Liebe Leserinnen und Leser

Thomas Gächter und Michael E. Meier widmen sich einmal mehr den Observationen im Sozialversicherungsrecht, dieses Mal mit Fokus auf die geplante Rechtsentwicklung und mit Ausblicken ins Straf- und Privatrecht. Die Rechtsprechung zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Observationsergebnisse hat nach Ansicht der Autoren allerdings das Potential, die geplante ATSG-Revision zu einem reinen Verhaltensstandard zu degradieren.  
(Vgl. auch Thomas Gächter / Michael E. Meier, Rechtswidrige Observationen in der IV – Verwertbarkeit der Observationserkenntnisse, in: Jusletter 14. August 2017)

Ebenfalls den Observationen, aber im Sozialhilferecht, widmet sich David Henseler. Auch hierfür ist eine ausreichende gesetzliche Grundlage erforderlich. Am Beispiel des geplanten Erlasses einer Observationsverordnung in der Stadt Zürich zeigt der Autor auf, dass die Stadt sich dafür weder auf das kantonale Recht noch die Gemeindeautonomie abstützen kann. Um Observationen in der Sozialhilfe EMRK-konform durchführen zu können, bedarf es einer Gesetzesrevision auf kantonaler Ebene.

Um die Höhe des Grundbedarfs im Sozialhilferecht geht es im Beitrag von Pierre Heusser. Dieser kritisiert die jüngsten Entwicklungen bei der Festlegung des Grundbedarfs und plädiert mit Blick auch auf die deutsche und englische Rechtsprechung für eine Rückkehr zu statistisch untermauerten Kriterien. Der sozialhilferechtliche Grundbedarf darf nicht zum Spielball der Politik werden.   

In der Themenreihe Quantified Self geht Yvonne Prieur den Selbstvermessungsprodukten rechtlich auf den Grund: Datenschutz, Heilmittelrecht und Produktesicherheit sind nur einige Schlagworte. Besondere Brisanz kommt dem Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdvermessung im Versicherungsbereich oder im Arbeitsverhältnis zu, wo Ungleichbehandlung droht.

Franziska Sprecher betrachtet in ihrem Beitrag zur Themenreihe Quantified Self die Entwicklungen im Datenschutz- und Heilmittelrecht in Europa und in der Schweiz. Ob die Ziele von Transparenz, Sicherheit und einer verbesserten Rechtsdurchsetzung im Zeitalter der rasch voranschreitenden Digitalisierung aller Lebensbereiche und global agierender Wirtschaftsakteure erreicht werden können, wird sich zeigen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und einen guten Start in die neue Woche.

Leiterin Jusletter
 

 

In eigener Sache: Diese Ausgabe von Jusletter ist die vorletzte im Jahr 2017; die erste Ausgabe des Jahres 2018 erscheint am 15. Januar. Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Treue und wünschen Ihnen weiterhin eine schöne Adventszeit und bereits jetzt schöne Festtage.

 

