Liebe Leser*innen

Frauen* kämpfen seit langem dafür, Geschlechterdiskriminierungen abzubauen (bspw. Lohngleichheit oder faire Rentenberechnungsmethoden). Sie forderten und fordern auf der Grundlage von Differenzen ihrer Körperlichkeiten stets auch spezifische Rechte für sich, namentlich im Zusammenhang mit ihren Reproduktionsrechten (bspw. Schwangerschaftsabbruch [siehe Essay von Sandra Hotz], Mutterschaftsurlaub). Das ist kein Widerspruch. Die feministische Forschung hat gelernt, mit dieser Ambivalenz konstruktiv umzugehen. Eine geschlechterbewusste wissenschaftliche Forschung in der Medizin und Rechtswissenschaft sorgt zunächst für die Sichtbarmachung von Schieflagen. In der Gendermedizin geht es um solche in der medizinischen Versorgung und darum, Heilmittel- und Behandlungssicherheit zu steigern. Wie das Recht dazu beitragen kann, zeigt der Beitrag von Tamara Zeiter, Der «Medical Sex and Gender Bias» in der Arzneimittelbranche, der einen neuen gesetzlichen Ansatz fordert, damit in klinischen Studien geschlechtsbezogene Analysen inklusive differenzierter Dosierungsempfehlungen durchgeführt und umgesetzt werden können. 

Mit der Überwindung bestehender Machtasymmetrien und verbesserter Berücksichtigung von Patientinnenbedürfnissen beschäftigt sich auch der Beitrag zum Behandlungsvertrag von Sandra Hotz, Plan de traitement – un droit essentiel et un outil avec du potentiel. Wie zentral zeitlich strukturierte Informationen für die individuelle Autonomisierung sind, illustriert der Kurzbeitrag von Thomas Gächter und Birgit Christensen, der sich anlässlich der vom Volk angenommen Rechtsänderung zur Organtransplantation mit der daraus resultierenden erweiterten Informationspflicht auseinandersetzt. 

Gesundheitsrecht ist heute nicht nur über Geschlechtergrenzen hinaus, sondern über die Grenzen von Wesen und Länder zu diskutieren: Wie mit «Pet Trafficking» im Allgemeinen und mit veterinärmedizinischer Prävention für Welpen im Besonderen de lege ferenda umzugehen ist, behandelt der Beitrag von Margot Michel, Iris M. Reichler, Livia Mathys und Bettina Enzler, Internationaler Welpenhandel, Tierschutz und Seuchenprävention. Wie das Sozialversicherungsrecht im Zeitalter der Digitalisierung über die territorialen Grenzen hinaus gedacht werden kann, zeigt der Beitrag von Tomas Poledna, Das Territorialitätsprinzip im KVG im Zeitalter der Digitalisierung, denn reine Inlandkonstellationen sind heute viel weniger die Norm und Diagnosen können beispielsweise mittels digitaler Dienstleistungen im Ausland erfolgen oder Fachpersonen ihre Dienstleitungen per Zoom aus ihrem Home-Office in der Provence erbringen. 

Den Abschluss dieser Sonderausgabe bildet die Rezension von Daniel Donauer mit einem weiteren international relevanten aktuellen Thema: Zukünftige Regulierung von Cannabis – Wandel vom Betäubungsmittel zum Lebensmittel von Katja Cupa (Zürcher Studien zum öffentlichen Recht, publ. Herbst 2021).

Für die Redaktion
Sandra Hotz

Wissenschaftliche Beiträge
Tamara Zeiter
Tamara Zeiter
Abstract

Gesundheitspolitisch und gesellschaftlich stellt die geschlechterkonforme Arzneimittelforschung heute eine Notwendigkeit dar. Allerdings sind Frauen in der klinischen Forschung nach wie vor unterrepräsentiert und geschlechterspezifische Arzneimittelanalysen fehlen. Mit Blick auf die Heilmittelsicherheit wird in diesem Zusammenhang die Forderung nach einem rechtlichen Rahmen laut, der dieser Notwendigkeit gerecht wird. In der Schweiz fehlt eine solche rechtliche Regelung bis anhin, was in der Arzneimittelforschung und -zulassung entsprechende Fragen aufwirft, die mit dem «Medical Sex and Gender Bias» im Spannungsverhältnis stehen.

