Liebe Leserinnen und Leser

Barbara Graham-Siegenthaler stellt die wichtigsten Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Sachenrecht seit April 2015 vor. Die Entscheide werden zusammengefasst und die zentralen Rechtsfragen aufgezeigt und erläutert. Das Bundesgericht hatte immer wieder Gelegenheit, sich einlässlich mit den vielfältigen Lebenssachverhalten zu befassen, die sich etwa aus den Abwehransprüchen aus dem Eigentum, dem Stockwerkeigentum oder dem Generalpfand für künftige Forderungen ergeben.  
 
Thomas Gächter und Michael E. Meier besprechen den neuesten sozialversicherungsrechtlichen Leitentscheid des Bundesgerichts 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017. Nach Ansicht der Autoren erachtet das Bundesgericht die gesetzliche Grundlage für Observationen von IV-Bezügern nach geltendem Recht richtigerweise als ungenügend. Nicht einverstanden sind sie jedoch mit der vom Bundesgericht in casu bejahten Verwertbarkeit der widerrechtlich erlangten Beweise in analoger Anwendung der diesbezüglich im Strafrecht entwickelten Grundsätze.  
 
Vor dem Hintergrund der neuen Bestimmungen zur gemeinsamen elterlichen Sorge untersuchen Daniel Rosch, Andreas Jud und Tanja Mitrovic die Praxis der KESB im Umgang mit dem Kindesunterhalt. Mit dem revidierten Recht ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge nicht Verheirateter kein Unterhaltsvertrag mehr erforderlich. Keine Aussage trifft das revidierte Recht hingegen bei alleiniger elterlicher Sorge. Die Autoren und die Autorin machen Unsicherheiten in Bezug auf die Bedeutung des Unterhaltsanspruches und des Unterhaltsvertrages aus.  
 
Ein obiter dictum sorgt für Verwirrung. Thomas Koller zeigt auf, dass das Bundesgericht mit zwei vielleicht unbedachten Sätzen in BGE 142 III 336 die gefestigte Praxis der Trias des Kündigungsrechts bei Wohn- und Geschäftsräumen aushebelt. Am Beispiel einer Eigenbedarfskündigung, bei welcher die Tatbestandsvoraussetzung des dringenden Eigenbedarfs fehlt, wird die Trennung zwischen Unwirksamkeit und Anfechtbarkeit aufgeweicht, was – nimmt man das Bundesgericht beim Wort – einen grossen Rückschritt darstellt.
 
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und einen guten Start in die neue Woche.
 
Leiterin Jusletter
Simone Kaiser
Verlagsleiterin Editions Weblaw
Kommentierte Rechtsprechungsübersicht
Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sachenrecht
Barbara Graham-Siegenthaler
Barbara Graham-Siegenthaler
Der Beitrag enthält einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sachenrecht vom 1. April 2015 bis zum 21. Juli 2017. Ziel ist es, den am Sachenrecht interessierten Praktikern einen raschen Überblick über die aktuelle bundesgerichtliche Praxis zu vermitteln. Berücksichtigt wurden sowohl in der amtlichen Sammlung des Bundesgerichts publizierte wie auch ausgewählte, nur im Internet zugängliche Entscheide.
Urteilsbesprechungen
Rechtswidrige Observationen in der IV – Verwertbarkeit der Observationserkenntnisse
Thomas Gächter
Thomas Gächter
Michael E. Meier
Michael E. Meier
Das Bundesgericht hat in einem Leitentscheid vom 14. Juli 2017 festgehalten, dass Art. 59 Abs. 5 IVG keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Invalidenversicherung bilde, um Observationen von IV-Versicherten durchzuführen. Gleichwohl liess das Bundesgericht die Verwertung der rechtswidrig erlangten Observationsbeweise mit der Begründung zu, das öffentliche Interesse an der Verhinderung des Versicherungsmissbrauches überwiege. Diese – eher überraschende – Verwertbarkeit der Beweismittel ist kritisch zu hinterfragen.
Beiträge
Praxis der KESB im Umgang mit dem Kindesunterhalt aufgrund der Gesetzesnovelle zur gemeinsamen elterlichen Sorge
Daniel Rosch
Daniel Rosch
Andreas Jud
Andreas Jud
Tanja Mitrovic
Tanja Mitrovic
Im Auftrag des Bundesamtes für Justiz untersuchten die Autoren des Beitrages die Praxis der KESB betr. den Kindesunterhalt aufgrund der Gesetzesnovelle zur gemeinsamen elterlichen Sorge. Das Vorgehen von KESB-Mitarbeitenden wurde in einer Online-Umfrage mit Zustimmungsfragen sowie typischen Fallsituationen eruiert. Unabhängig vom Status (gemeinsame bzw. alleinige elterliche Sorge) beurteilen die KESB Unterhaltsfragen weitgehend einheitlich. Es zeigen sich aber verschiedene Unsicherheiten im Umgang mit der Frage des Unterhaltes. Die Ergebnisse werden kritisch beleuchtet und in den Kontext der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellt.
Nichtig, unwirksam, anfechtbar – eine einfache Trias im Kündigungsrecht bei der Wohn- und Geschäftsraummiete!
Thomas Koller
Thomas Koller
Einmal mehr hat das Bundesgericht mit einem (wohl unbedachten) obiter dictum für Verwirrung gesorgt. Betroffen ist das Kündigungsrecht bei der Wohn- und Geschäftsraummiete. Der Beitrag zeigt auf, worum es geht.
Aus dem Bundesgericht
Liechtensteinische AHV-Rente ist nicht pfändbar
Jurius
Jurius
BGer – Das Betreibungsamt Frauenfeld TG hat einem Schweizer die liechtensteinische AHV-Rente von rund 40 Franken zu Unrecht gepfändet. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Die AHV-Rente von Liechtenstein sei vergleichbar mit der schweizerischen und deshalb gleich zu behandeln. (Urteil 5A_630/2016)
Keine Verurteilung wegen missglückten Abschlags auf Golfplatz
Jurius
Jurius
BGer – Der missglückte Abschlag eines heute 68-Jährigen auf dem Golfplatz Kyburg (ZH), der im Gesicht eines anderen Spielers landete, hat keine strafrechtlichen Konsequenzen. Dies hat das Bundesgericht entschieden. (Urteil 6B_1332/2016)
IG Fluglärm scheitert mit Anträgen für Flugfeld Beromünster (LU)
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht hat die Anträge des Vereins IG Fluglärm für weitere Einschränkungen des Fluglärms auf dem Flugfeld Beromünster (LU) abgewiesen. Damit bleibt es beim bewilligten Betriebsreglement mit der vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheissenen Aufnahme der Betriebszeiten. (Urteil 1C_462/2016)
Rechtsprechungsübersicht
Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR (Juni – Juli 2017)
Jurius
Jurius
Die Rechtsprechungsübersicht führt die zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteile des Schweizerischen Bundesgerichts vom 17. Juni 2017 bis und mit 16. Juli 2017 sowie die Urteile des EGMR mit Beteiligung der Schweiz auf. Neben Dossiernummer, Urteilsdatum, Abteilung/Kammer, Prozessgegenstand und Vorinstanz wird ein Hyperlink zum Originalentscheid und – sofern vorhanden – zur jeweiligen Mitteilung bzw. Besprechung in Jusletter und im dRSK wiedergegeben.