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Liebe Leser*innen

Die Fachwelt erhoffte sich, dass sich das Bundesgericht im Urteil 8C_256/2021 vom 9. März 2022 zu den Kritikpunkten im Zusammenhang mit der Verwendung von LSE-Tabellen in der Invaliditätsbemessung äussern würde. Obschon eine Praxisänderung ausblieb, formulierte das Bundesgericht einige Leitplanken, an denen die seit 1. Januar 2022 geltenden Neuerungen in der Invaliditätsversicherung zu messen sein werden. Thomas Gächter und Michael E. Meier besprechen den zur Publikation bestimmten Entscheid.

Tania Urso, Marianne Heer, Ueli Kieser, Roman Schleifer, Marc Graf, Urs Hagen und Michael Liebrenz thematisieren die sogenannten teilstationären Versorgungsangebote für die Behandlung von psychisch kranken Rechtsbrecher*innen. Die Autor*innen orientieren darüber, wo solche Angebote in der forensischen Psychiatrie einzuordnen sind und welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit von einem tagesklinischen Angebot gesprochen werden kann.

Seit Jahrzehnten herrschte in der Schweiz Rechtssicherheit darüber, dass Ungültigkeits- und Herabsetzungs-Einreden nach Art. 521/533 Abs. 3 ZGB jederzeit möglich sind. In jüngster Vergangenheit wurde dies in Frage gestellt, ebenso der «actio duplex»-Charakter von Erbteilungsklagen. Thomas Geiser und Andreas Flückiger analysieren die neuen Thesen. Sie schlussfolgern, dass nicht nur Rechtsschutzbedürfnisse und Rechtssicherheit für eine Beibehaltung der altbewährten Lehre und Gerichtspraxis sprechen, sondern dass auch nur diese dem materiellen Recht entspricht.

George Poulikakos beleuchtet die Frage, wie ein Gericht ex post beurteilen soll, ob Polizist*innen nach Art. 241 Abs. 3 StPO aufgrund von Gefahr im Verzug ohne staatsanwaltlichen Befehl eine «Not»-Hausdurchsuchung vornehmen durften. Der Autor erörtert zudem, wie zu verfahren ist, sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass keine Gefahr im Verzug bestand und somit rechtswidrig auf das Einholen eines Hausdurchsuchungsbefehls verzichtet wurde.

Zur Würdigung des Wirkens von Professor Dr. iur. Franz Werro ist zu dessen 65. Geburtstag eine Festgabe mit 56 Abhandlungen erschienen. Roland Pfäffli gibt einen Überblick über die einzelnen Beiträge in der Festschrift.

Wir wünschen eine lehrreiche und interessante Lektüre sowie einen guten Wochenstart!

Editions Weblaw

In eigener Sache:

Jusletter geht in die Sommerpause. Dies ist die letzte Ausgabe vor den Sommerferien.
Jusletter startet wieder am 8. August 2022.

Urteilsbesprechungen
Thomas Gächter
Michael E. Meier
Abstract

Das öffentlich verhandelte Urteil 8C_256/2021 vom 9. März 2022 war mit Spannung erwartet worden. Die Fachwelt erhoffte sich Klärungen zur Frage, wie der Invaliditätsgrad realitätsnaher bestimmt werden kann. Die Praxisänderung blieb aus. Das Bundesgericht formulierte jedoch einige wichtige Leitplanken, an denen die erst seit dem 1. Januar 2022 geltenden Neuerungen in der Invalidenversicherung zu messen sein werden. Der Beitrag ordnet den Entscheid in die jüngere Entwicklung ein und zeigt auf, in welchen Bereichen die Neuregelungen in der revidierten IVV nicht überzeugen.

Beiträge
Tania Urso
Marianne Heer
Ueli Kieser
Roman Schleifer
Marc Graf
Urs Hagen
Michael Liebrenz
Abstract

Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Rolle der sogenannten teilstationären Versorgungsangebote bzw. Tageskliniken in der Versorgung und Behandlung von psychisch kranken Rechtsbrecher:innen. Dabei skizziert der Artikel in einer auf juristische Leser:innen zugeschnittenen Darstellungsweise, was in der Psychiatrie unter Tageskliniken verstanden wird, welche Erfahrungen bezüglich der Wirksamkeit gemacht wurden, wo sich derartige Angebote in der forensischen Psychiatrie einordnen könnten und welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit von einem tagesklinischen Angebot gesprochen werden kann.