Wissenschaftliche Beiträge
Im Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdvermessung
Yvonne Prieur
Yvonne Prieur
Seitdem Privatversicherer ihre Kundinnen und Kunden dazu animieren, ihre Fitness zu messen, wird offensichtlich, dass die Messdaten nicht nur für die Selbstvermesser wertvoll sind, sondern auch für Dritte. Der EDÖB prüft nun erstmals ein solches Versicherungsprogramm auf seine Korrektheit. Im vorliegenden Beitrag wird der rechtliche Rahmen von Quantified Self synoptisch dargestellt und die sich aus der Selbstvermessung ergebenden Risiken untersucht.
Quantified Self: Rechtsentwicklungen – Europa gibt den Takt vor
Franziska Sprecher
Franziska Sprecher
Verschiedene Rechtsnormen, die bei Quantified Self-Produkten zur Anwendung gelangen, befinden sich in Revision. Angesichts der Dynamik und des Umfangs dieser Rechtsentwicklungen werden im vorliegenden Beitrag vor allem die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO), die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG), die zweite Etappe der ordentlichen Revision des Heilmittelgesetzes und die Revision des europäischen Medizinprodukterechts sowie die damit verbundene Revision der schweizerischen Medizinprodukteverordnung in einer Übersicht dargestellt.
Quantified Self: Rechtsentwicklungen – Europa gibt den Takt vor
Franziska Sprecher
Franziska Sprecher
Verschiedene Rechtsnormen, die bei Quantified Self-Produkten zur Anwendung gelangen, befinden sich in Revision. Angesichts der Dynamik und des Umfangs dieser Rechtsentwicklungen werden im vorliegenden Beitrag vor allem die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO), die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG), die zweite Etappe der ordentlichen Revision des Heilmittelgesetzes und die Revision des europäischen Medizinprodukterechts sowie die damit verbundene Revision der schweizerischen Medizinprodukteverordnung in einer Übersicht dargestellt.
Beiträge
Observation – ein Rechtsinstitut unter Beobachtung
Thomas Gächter
Thomas Gächter
Michael E. Meier
Michael E. Meier
Der Beitrag gibt einen Überblick über die jüngste bundesgerichtliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit Observationen und setzt sich kritisch mit der geplanten Revision des Allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts (ATSG) auseinander. Anhand ausgewählter Beispiele wird aufgezeigt, dass hinsichtlich der Zulässigkeit und der Verwertbarkeit von Observationen im Strafrecht, im Sozialversicherungsrecht und im Privatrecht erhebliche Inkonsistenzen bestehen.
Observation von Sozialhilfebezügern – das Beispiel der Stadt Zürich
David Henseler
David Henseler
Im Nachgang zum EGMR-Urteil Vukota-Bojic gegen die Schweiz vom 18. Oktober 2016 wurden die Rechtsgrundlagen für Observationen im Sozialversicherungsrecht einer grundlegenden Überprüfung unterzogen. Auf Bundesebene läuft eine Revision des ATSG, die EMRK-konforme Observationen ermöglichen soll. Doch auch im Sozialhilferecht müssen sich Observationen auf ausreichend bestimmte Gesetzesgrundlagen stützen können. Vor diesem Hintergrund setzt sich der Autor mit der geplanten Observationsverordnung der Stadt Zürich auseinander und analysiert, ob sich diese auf eine ausreichende kantonale Grundlage abstützen kann.
Der Grundbedarf in der Sozialhilfe: Von der Wissenschaft zur Willkür
Pierre Heusser
Pierre Heusser
Der sozialhilferechtliche Grundbedarf wird von der SKOS und den Kantonen immer mehr nach rein politischen und teilweise sachfremden Kriterien festgelegt. Er hat sich von den ursprünglichen statistischen Grundlagen entkoppelt. Die Folge ist ein negativer Sozialhilfewettbewerb unter den Kantonen. Dabei ist der Grundbedarf nichts weniger als die frankenmässige Konkretisierung der Menschenwürde. Deshalb darf er nicht «freihändig» und «ins Blaue hinein» festgelegt werden. Nun werden die Gerichte die zulässigen Unterscheidungskriterien festlegen und allenfalls sogar eine betragliche Untergrenze für das soziale Existenzminimum ziehen müssen.
Aus dem Bundesgericht
Eingrenzung auf Aufenthaltsrayon
Jurius
Jurius
BGer – Die Eingrenzung auf einen bestimmten Aufenthaltsrayon kann gegenüber weggewiesenen ausländischen Personen auch dann verfügt werden, wenn zwar keine zwangsweise Ausschaffung, aber eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland möglich ist. Das Bundesgericht heisst eine Beschwerde des Staatssekretariats für Migration (SEM) gut. (Urteil 2C_287/2017)
Walliser Kantonsgericht kann über Entlassung urteilen
Jurius
Jurius
BGer – Das Walliser Kantonsgericht wird über die Entlassung des Kommunikationschefs der Polizei, Jean-Marie Bornet, urteilen können. Das Bundesgericht hat ein von Bornet eingereichtes Ausstandsbegehren für die Richter des Kantonsgerichts abgelehnt. (Urteil 8C_476/2017)
