Jusletter

Liebe Leserinnen und Leser

Das Energierecht ist in ständiger Bewegung. Die aufgrund der «Energiestrategie 2050» verabschiedeten Rechtsakte sind am 1. Januar 2018 in Kraft getreten. Man könnte meinen, die regulatorischen Arbeiten seien damit abgeschlossen, wäre da nicht die «Netzstrategie», die soeben verabschiedet wurde und am 1. April 2019 in Kraft treten wird. Und ein Ende der eidgenössischen Regulierungs-Maschinerie scheint nicht absehbar: Tatsächlich hat der Bund soeben eine Vernehmlassung zum Abschluss des Liberalisierungsprozesses im Strommarkt gestartet, die auf eine neuerliche Anpassung des Bundesgesetzes über die Stromversorgung vom 23. März 2007 [StromVG; SR 734.7] abzielt.
Die Beiträge, die Sie in der vorliegenden Ausgabe finden, lassen sich zwei unterschiedlichen Zielstellungen zuordnen. Während die einen eine Bilanz der bisherigen Gesetzgebung ziehen – z.B. nach zehn Jahren der Umsetzung des StromVG vom 1. Januar 2008, auf welches diese Ausgabe von Jusletter ein besonderes Augenmerk legt –, stellen andere Beiträge neue Instrumente vor, die entweder jüngst ins positive Recht eingeführt wurden (man denke etwa an die Einführung von Massnahmen zur Unterstützung von Stromproduzenten aus Wasserkraft, deren wirtschaftliche Schwierigkeiten notorisch sind) oder deren Einführung geplant bzw. noch diskutiert wird, wie Instrumente im Rahmen des Mobility Pricing.
Zu Beginn zieht Gilles Robert-Nicoud eine durchwachsene Bilanz zur Umsetzung des StromVG, indem er konstatiert, dass die Öffnung des Strommarktes erst teilweise erfolgt ist. Das Stromversorgungs-Monopol (der Autor hält an dessen Existenz fest, obwohl die Lehre in diesem Punkt uneins ist) für gebundene Kunden besteht bis heute. Obwohl diese Kunden ursprünglich mit dem neuen Regelwerk geschützt werden sollten, seien dementgegen Mechanismen zu ihren Ungunsten und zum Vorteil vertikal integrierter Stromunternehmen implementiert worden. Für den Autor bleibt das StromVG auf halber Strecke stehen und kann nur wenig befriedigende Resultate vorweisen (etwa Quersubventionierungen und Wettbewerbsverzerrungen). An dieser Stelle sei für die interessierte Leserschaft ein Hinweis auf die kürzlich erschienene Studie von Martin Föhse, Grundversorgung mit Strom – Ein Überblick zu Rechtsverhältnissen und Zuständigkeiten, PJA 2018, S. 1235 ff., insbes. S. 1250, gestattet. Föhse unterzieht die aktuelle Regulierung des Strommarktes einer strengen juristischen Prüfung. Die Anwendung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen wirft in der Tat grundsätzliche Fragen zur Zuständigkeit und der Einordnung verschiedener Rechtsverhältnisse auf. Die Rechtstexte führen jedoch zu einem «Ratespiel», so schwierig, ja gar unmöglich sind die Antworten auf diese Fragen zu finden, selbst für Spezialistinnen und Spezialisten! Föhse ruft den Gesetzgeber auf, insbesondere im Rahmen der laufenden Reform endlich klare Antworten im rechtlichen Bereich zu geben, was dieser bisher unterlassen habe.
David Sifonios stellt neue Instrumente von hoher Technizität vor. Alles begann mit einer «Grande peur dans la montagne»: Die unvermittelte Bedrohung der Rentabilität der grossen Wasserkraftwerke. Notfallmässig wurden neue Mechanismen geschaffen, um eine für die Schweiz als wertvoll angesehene Art der Energieproduktion zu retten. Der Autor zeigt auf, dass der Gesetzgeber zwischen zwei Bewegungen hin- und herschwankt, der Unterstützung dieser Produktionsanlagen einerseits und der Marktöffnung andererseits. Nach seiner Ansicht sollte der Zusammenhalt des Gesamtsystems besser im Auge behalten werden.