Sandra Hotz
Sandra Hotz
Abstract

Der Behandlungsplan ist ein Instrument, dem ausserhalb der Psychiatrie noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Weshalb ist das so? Der Artikel beleuchtet die dogmatischen Herausforderungen bei der gesetzlichen Regelung des Behandlungsplans und setzt ihn in Beziehung zu anderen Instrumenten, mit denen der PatientInnenwille ausgedrückt werden kann, wie z. B. mit der Patientenverfügung oder mit dem Behandlungsvertrag. Ziel ist es, den Behandlungsvertrag als grundlegendes Recht der PatientInnenbeteiligung darzulegen und den Einsatz dieses Instruments mit Potenzial zu fördern, sei es bei einer Geburt oder bei der Palliativbehandlung. (xf)

Margot Michel
Margot Michel
Iris M. Reichler
Iris M. Reichler
Livia Mathys
Livia Mathys
Bettina Enzler
Bettina Enzler
Abstract

In den letzten Jahren werden immer mehr Hunde aus dem Ausland in die Schweiz gebracht. Oftmals sind die seuchenrechtlichen Vorschriften für eine zulässige Einreise nicht eingehalten und auch das Tierwohl bleibt auf der Strecke. Es ist Aufgabe der Behörden, in diesen Fällen angemessene Massnahmen zu treffen. Die Autorinnen stellen die komplexe geltende Rechtslage unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung dar, befassen sich vertieft und unter Einbezug der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Verhältnismässigkeit möglicher Massnahmen und skizzieren den Revisionsbedarf.

Tomas Poledna
Tomas Poledna
Abstract

Das Territorialitätsprinzip zählt zu den Grundprinzipien des Krankenversicherungsrechts, ist allerdings gesetzlich nicht näher definiert. Eine solche Definition ist allerdings erforderlich, um die Herausforderungen der digitalisierten medizinischen Dienstleistungen rechtlich einzuordnen. Der Beitrag zeigt die massgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen des schweizerischen Rechts auf.

Essay
Thomas Gächter
Thomas Gächter
Birgit Christensen
Birgit Christensen
Abstract

Die vom Volk angenommene erweiterte Widerspruchsregelung für die Organentnahme am Lebensende verteilt die Rollen neu: Für deren verfassungskonforme Umsetzung muss der Staat faktisch flächendeckend davor warnen, dass ohne entsprechenden Widerspruch hirntoten Menschen Organe entnommen werden können. Die Informationen müssen zudem präzis und individualisierbar sein. Eine Umsetzung der Vorlage, die zentrale Elemente des so genannten «Erklärungsmodells» aufnimmt, dürfte allen Anforderungen der Aufklärungs- und Informationspflicht am besten genügen.

Sandra Hotz
Sandra Hotz
Abstract

Nichts ist so privat für eine Frau* und zugleich so öffentlich debattiert wie der Abtreibungsentscheid. Der Oberste Gerichtshof der USA fällte jüngst eine folgenschwere Entscheidung, die das Recht von Frauen auf Abtreibung um ein halbes Jahrhundert zurückwirft.

Rezension
Daniel Donauer
Daniel Donauer
Abstract

Im Herbst 2021 ist die Druckfassung der Zürcher Dissertation aus der Reihe «Zürcher Studien zum öffentlichen Recht» von Dr. iur. Katja Cupa erschienen. Die Dissertation trägt den Titel «Zukünftige Regulierung von Cannabis – Wandel vom Betäubungsmittel zum Lebensmittel» und beschäftigt sich im Schwerpunkt mit der Fragestellung, wie die Regulierung von Cannabis nach einer allfälligen Aufhebung der betäubungsmittelrechtlichen Strafbestimmungen – vor dem Hintergrund einer gesundheitspolitischen Anschauung – ausgestaltet werden könnte.