Aus dem Bundesverwaltungsgericht
Vorgehen der Finma gegen Essig-Verkäufer unzulässig
Jurius
Jurius
BVGer – Rund 600 mit Apfel-Balsam-Essig gefüllte Eichenfässer hat eine Firma im Kanton Obwalden zwischen 2011 und 2015 für CHF 7 Millionen verkauft. Die Finma bereitete dem Geschäft ein jähes Ende. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Vorgehen nun für unzulässig erklärt. (Urteil B-4354/2016)
Letzte hängige Beschwerde zur Limmattalbahn gutgeheissen
Jurius
Jurius
BVGer – Das Bundesverwaltungsgericht hat die letzte hängige Beschwerde zur Limmattalbahn gutgeheissen. Sie betrifft die Anpassung eines Zugangs zur Bahnanlage in Killwangen AG. Für den Bau einer Liftanlage sollte Land eines benachbarten Anwohners enteignet werden. (Urteil A-2795/2017)
Medienmitteilungen
Umsetzung von Art. 121a BV
Jurius
Jurius
An seiner Sitzung vom 8. Dezember 2017 hat der Bundesrat entschieden, wie das Gesetz zur Umsetzung des Verfassungsartikels zur Steuerung der Zuwanderung (Art. 121a BV) auf Verordnungsebene umgesetzt wird. Das Gesetz sieht insbesondere die Einführung einer Stellenmeldepflicht in denjenigen Berufsarten vor, in denen die Arbeitslosenquote einen bestimmten Schwellenwert erreicht oder überschreitet. Aufgrund der Resultate der Vernehmlassung zur Verordnung hat sich der Bundesrat am 8. Dezember 2017 für ein gestaffeltes Vorgehen entschieden: Ab dem 1. Juli 2018 gilt ein Schwellenwert von 8% und ab dem 1. Januar 2020 ein Schwellenwert von 5%.
Bundesrat treibt Digitalisierung der öffentlichen Beurkundung voran
Jurius
Jurius
Der Bundesrat will die Digitalisierung der öffentlichen Urkunden und Beglaubigungen vorantreiben und damit deren Rechtssicherheit stärken. An seiner Sitzung vom 8. Dezember 2017 hat er die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Totalrevision der Verordnung über die Erstellung elektronischer öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen (EÖBV) zur Kenntnis genommen und entschieden, die Verordnung auf den 1. Februar 2018 in Kraft zu setzen.
Alternierende Obhut des Kindes
Jurius
Jurius
Kinder sollen auch nach einer Trennung oder Scheidung eine regelmässige Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechterhalten können; dies ist dem Parlament und dem Bundesrat wichtig. Der Entscheid des Gesetzgebers, die alternierende Obhut nicht als Regelmodell im Gesetz zu verankern, erweist sich als richtig. Zu diesem Schluss kommt der Bundesrat in einem am 8. Dezember 2017 verabschiedeten Bericht. Er ist der Auffassung, dass in jedem einzelnen Fall eine individuelle Lösung gesucht werden muss, die dem Wohl des Kindes dient.
Änderung der Verordnung über das Gewerbe der Reisenden
Jurius
Jurius
Der Bundesrat hat am 8. Dezember 2017 eine Änderung der Verordnung über das Gewerbe der Reisenden (RGV) verabschiedet. Sie tritt am 1. Juli 2018 in Kraft. Die revidierte RGV klärt die in der Praxis offen gebliebenen Fragen und präzisiert darüber hinaus die Voraussetzungen für die Erteilung und den Entzug der Reisegewerbebewilligung.
Bundesgesetz über die Unternehmens-Identifikationsnummer (UIDG)
Jurius
Jurius
Das Bundesamt für Statistik (BFS) ist seit dem 6. Dezember 2017 berechtigt, den Legal Entity Identifier (LEI), eine eindeutige Identifikationsnummer der Finanzmarktakteure, an Schweizer Unternehmen und Fonds zu vergeben. Die LEI trägt dazu bei, Risiken im Finanzsektor früher zu erkennen und die Finanzstabilität zu fördern, indem sie den Behörden und anderen Akteuren die zuverlässige Identifikation von Vertragspartnern ermöglicht.
FINMA veröffentlicht Outsourcing-Rundschreiben
Jurius
Jurius
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA veröffentlicht das für Banken revidierte und für Versicherungen neu erlassene Rundschreiben zum Outsourcing. Dieses regelt neu als gemeinsames Rundschreiben den Umgang mit ausgelagerten Dienstleistungen von Banken, Effektenhändlern und Versicherungen. Es tritt am 1. April 2018 in Kraft.
Rechtsprechungsübersicht
Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR (Oktober – November 2017)
Jurius
Jurius
Die Rechtsprechungsübersicht führt die zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteile des Schweizerischen Bundesgerichts vom 17. Oktober 2017 bis und mit 16. November 2017 sowie die Urteile des EGMR mit Beteiligung der Schweiz auf. Neben Dossiernummer, Urteilsdatum, Abteilung/Kammer, Prozessgegenstand und Vorinstanz wird ein Hyperlink zum Originalentscheid und – sofern vorhanden – zur jeweiligen Mitteilung bzw. Besprechung in Jusletter und im dRSK wiedergegeben.