bestimmten Straftaten obligatorisch auch eine Landesverweisung als Massnahme ausgesprochen werden muss. Es handelt sich dabei um eine tiefgreifende Änderung des Systems der Aufenthaltsbeendigung, indem bei Delinquenz nicht mehr das Migrationsamt, sondern die Strafgerichtsbarkeit für die Festlegung der Folgen zuständig ist. Namentlich stellen sich nur schwer lösbare Probleme der Vereinbarkeit mit Menschenrechten und dem Freizügigkeitsrecht.
 
Die Schweizer Stimmbevölkerung hat im Juni 2016 eine Vorlage für ein beschleunigtes Asylverfahren angenommen, welches u.a. eine grundlegende Neustrukturierung des Asylbereichs mit sich bringen wird, indem ein grosser Teil der Verfahren in Bundesasylzentren durchgeführt werden soll. Soeben haben Volk und Stände im Februar 2017 einer erleichterten Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern dritter Generation zugestimmt, welche Änderungen des revidierten (noch nicht in Kraft getretenen) Bürgerrechtsgesetzes (BüG) mit sich bringt; die Verordnung zum neuen BüG ist ebenfalls im Jahre 2016 vom Bundesrat beschlossen worden. Zu diesen innerstaatlichen Rechtsentwicklungen (neben weiteren, die hier nicht aufgezählt worden sind) gesellen sich eine Reihe von Neuerungen auf Ebene der Europäischen Union im Bereich Dublin und Schengen, welche direkte Auswirkungen auf die Schweiz haben werden.
 
Diese Schwerpunkt-Ausgabe zum Migrationsrecht befasst sich mit einigen dieser Neuerungen, so in den Beiträgen von Astrid Epiney zu den Folgen des Brexit für die schweizerischen und britischen Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz im anderen Staat, von Barbara von Rütte zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation und von Alexandra Büchler zur Problematik der Schaffung einer grösseren Gruppe von nicht abschiebbaren Menschen ohne Aufenthaltsrecht durch die Wiedereinführung der strafrechtlichen Landesverweisung. Peter Uebersax äussert sich kritisch zu einzelnen Stimmen in der Lehre, welche bei der Umsetzung von Art. 121a BV eine Verfassungswidrigkeit erkennen wollen.
 
Zwei weitere Beiträge widmen sich bisher kaum beachteten Fragen des geltenden Ausländergesetzes: Thomas Schaad untersucht das Spannungsfeld zwischen dem strafprozessualen Anspruch eines Beschuldigten, sich nicht selber belasten zu müssen, und den im Ausländergesetz statuierten Auskunftspflichten; und Christoph Lienhard beleuchtet rechtliche Probleme beim Kantonswechsel von Ausländerinnen und Ausländern. Mit Fragen des Asylrechts und Asylverfahrens befassen sich Joël Olivier Müller, der die rechtliche Einordnung, Bedeutung und Zulässigkeit von Altersabklärungen bei minderjährigen Asylsuchenden untersucht, und Salome Schmid, die die Neuerungen der geplanten Revision der Dublin-III Verordnung («Dublin IV»), welche auch die Schweiz betrifft, analysiert.
 
Schliesslich orientieren Jean-Thomas Arrighi und Stefanie Kurt über eine Datenbank an der Universität Neuchâtel zu den kantonalen Rechtsgrundlagen im Migrationsrecht (Ausländer-, Asyl- und Bürgerrecht).
 
Wir hoffen, dass diese Beiträge auf Ihr Interesse stossen werden.
 
Zentrum für Migrationsrecht
an der Universität Bern
Redaktor Migrationsrecht
Dr. iur. Stefan Schlegel
Max-Planck-Institut zur Erforschung
multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften,
Göttingen

 

    Beiträge








  • Essay

  • Rezension

  • Aus dem Bundesgericht

  • Medienmitteilungen

  • Aus der Frühjahrssession 2017