Liebe Leserinnen und Leser
Vor 50 Jahren nahm in der Stadt Zürich Dr. iur. Dr. h.c. Jacques Vontobel seine Tätigkeit als erster parlamentarischer Ombudsmann der Schweiz auf. Die Ombudsstelle der Stadt Zürich ist sogar die älteste kommunale Ombudsstelle Europas. Mittlerweile gibt es in den meisten grossen Schweizer Städten und in einigen Kantonen parlamentarische Ombudsstellen. Diese nehmen Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger entgegen, hören zu, erklären und vermitteln. Die Ombudsstellen prüfen, ob die Verwaltung rechtlich korrekt, verhältnismässig und bürgernah vorgegangen ist. Die meisten Ombudsstellen stehen auch den Angestellten der jeweiligen Stadt oder des jeweiligen Kantons offen, wenn diese bei Problemen am Arbeitsplatz nicht weiterwissen. Häufig lässt sich ein Streit oder eine Unstimmigkeit durch die Vermittlung der Ombudsperson lösen, so dass es gar nicht erst zu einem Rechtsverfahren kommen muss. Ombudsstellen vereinfachen den Zugang zum Recht, insbesondere für Menschen in schwierigen Lebenssituationen, indem sie unentgeltlich und niederschwellig die Anliegen entgegennehmen und behandeln.
Ich freue mich sehr, Ihnen anlässlich des runden Jubiläums eine Schwerpunktausgabe zum Ombudswesen präsentieren zu dürfen. Die Autorinnen und Autoren beleuchten die Aufgaben einer Ombudsstelle und zeigen, wie wertvoll diese Institution gerade in der heutigen Zeit sein kann: Instrumente für eine bürgernahe Verwaltung und gegen (zumindest subjektiv so wahrgenommene) Machtlosigkeit der Bürgerinnen und Bürger sind wichtiger geworden denn je. Dass es noch keine Eidgenössische Ombudsstelle gibt, ist ein Makel, der unbedingt behoben werden muss. Die Texte stammen aus der Publikation «Im Dienste des Rechts», die anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Ombudsstelle der Stadt Zürich erschienen ist. Die Publikation beinhaltet noch weitere Texte und kann auf der Website der Ombudsstelle kostenlos bestellt werden. Ich wünsche Ihnen eine spannende und bereichernde Lektüre.
Walter Haller schildert in einem persönlich geprägten Beitrag, wie er als junger Assistent nach Schweden reiste, dort das Ombudswesen kennen und schätzen lernte und mit seinem bis heute brennenden Feuer für das Ombudswesen in die Schweiz zurückgekehrt ist. Er beschreibt, wie sich die Ombudsstellen, deren Aufgaben und das Verfahren über die Jahre entwickelt haben. Es ist ein interessanter Einblick in die Geschichte des schweizerischen Ombudswesens.
Vreni Hubmann, zu Beginn des neuen Jahrtausends direkt im Geschehen involvierte Nationalrätin, berichtet über den bisher letzten Versuch zur Errichtung einer Eidgenössischen Ombudsstelle und weshalb dieser letztlich gescheitert ist. Beeindruckend ist zu lesen, wie weit die Arbeiten damals schon fortgeschritten waren, wie ähnlich die Argumente für und gegen Ombudsstellen damals schon waren und wie schnell in der Politik manchmal ein Projekt beerdigt werden kann.
Regina Kiener und Ivan Gunjic zeigen in ihrem Beitrag die neuesten Entwicklungen im internationalen Recht auf, die für das Ombudswesen von Bedeutung sind. Insbesondere beleuchten sie die sogenannten Pariser Prinzipien der UNO und die Venedig-Prinzipien des Europarats. Diese setzen für die neu geschaffene Nationale Menschenrechtsinstitution, aber auch für die Unabhängigkeit der Ombudsstellen wichtige Leitplanken. Noch erfüllt die Stadtzürcher Ombudsstelle die Venedig-Prinzipien nicht vollumfänglich.
Mit der zentralen Bedeutung des Rechts für das Verwaltungshandeln beschäftigt sich der Beitrag von Felix Schöpfer. Die Wichtigkeit der Bindung an das Recht ist nicht immer allen staatlichen Akteuren bewusst. Das Recht ist deshalb nur eine von zahlreichen Kräften, die auf die Verwaltung einwirken, und es muss sich immer wieder gegen andere starke, politische, ökonomische und mediale Interessen neu behaupten. Eine Ombudsstelle kann dazu ihren Beitrag leisten.
Dann berichtet Viviane Sobotich, die gleichzeitig als kantonale Verwaltungsrichterin und als kommunale Ombudsfrau amtet, von den Parallelen und den unterschiedlichen Rollen, die eine Richterin im Vergleich zu einer Ombudsfrau einnehmen muss. Während ein Gericht juristischer und verbindlicher agiert, kann eine Ombudsstelle flexibler, kreativer und schneller handeln. Beide Institutionen haben ihre Berechtigung in der Gewährung des Rechtsschutzes und beide haben ihre Vor- und Nachteile.
Claudia Kaufmann wagt einen Blick nach vorn und legt dar, mit welchen Themen sich die Ombudsstellen in der Zukunft beschäftigen werden müssen. Sollten sich die Ombudsstellen auch für die Rechte der künftigen Generationen einsetzen? Und wie bleibt eine Ombudsstelle mit einer sich wandelnden Verwaltung und dem sich verändernden Umfeld auf Augenhöhe?
Pierre Heusser legt dar, warum es unbedingt auf allen staatlichen Ebenen, insbesondere auch beim Bund, parlamentarische Ombudsstellen braucht: Es sind wichtige Institutionen für den Zugang zum Recht und für die Verwirklichung der Grundrechte, die nicht nur in einigen wenigen Kantonen und Gemeinden existieren sollten.
Zürich, im März 2022
Dr. iur. Pierre Heusser
Ombudsmann der Stadt Zürich