Phyllis Scholl und Etienne Schön führen eine bereits begonnene Analyse der Rechtsprechung zu den bei den Netzbetreibern erhobenen Konzessionsabgaben für die Nutzung öffentlichen Grund und Bodens durch elektrische Leitungen fort. An dieser Stelle sei festgehalten, dass die Rechtsprechung in diesem Bereich zwar sehr komplex ist, jedoch nach und nach Lösungen im Kontext des StromVG und der diesbezüglichen kantonalen Bestimmungen erkennbar werden. Dieser Linie folgend befasst sich Philippe Ehrenström mit diversen steuerlichen Fragen im Zusammenhang mit der Verteilung von Elektrizität (Mehrwertsteuer, interkantonale Doppelbesteuerung, Nutzungsgebühren der öffentlichen Hand, Netzzuschlag gestützt auf den neuen Art. 35 EnG).
Mathieu Simona widmet sich dem Thema des Energie-Contracting. Dabei geht es um einen Vertragstypus, der sich derzeit im Bereich der Versorgung mit thermischer und elektrischer Energie entwickelt. In einem solchen vertraglichen Rahmen übernimmt ein Dritter die Investitionen, Risiken und Gewinne einer strom- oder wärmeproduzierenden Anlage im Gebäude eines Eigentümers. Die Studie behandelt namentlich Fragen zu den Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Vermieter und Mietern, etwa die Frage, ob die Kosten des Contracting auf die Mieter abgewälzt werden können.
Marion Zumoberhaus präsentiert eine Studie über die Beteiligung von Umweltschutzorganisationen im Bereich der Genehmigung von Energieanlagen (Produktion, Transport) und den Zugang zum Gericht in Umweltangelegenheiten. Nach einer allgemeinen Auslegeordnung legt die Autorin das Augenmerk auf den Gehalt der Bestimmungen der von der Schweiz ratifizierten Aarhus-Konvention. Sie stellt insbesondere die Frage, ob das Schweizerische Recht mit Blick auf die Anforderungen der Konvention nicht Regeln enthält, die eine übermässige Einschränkung der Klagemöglichkeiten solcher Organisationen bewirken könnten.  
Christine Bühler liefert im Lichte der jüngsten Vorschläge des Bundesrates einen Beitrag zu Mobility Pricing, welcher das gesamte Transportsystem in den Blick nimmt. Dabei wird die energie- und klimapolitische Bedeutung dieses Ansatzes aufgezeigt. Der Schwerpunkt liegt auf den verfassungsmässigen Grundlagen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob und inwieweit diese Bestimmungen die Einführung von Mobility-Pricing-Regelungen erlauben oder gar erfordern. Während Ersteres grundsätzlich für den Bereich des öffentlichen Verkehrs zu bejahen ist, scheint die Aufgabe im Bereich des privaten Strassenverkehrs hingegen schwieriger, wenn nicht derzeit politisch unlösbar zu sein. Zu hoch erscheint die Hürde des Art. 82 Abs. 3 BV, der den Grundsatz der Gebührenfreiheit für die Benützung öffentlicher Strassen vorsieht. Nach einer Überprüfung anhand der einschlägigen Grundrechte bewertet die Autorin die bisherigen Überlegungen zu diesem Ansatz und zeigt energiepolitisch sinnvolle Alternativen auf. 

Wir wünschen allen am Energierecht interessierten Leserinnen und Lesern aus der Romandie und der Deutschschweiz eine spannende Lektüre. Wir legen Ihnen bereits jetzt die neue «Zeitschrift für Energierecht» ans Herz, deren erste Ausgabe im Frühjahr 2019 bei Editions Weblaw erscheinen soll.  

Etienne Poltier, Professor an der Fakultät für Rechtswissenschaft, Kriminalwissenschaften und öffentliche Verwaltung der Universität Lausanne

Sebastian Heselhaus, Ordinarius für Europarecht, Völkerrecht, Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung; Geschäftsleiter des CLS

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