Liebe Leser*innen
 
Racial Profiling ist ein anerkanntes soziales Problem, das von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen seit längerem kritisiert sowie zunehmend sowohl öffentlich als auch intern in den Polizeikorps diskutiert wird. Demgegenüber finden sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur mit wenigen Ausnahmen noch kaum Abhandlungen dazu. Die vorliegende Jusletter Schwerpunkt-Ausgabe widmet sich dem Thema «Racial Profiling» aus rechtstheoretischer, rechtsdogmatischer und rechtssoziologischer Perspektive.
 
Im einleitenden Beitrag stellt Tarek Naguib verschiedene Definitionen von Racial Profiling vor und ordnet diese ein. Danach befasst sich Daniel Moeckli, Assistenzprofessor für Völkerrecht und Verfassungsrecht an der Universität Zürich, mit den völkerrechtlichen Grenzen des Racial Profiling. Ferner geben Doris Liebscher, die an der Humboldt Universität Berlin tätig ist, und Zsolt Bóbis von der Open Society Justice Initiative in ihren Beiträgen einen Einblick in die Praxis des EGMR, des UNO-Menschenrechtsausschusses und von Gerichten aus Deutschland, Frankreich, Ungarn und Schweden.
 
Neben den rechtswissenschaftlichen Beiträgen präsentiert der Sozialwissenschaftler Christopher Young anhand eines Rechtsverfahrens vor dem Bezirksgericht Zürich einen Einblick, wie sich Racial Profiling als eine Form des institutionellen Rassismus im Gerichtssaal reproduziert. Der Autor stützt sich auf eine Analyse des Forschungskollektivs «Rassismus vor Gericht», einer Gruppe aus Sozialwissenschaftler*innen und Jurist*innen.
 
Aus der Sicht der Critical Race Theory – einer rechtstheoretischen Bewegung aus den USA, welche das Verhältnis von Rassismus und Recht untersucht – lässt sich Rassismus nur verstehen, wenn die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Daher veröffentlichen wir abschliessend den Schattenbericht der Allianz gegen Racial Profiling zum UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der im Mai 2017 von Menschen, die Racial Profiling erleben, und von Menschenrechtsorganisationen dem UNO-Menschenrechtsausschuss vorgelegt wurde.
 
Ausserdem stellt der Beitrag von Sara Licci, Tiziana Fuchs und Tarek Naguib die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot im Jahr 2016 vor.
 
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!
 
Gast-Redaktor
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sozialrecht (ZSR) der ZHAW
Gast-Redaktorin
Wissenschaftliche Assistentin am Zentrum für Sozialrecht (ZSR) der ZHAW
 
