Liebe Leserinnen und Leser
Die Initiative «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen!» ist am 11. März 2012 von Volk und Ständen angenommen worden. Diese sollte dem Problem des in gewissen Regionen der Schweiz überbordenden Baus von Zweitwohnungen entgegenwirken und für eine nachhaltige sozioökonomische Siedlungsentwicklung sorgen. Wie sieht die Lage heute, zweieinhalb Jahre nach Annahme der Initiative, aus? Die Umsetzungsarbeiten sind im Gange, und zumindest im Moment sieht es danach aus, als wollte die Bundesgesetzgebung die neue verfassungsrechtliche Zweitwohnungsbeschränkung sehr grosszügig auslegen und zahlreiche Ausnahmen zulassen, deren Verfassungskonformität teilweise zweifelhaft ist.
Jonas Alig beleuchtet die Umsetzung des Art. 75b der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) durch den Entwurf für ein Zweitwohnungsgesetz (ZWG) und prüft dessen Verfassungsmässigkeit. Der Autor bemängelt, dass sich der Gesetzgeber stark darauf konzentriert, Ausnahmen von der verfassungsmässigen Zweitwohnungsbeschränkung zu schaffen und im Übrigen zu wenig von seiner umfassenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht (vgl. etwa Fabian Wäger / Erich Rüegg, Die Umgehung der Zweitwohnungsinitiative, in: Jusletter 10. Dezember 2012). Nach Meinung des Autors fehlen Minimalregelungen für einen praktikablen Vollzug und ist die Verfassungskonformität verschiedener Ausnahmeregelungen zumindest zweifelhaft. Insbesondere die praktisch «freie Umnutzbarkeit» von bestehenden Erstwohnungen in Zweitwohnungen wird die Erstwohnungspreise ansteigen lassen und den Landverbrauch weiter befördern.
Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben nach Annahme der Zweitwohnungsinitiative den Gemeinden, die weitergehende Beschränkungen eingerichtet haben oder noch einrichten wollen? Fabian Mösching geht dieser Frage nach und analysiert dabei insbesondere, mit welchen fiskalischen Massnahmen unter der neuen Rechtslage die negativen Auswirkungen der Zweitwohnungen eingedämmt werden können. Er erörtert die Rechtmässigkeit von entsprechenden Liegenschaftssteuern, Lenkungs- und Ersatzabgaben sowie die Frage, wie diese Instrumente zur besseren Auslastung bestehender Zweitwohnungen bzw. der Förderung von Erstwohnungen eingesetzt werden könnten (siehe auch Fabian Mösching, Ab welchem Zeitpunkt ist die Zweitwohnungsinitiative anwendbar?, in: Jusletter 10. Dezember 2012).
Eine Legaldefinition des Begriffs der «Zweitwohnung» fehlt im schweizerischen Recht bislang. Der Terminus der «Zweitwohnung» ist zwar auf verschiedenen Regelungsstufen und in verschiedenen Regelungsbereichen zu finden, hat aber je nachdem eine andere Bedeutung. Auch in Art. 75b BV wird nicht näher ausgeführt, was unter einer Zweitwohnung zu verstehen ist. Max Walter zeigt anhand von vier Berggemeinden ausserhalb der touristischen Ströme auf, zu welchen wohl ungewollten Auswirkungen die Zweitwohnungsinitiative führen kann, wenn der Zweitwohnungsbegriff weit gefasst wird. In diesem Sinne weist er darauf hin, dass die mit den Zweitwohnungsbeschränkungen verbundenen wirtschaftlichen Nachteile in den Berggegenden noch mit Art. 103 und 104 BV in Einklang zu bringen sind.
Roland Pfäffli und Mascha Santschi Kallay bieten einen kurzen Überblick über den Stand der Gesetzgebung sowie der Rechtsprechung zu dem am 11. März 2012 in Kraft getretenen Art. 75b BV und weisen auf Zusammenhänge mit der Lex Koller und dem Grundbuchrecht hin.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine spannende Lektüre!
Dr. Martin Beyeler
Rechtsanwalt Bern / Zürich
Redaktor Jusletter Öffentliches Bau- und Vergaberecht