Liebe Leserinnen und Leser
Die dritte Schwerpunkt-Ausgabe von Jusletter zum Sozialhilferecht beinhaltet eine umfassende Darstellung der verfassungsmässigen Grundlagen eines Anspruches auf existenzsichernde Leistungen und drei Aufsätze mit für die Praxis der Sozialhilfe relevanten und häufig umstrittenen Fragestellungen.
Im ersten Beitrag geht es um das Niveau der Grundsicherung: Die Bemessung der Sozialhilfe in den kantonalen Sozialhilfegesetzen orientiert sich heute primär am sozialen Existenzminimum, wie es in den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) konkretisiert ist. Der Anspruch ist aber an Voraussetzungen gebunden, zudem mit dem Prinzip der Subsidiarität und der Verpflichtung zur Bedarfsminderung verknüpft. Und er gilt nicht für alle Gruppen der Bevölkerung gleichermassen: Besonderheiten bestehen etwa für Erwerbstätige, für junge Erwachsene oder für Personen, die in Heimen leben. Ein tieferes Niveau besteht für Asylsuchende oder für Personen, die sich ohne gültigen Aufenthaltstitel in der Schweiz befinden. In vielen Kantonen sind auch für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer tiefere Bedarfssicherungsansätze vorgesehen.
Derzeit sind in einigen Kantonen der Deutschschweiz Gesetzesnovellen in Vorbereitung, welche das Niveau der Grundsicherung generell oder für weitere Gruppen absenken oder an besondere Bedingungen knüpfen wollen. Pascal Coullery diskutiert in seinem Beitrag, inwieweit ein verfassungsmässiger Schutz bzw. Anspruch auf existenzsichernde Leistungen besteht. Es handelt sich bei seinem Beitrag um ein hier erstmals integral veröffentlichtes Gutachten, das er im Auftrag der SKOS verfasst hat. Die Darlegung verdient dringlich Beachtung in der politischen Diskussion rund um das Mass und Niveau der Sozialhilfe und der Nothilfe.
Bei einem Gesuch auf Sozialhilfe ist seitens der Sozialhilfe rechtlich zunächst die formelle Voraussetzung der örtlichen (und sachlichen) Zuständigkeit zu prüfen. Für die interkantonale Zuständigkeit sind die entsprechenden Regeln in einem Bundesgesetz geregelt, dem Zuständigkeitsgesetz (ZUG, SR 851.1), die innerkantonale Zuständigkeitsfrage wird in den jeweiligen kantonalen Sozialhilfegesetzen geregelt. Primär richtet sich die Zuständigkeit im Prinzip nach dem Unterstützungswohnsitz. Im Beitrag von Bernadette von Deschwanden werden anhand eines Fallbeispiels die Tücken der Bestimmung des Unterstützungswohnsitzes plastisch dargestellt. Zwei Themenbereiche werden im Besonderen fokussiert: Die Frage des Unterstützungswohnsitzes, wenn ein Mietvertrag nur befristet besteht, und die immer wieder anspruchsvolle Frage der Bestimmung der Zuständigkeit bei der Platzierung von minderjährigen Kindern.
In der Bemessung der Sozialhilfe werden unterschieden der Grundbedarf für das alltägliche Leben, die Gesundheitskosten, allfällige situationsbedingte Leistungen und die Kosten für das Wohnen. Bei letzteren besteht heute im Prinzip ein Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine günstige Wohnung nach den Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt vor Ort. Die Vielfalt der Lebenslagen von Ansprecher/innen bzw. Bezüger/innen von Sozialhilfe, auch hinsichtlich des Wohnens, bringt eine Vielzahl von schwierigen Rechtsfragen mit sich, die auch die Rechtsprechung immer wieder beschäftigen. Etwa zum Sozialhilfeanspruch bzw. zum Vorgehen, wenn jemand in einer Wohnung lebt, welche teurer ist als die Richtlinie vorsieht. Ruth Schnyders Beitrag bietet eine Auslegeordnung der wesentlichen sozialhilferechtlichen Fragen rund um das Wohnen und diskutiert einige Brennpunkte.
Die Sozialhilfe mit ihrem Ziel der subsidiären Sicherung des sozialen Existenzminimums und ihrer Verknüpfung von wirtschaftlicher mit persönlicher Hilfe ist eingebettet in ein weitverzweigtes System der Sozialen Sicherheit. Somit stellen sich in der Praxis vielfältige Koordinations- und Schnittstellenfragen materieller und formeller Art. Sei es mit anderen Systemen der Leistungsverwaltung wie den Sozialversicherungen oder mit solchen der Eingriffsverwaltung wie etwa dem zivilrechtlichen Kindesschutz. Alexander Suter stellt in seinem Beitrag die Erfahrungen aus der Beratung für die Gestaltung einer Auswahl besonders wichtiger Schnittstellenfragen zusammen. Dabei werden insbesondere auch diverse Empfehlungen und Absprachen („soft law“) einbezogen und dargelegt.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.
Prof. Peter Mösch Payot
Hochschule Luzern
Redaktor Jusletter