Kommentierte Rechtsprechungsübersicht
Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutz 2016
Sara Licci
Sara Licci
Tiziana Fuchs
Tiziana Fuchs
Tarek Naguib
Tarek Naguib
Die Frage, ob eine Benachteiligung diskriminierend ist, stellt sich in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Der Beitrag zeigt anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot aus dem Jahr 2016, unter welchen Umständen die Parteien eine Diskriminierung geltend machen und wie das Bundesgericht Art. 8 Abs. 2 BV auslegt.
Urteilsbesprechungen
«Racial Profiling» im Lichte des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots
Doris Liebscher
Doris Liebscher
2016 entschied das Deutsche Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz, dass verdachtsunabhängige Kontrollen der Bundespolizei in Zügen und Bahnhöfen, die das Ziel haben, unerlaubte Migration ins Bundesgebiet zu verhindern, das verfassungsmässige Diskriminierungsverbot verletzen, wenn die phänotypische Erscheinung ein mitentscheidendes Kriterium für die polizeiliche Massnahme war. Der 2016 in der Neuen Juristischen Wochenschrift erstpublizierte Beitrag legt die rechtlichen Grundsätze dar.
Beiträge
«Racial Profiling» – Definitionen und Einordnung
Tarek Naguib
Tarek Naguib
Der Beitrag soll den Leser*innen der Jusletter Schwerpunkt-Ausgabe zum Thema «Racial Profiling» eine Hilfe bieten, das Problem rassistischer Polizeikontrollen besser zu verstehen. Im ersten Teil werden verschiedene Definitionen von «Racial Profiling» vorgestellt. Anschliessend folgt ein eigener Vorschlag, wie «Racial Profiling» begriffstheoretisch eingeordnet werden kann.
Völkerrechtliche Grenzen des racial profiling
Daniel Moeckli
Daniel Moeckli
Im heutigen Präventionsstaat verwendet die Polizei zunehmend prädiktive Personenprofile, die sich auf einfach feststellbare Charakteristiken wie «Rasse» und ethnische Zugehörigkeit stützen. Ermittlungen anhand solcher herkunftsbasierter Profile lassen sich in aller Regel nicht mit dem völkerrechtlichen Diskriminierungsverbot vereinbaren. Folgerichtig haben zahlreiche internationale Menschenrechtsorgane die Staaten aufgefordert, diese Polizeipraxis explizit zu untersagen, die Arbeit der Polizei einer effektiven, unabhängigen Kontrolle zu unterwerfen und eine Polizeiausbildung zu gewährleisten, die dem Gebrauch von Stereotypen entgegenwirkt.
Jurisprudential Developments around Ethnic Profiling in Europe
Zsolt Bóbis
Zsolt Bóbis
Der Beitrag gibt eine grobe Übersicht über internationale und regionale Standards sowie über relevante Rechtsprechung über die Problematik der Profilerstellung auf der Grundlage ethnischer Merkmale. Einige Herausforderungen der gerichtlichen Profilerstellung in nationalen Gerichten in ganz Europa werden dargestellt und erläutert, wie in einigen jüngsten innerstaatlichen Fällen das Prinzip der umgekehrten Beweislast angewendet wurde, wie auf den ersten Blick Beweise für Diskriminierung festgestellt werden und wie positive Verpflichtungen des Staates etabliert werden können. (ah)
Rassismus vor Gericht
Christopher Young
Christopher Young
Wann handeln Gerichte rassistisch – möglicherweise implizit und unbewusst – bzw. wann reproduzieren sie rassistische Strukturen? Der Beitrag schlägt einen rechtssoziologischen Zugang zu dieser Frage und als Methode eine interdisziplinäre Prozessbeobachtung vor. Anhand eines beobachteten Falls werden zwei mögliche Mechanismen, wie alltäglicher und institutioneller Rassismus im Denken und Handeln des Gerichtspersonals wirksam werden kann, postuliert und illustriert.
Alternative Report on Racial Profiling practices of the Swiss Police and Border Guard authorities
Tarek Naguib
Tarek Naguib
Tino Plümecke
Tino Plümecke
Christopher Young
Christopher Young
Der den ICCPR adressierenden Alternativbericht gibt die Meinung der Allianz gegen Racial Profiling – ein Kollektiv aus Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen sowie Menschenrechtsorganisationen und Personen – wieder. Vereint bekämpft die Allianz den institutionellen Rassismus in der Schweizer Polizei und in Grenzschutzbehörden sowie den strukturellen Rassismus in der Schweizer Gesellschaft. Der Bericht wurde von einem Komitee zusammengestellt und redigiert und von verschiedenen Personen und Organisationen unterstützt. (ah)
Aus dem Bundesgericht
Grünes Licht für Hochspannungsleitung Chamoson-Chippis (VS)
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht hat eine Beschwerde von Privatpersonen und einer Stiftung gegen die Hochspannungsleitung zwischen Chamoson und Chippis (VS) abgewiesen. Damit kann die 28 Kilometer lange Leitung nach einer Planungsdauer von rund 15 Jahren gebaut werden. (Urteile 1C_41/2017 und 1C_42/2017)
