Liebe Leserinnen und Leser
Die Schweizer Gefängnisse sind voll. Gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) waren mit dem Stichtag 4. September 2013 in der Schweiz 7‘072 Erwachsene in Gefängnissen und Justizvollzugsanstalten inhaftiert. Platz hätte es eigentlich lediglich für 7‘048 Gefangene. Dies und die Tatsache, dass seit 1999 die Zahl der Verurteilten um 35 Prozent zugenommen hat, stellen die zuständigen Behörden vor stetig neue Herausforderungen. Cléo Bonadei widmet sich der Herausforderung der Überweisung der Gefangenen von einer Justizvollzugsanstalt in eine andere und weist auf den verbesserungswürdigen Grundrechtsschutz von Inhaftierten hin.
Was machen die verantwortlichen Instanzen (die Strafverfolgungsbehörden oder das Gericht), wenn die Identifizierung eines Täters aufgrund des Bestreitens aller Beteiligten nicht möglich ist? Die Lösung liegt laut Hans Giger in dem in Art. 32 BV verankerten Grundsatz «in dubio pro reo». Lassen sich keine rechtsgenüglichen Anhaltspunkte zur Bestimmung des Täters eruieren, so darf nicht durch eine kreative Untersuchungs- und Entscheidungspraxis Schicksal gespielt werden.
Überschreitet das Bundesgericht des Öfteren seine Kompetenzen? Betreibt es gar unzulässige Rechtsfortbildung? Wie ist mit «falschen» Entscheiden umzugehen? Astrid Epiney stellt, anhand des BGE 139 I 16, einige Überlegungen zur Rolle des Bundesgerichts bei der Verfassungsauslegung an. Diese Fragen werden häufig gerade im Zusammenhang mit der Auslegung bzw. Anwendung von Verfassungsbestimmungen, die im Zuge von Volksinitiativen Eingang in die Verfassung gefunden haben, so auch in dem in dem Beitrag besonders berücksichtigten BGE 139 I 16 gestellt (vgl. auch: Astrid Epiney, Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht aus der Sicht des Bundesgerichts, in: Jusletter 18. März 2013). Die Autorin zeigt auf, dass sich das Bundesgericht in diesem Urteil in jeder Beziehung an die anerkannten juristischen Methoden hält und der Entscheid daher keineswegs als Kompetenzüberschreitung des Gerichts kritisiert werden kann, auch wenn möglicherweise inhaltliche Aspekte kritisiert werden können bzw. man hier anderer Meinung sein kann.
Das abgekürzte Verfahren ist aufgrund seiner starken Vereinfachung sehr effektiv. Es erlaubt allen Beteiligten, flexibel, verhandlungsorientiert und diskret agieren zu können. Dennoch fragt sich Loraine Kehrer, ob die verfahrenserledigende Absprachepraxis immer mit rechtsstaatlichen Ansprüchen kompatibel ist. Die Effektivität darf nicht auf Kosten der Wahrheitsfindung bzw. der beschuldigten Partei gehen, daher versucht die Autorin, eine Balance zwischen diesen Ansprüchen zu finden.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und einen guten Start in die neue Woche.
| Simone Kaiser | Sandrine Lachat Leiterin Jusletter Suisse Romande |
Abstract
Der Bereich des Sanktionenvollzugs steht noch vor zahlreichen, insbesondere strukturellen Herausforderungen. Der Beitrag konzentriert sich auf das Verfahren der Überweisung von Gefangenen von einer Justizvollzugsanstalt in eine andere, was weder durch die kantonale Gesetzgebung noch durch interkantonale Vereinbarungen geregelt wird. Die Praxis der zuständigen Behörden im Zusammenhang mit der Frage der Gefängnisüberweisung ist dabei durch eine Analyse der verschiedenen jüngsten Fälle sowie den allgemeinen Grundsätzen des Sanktionenvollzugs und dem Schutz der Grundrechte zu beurteilen. (bk)
Abstract
Vier Personen unternahmen mit vier unterschiedlichen Autos eine Fahrt über eine längere Strecke. Dabei wurde ein Fahrer mit einer Geschwindigkeit von 117 km/h statt 80 km/h geblitzt. Eine Identifizierung des Täters war auf Grund der Bestreitungen Aller nicht möglich. Gegen A wurde ein Strafbefehl erlassen. Als er gerichtliche Beurteilung verlangte, sistierte man das Verfahren und erhob gegen B Anklage. Darf nun etwa angesichts der nicht zweifelsfreien Zuordnung der Schuld in kreativer Rechtsprechung einer der Beteiligten strafrechtlich erfasst werden? Immerhin besteht doch die nicht vermeidbare Gefahr einer Verurteilung des Schuldlosen und Freisprechung des Schuldigen.