Aus dem Bundesgericht
Jurius
Jurius
Abstract

BGer – Das Bundesgericht hat die Beschwerde von sechs Freiburger Gemeinden abgewiesen. Sie verlangten die Aufhebung des Agglomerationsgesetzes, weil sie ihr Anhörungsrecht verletzt sahen. Eine wesentliche Änderung des Gesetzes ist die Abschaffung der bisherigen Organisationsform der Agglo-Gemeinden als öffentlich-rechtliche Körperschaft. (Urteil 1C_636/2020)

Jurius
Jurius
Abstract

BGer – Die vom Solothurner Obergericht verhängte Freiheitsstrafe von 37 Monaten sowie die angeordnete Verwahrung eines heute 49-jährigen Mannes sind rechtskräftig. Das Bundesgericht ist nicht auf dessen Beschwerde eingetreten. Der Pädophile verging sich wiederholt an Kindern und wurde 2018 trotz Bewährungshilfe und engmaschiger Begleitung rückfällig. (Urteil 6B_390/2022)

Jurius
Jurius
Abstract

BGer – Die Walliser Justiz muss die Untersuchungshaft überprüfen, die gegen einen französischen Staatsbürger angeordnet wurde, dem rund 30 Diebstähle zur Last gelegt werden. Das Bundesgericht ist der Ansicht, dass von dem 40-Jährigen, der den Grossteil seines Lebens in der Schweiz verbracht hat, nur ein geringes Fluchtrisiko ausgeht. (Urteil 1B_388/2022) (el)

Aus dem Bundesverwaltungsgericht
Jurius
Jurius
Abstract

BVGer – Die Fernsehstationen von CH Media haben 2020 nicht gegen das Verbot politischer Werbung vor Abstimmungen verstossen. Zu diesem Schluss kommt das Bundesverwaltungsgericht bei der Beurteilung eines TV-Werbefilms. (Urteil A-1169/2021)

Aus dem Bundesstrafgericht
Jurius
Jurius
Abstract

BStGer – Die Bundesanwaltschaft muss die Einsprache eines Mannes gegen einen Strafbefehl behandeln, der vergangenes Jahr auf seinem Facebook-Konto einen Post veröffentlichte, in dem er Bundesrat Alain Berset beschimpfte. Dies hat die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts entschieden. (Beschluss BB.2021.192)

Jurius
Jurius
Abstract

BStGer – Das Bundesstrafgericht hat die Beschwerden von 17 amtlichen Verteidigern aus dem Kanton Aargau gutgeheissen, die sich für ihre Arbeit nicht ausreichend bezahlt fühlten. In einigen Fällen hatte die kantonale Justiz ihre Honorarnoten um mehr als 70 Prozent gekürzt. (insbesondere Entscheid BB.2021.84)

Jurius
Jurius
Abstract

BStGer – Die von der Strafkammer des Bundesstrafgerichts zugesprochenen Entschädigungen im Fall des eingestellten Sommermärchen-Verfahrens gegen vier Ex-Fussball-Funktionäre sind noch nicht in trockenen Tüchern. Die Beschwerdekammer hat eine Beschwerde der Bundesanwaltschaft gutgeheissen. (Entscheid BB.2021.153)

Medienmitteilungen
Jurius
Jurius
Abstract

Vernetzte Geräte müssen die Privatsphäre ihrer Benutzerinnen und Benutzer besser schützen. Neue Bestimmungen in der Verordnung des BAKOM über Fernmeldeanlagen (VFAV) erhöhen die Cybersicherheit von bestimmten, auf dem Schweizer Markt erhältlichen, drahtlosen Geräten wie Smartphones, Smartwatches, Fitness-Trackern und drahtlosen Spielzeugen. Die Revision tritt am 1. September 2022 in Kraft. Herstellerinnen und Entwickler von Produkten, die von der Revision betroffen sind, müssen die neuen Bestimmungen spätestens ab dem 1. August 2024 zwingend anwenden.

Jurius
Jurius
Abstract

Erwerbstätige, die ein Kind von unter vier Jahren zur Adoption aufnehmen, haben neu Anspruch auf einen durch die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigten zweiwöchigen Adoptionsurlaub. Am 24. August 2022 hat der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen zum Adoptionsurlaub verabschiedet und das Inkrafttreten auf den 1. Januar 2023 festgelegt.

Jurius
Jurius
Abstract

Die Wettbewerbskommission (WEKO) hebt in der Untersuchung zu den Bankomaten-Systemen die vorsorglichen Massnahmen gegen Mastercard auf.