Erfolglose Beschwerden von Mafiosi gegen Auslieferungshaft
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht ist auf die Beschwerden von drei Männern nicht eingetreten, die sich in Auslieferungshaft befinden. Die mutmasslichen Mafiosi sollen an Italien ausgeliefert werden. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglied der kalabresischen ’Ndrangheta zu sein. (Urteile 1C_414/2017, 1C_416/2017, 1C_421/2017)
Grand Théâtre de Genève – promoteur d’une troupe chinoise débouté
Jurius
Jurius
BGer – Im seit 2011 schwelenden Konflikt mit der Stiftung des Grand Théâtre de Genève unterlag der Leiter der chinesischen Gruppe Shen Yun vor Bundesgericht. Die Genfer Institution lehnte die Darbietung der Gruppe ab, da diese nicht ihrer künstlerischen Ausrichtung entsprach. (Urteil 2C_719/2016) (sk)
Zustellpreise: Verlegerverband kann sich gegen Erhöhung wehren
Jurius
Jurius
BGer – Im Streit um die Erhöhung der Zustellpreise von abonnierten Zeitungen und Zeitschriften durch die Post hat der Verband Schweizer Medien (VSM) vor Bundesgericht einen Etappensieg errungen. Der VSM erhält Parteistellung im Verfahren. (Urteil 2C_36/2016)
Aus dem Bundesverwaltungsgericht
Fluglärm- und Schadstoffbelastung im Gebiet Meiringen nicht widerrechtlich
Jurius
Jurius
BVGer – Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde der Stiftung «Giessbach dem Schweizervolk» und weiterer Beschwerdeführenden ab. Diese verlangten, dass die Widerrechtlichkeit der in den Jahren 2006 bis 2015 durch Flugbewegungen von F/A-18- und Tiger-Kampfjets verursachten Lärm- und Schadstoffimmissionen im Gebiet Meiringen und Umgebung festgestellt werde. (Urteil A-3666/2015)
Harcèlement sexuel aux CFF : employée partiellement déboutée
Jurius
Jurius
BVGer – Eine SBB-Mitarbeiterin, die wieder an ihrem alten Arbeitsplatz arbeiten wollte, an dem sie sexuell belästigt worden war, kann nach einer Umstrukturierung nicht zurückkehren. Ihr Begehren wurde vom Bundesverwaltungsgericht teilweise abgelehnt. (Urteil A-142/2017) (sk)
Aus dem Bundesstrafgericht
L’échange entre MPC et journalistes doit être versé au dossier
Jurius
Jurius
BStGer - Die Korrespondenz zwischen zwei Journalisten und der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit einem Verfahren betreffend Geldwäscherei und Korruption muss zu den Akten genommen werden. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat einen solchen Entscheid bestätigt. Der Beschuldigte darf diese in anonymisierter Form einsehen. (Urteile BB.2017.65/66/69) (as)
Fall Sonko – U-Haft verlängert
Jurius
Jurius
BStGer – Der ehemalige gambische Innenminister Ousman Sonko bleibt bis am 25. Oktober 2017 in Untersuchungshaft. Das Bundesstrafgericht hat eine Beschwerde des Betroffenen abgewiesen. (Urteil BH.2017.6)
Medienmitteilungen
Den Datenschutz verbessern und den Wirtschaftsstandort stärken
Jurius
Jurius
Der Bundesrat will den Datenschutz an das Internet-Zeitalter anpassen und die Stellung der Bürgerinnen und Bürger stärken. Parallel dazu gleicht er das Schweizer Recht an die Entwicklung in der EU und im Europarat an und stellt so sicher, dass die freie Datenübermittlung zwischen Schweizer Unternehmen und solchen in der EU weiterhin möglich bleibt. Damit kommt der Bundesrat einem Anliegen der Schweizer Wirtschaft nach. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 15. September 2017 eine entsprechende Botschaft verabschiedet.
Inkraftsetzung der teilrevidierten Alkoholgesetzgebung
Jurius
Jurius
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 15. September 2017 die Revision der Alkoholverordnung (AlkV) verabschiedet. Sie tritt zusammen mit dem im Herbst 2016 revidierten Alkoholgesetz (AlkG) per 1. Januar 2018 in Kraft. Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt wechselt die Vollzugszuständigkeit von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (EAV) in die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV). Die formelle Auflösung der EAV erfolgt nach Abschluss der Privatisierung ihres ehemaligen Profitcenters Alcosuisse. Der Ethanolmarkt wird voraussichtlich per 1. Januar 2019 liberalisiert.
Bekämpfung von Cyberkriminalität auf .ch- und .swiss-Websites
Jurius
Jurius
Eine wirksamere Bekämpfung von Cyberkriminellen, die .ch- und .swiss-Adressen für Straftaten nutzen: Das ist eines der Ziele der revidierten Verordnung über Internet-Domains, die der Bundesrat am 15. September 2017 verabschiedet hat. Durch die Revision können nicht nur Adressen von Websites gesperrt werden, mit denen Phishingversuche unternommen werden oder schädliche Software verbreitet wird, sondern auch die Adressen jener Websites, die solche Aktivitäten indirekt unterstützen.