Abstract
Dem Bundesgericht wird gelegentlich vorgeworfen, es überschreite seine Kompetenzen und lege nicht nur aus, sondern betreibe (unzulässige) Rechtsfortbildung, so in Bezug auf BGE 139 I 16, in dem das Bundesgericht auch grundsätzliche Aussagen zur Tragweite der Art. 121 Abs. 3–6 BV (die auf die sog. «Ausschaffungsinitiative» zurückgehen) sowie zum Verhältnis von Völker- und Landesrecht formulierte. Dies soll zum Anlass genommen werden, anhand des erwähnten Urteils einige Überlegungen zur Rolle des Bundesgerichts bei der Verfassungsauslegung anzustellen und die Frage zu stellen, ob der (ja in der Sache gravierende) Vorwurf, das Bundesgericht habe hier seine Kompetenzen überschritten, gerechtfertigt erscheint.
Abstract
Das abgekürzte Verfahren erlaubt der Staatsanwaltschaft, der beschuldigten Partei sowie der Privatklägerschaft sich über den Inhalt der Anklageschrift zu einigen, welche an das erstinstanzliche Gericht zur Genehmigung übermittelt wird. Allerdings gibt es keine eindeutige Lösung für Taten, die Gegenstand von Verhandlungen waren und die nicht in der Anklageschrift festgehalten sind. Der Beitrag versucht, dieses Problem zu lösen. (bk)
Abstract
EGMR – Weil die ursprüngliche Klägerin sich ihren lang gehegten Todeswunsch doch noch hat erfüllen können, tritt die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht auf eine Beschwerde betreffend Suizidhilfe ein. (Urteil 67810/10)
Abstract
BGer – Männer haben keinen Anspruch auf Erwerbsersatz für Vaterschaftsurlaub. Dass gemäss Gesetz nur Frauen in den ersten vierzehn Wochen nach der Geburt eines Kindes Mutterschaftsentschädigung erhalten, stellt keine Geschlechterdiskriminierung dar. Das Bundesgericht weist die Beschwerde eines Vaters ab. (Urteil 9C_810/2013)
Abstract
BGer – Die Credit Suisse verweigert ehemaligen Mitarbeitenden eine Kopie von Dokumenten, die sie betreffen und den US-Behörden übermittelt worden waren. Das Bundesgericht, dessen Urteil demnächst erwartet wird, weist das Verfahren an das Zürcher Gericht zurück. (Urteil 4A_215/2014) (sts)
Abstract
BGer – Den Kantonen ist es erlaubt, verdeckte polizeiliche Ermittlungsmassnahmen zur Verhinderung oder Erkennung künftiger Straftaten einzuführen. Inhaltlich müssen die getroffenen Regelungen rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Die neuen Bestimmungen des Polizeigesetzes des Kantons Zürich erfüllen diesen Anspruch nicht in allen Teilen. (Urteil 1C_653/2012)
Abstract
BGer – Das Bundesgericht hat das Genfer Polizeigesetz aufgrund verfassungsrechtlicher Mängel drei Artikel gestrichen. Es erachtet den Rechtsschutz von überwachten Personen als ungenügend. (Urteil 1C_518/2013)
Abstract
BGer – Das Bundesgericht hat der Beschwerde gegen die Einführung des Mindestlohns im Kanton Neuenburg die aufschiebende Wirkung gewährt. Zahlreiche Verbände und Firmen wollen das vom Grossen Rat beschlossene Gesetz bodigen, das einen minimalen Stundenlohn von 20 Franken vorsieht. (Urteil 2C_774/2014)
Abstract
BVGer – Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt einen Entscheid der Fachstelle für Personensicherheit: Sie hat einen Bundesangestellten mit Zugang zu Geheim-Material als Sicherheitsrisiko eingestuft, weil sich dieser nicht «constant» vom rechtsextremen Milieu abgewendet hat. (Urteil A-912/2014)
Abstract
Die Schweiz hat sich am 30. September 2014 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zum Verhältnis zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und europäischem Recht geäussert.
Abstract
Im Juni 2014 hat das Parlament die Änderungen des Gewässerschutzgesetzes genehmigt, welche vorsieht, dass die Massnahmen zur Verminderung der Mikroverunreinigungen in den Abwasserreinigungsanlagen (ARA) teilweise vom Bund finanziert werden. Der Bundesrat hat den 1. Januar 2016 als Datum für das Inkrafttreten der Gesetzesänderung festgelegt.
Abstract
Die Zusammenstellung beinhaltet alle schweizerischen Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse, Bundesrats- und Departementsverordnungen sowie einzelne Artikel, die im Oktober 2014 in Kraft treten. Die einzelnen Erlasse und Änderungen können via Links direkt abgerufen werden.
Jusletter