Thomas Geiser
Andreas Flückiger
Abstract

Auf Basis prozessrechtlicher Argumente wurden kürzlich Thesen publiziert, welche die über Jahrzehnte bewährte Rechtsprechung zu den erbrechtlichen Einredemöglichkeiten von Art. 521/533 Abs. 3 ZGB in Frage stellen und diesen Rechtsschutz gegen Verfügungen, die an einem Ungültigkeitsgrund leiden oder Pflichtteile verletzen, extrem einschränken würden. Dies hätte nicht nur gravierende Rechtsunsicherheit zur Folge, sondern würde nach Ablauf der kurzen einjährigen Verwirkungsfrist – deren Beginn zudem oft unklar ist – die Rechtswahrung der Betroffenen faktisch der Willkür derjenigen aussetzen, die von einer pflichtteilsverletzenden oder einer «ungültigen» Verfügung zu Unrecht profitieren. Nachstehend wird gezeigt, dass nicht nur die Rechtsschutzbedürfnisse und die Rechtssicherheit eine Beibehaltung der bewährten Lehre und Rechtsprechung erfordern, sondern dass allein diese dem materiellen Recht entspricht.

George Poulikakos
Abstract

Wie soll ein Gericht ex post beurteilen, ob die Polizei gemäss Art. 241 Abs. 3 StPO wegen Gefahr im Verzug ohne staatsanwaltlichen Befehl eine Hausdurchsuchung vornehmen durfte? Um dem Ausnahmecharakter dieser Bestimmung Rechnung zu tragen, postuliert der Verfasser, dass das Gericht vermutungsweise von keiner Gefahr im Verzug ausgehen soll. Sodann wird erörtert, wie im Hinblick auf die strafprozessuale Beweisverwertung zu verfahren ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass keine Gefahr im Verzug bestand und die Polizei somit rechtswidrig auf die Einholung eines Hausdurchsuchungsbefehls verzichtete.

Rezension
Roland Pfäffli
Abstract

Zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Franz Werro ist eine Festschrift mit 56 Beiträgen erschienen. Im Rahmen eines feierlichen Anlasses an der Universität Freiburg i.Üe. wurde sein Wirken angemessen gewürdigt. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick zu den einzelnen Abhandlungen in der Festgabe.

Aus dem Bundesgericht
Jurius
Abstract

BGer – Das Bundesgericht bestätigt die gegenüber drei ausländischen Anbieterinnen von Online-Geldspielen verhängten Netzsperren. Sie können aus der Wirtschaftsfreiheit nichts für sich ableiten. Die angeordneten DNS-Sperren sind verhältnismässig. (Urteile 2C_336/2021, 2C_337/2021 und 2C_338/2021)

Jurius
Abstract

BGer – Ein Mitglied der königlichen Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate muss der Rheinmetall Waffe Munition GmbH rund 50 Millionen Euro zahlen. Dies geht aus einem Urteil des Bundesgerichts hervor. Die geschuldete Summe steht in Zusammenhang mit einem Vertrag für die Bewaffnung von Fregatten der algerischen Armee. (Urteil 4A_20/2022)

Jurius
Abstract

BGer – Das Bundesgericht hat ein Urteil des Waadtländer Kantonsgerichts als «schockierend» bezeichnet, in dem eine Genugtuung für widerrechtliche Haftbedingungen wegen Verjährung abgewiesen wurde. Die kantonale Justiz überspannte den Bogen bei der Prüfung der Verjährungsfrage. (Urteil 2C_704/2021)

Jurius
Abstract

BGer – Eine Frau ist zu Recht wegen Persönlichkeitsverletzung verurteilt worden, weil sie gegenüber Dritten erzählte, dass das Kind von Bekannten mit ihrer Eizelle gezeugt wurde. Dies hat das Bundesgericht entschieden und ein Urteil des Zürcher Obergerichts bestätigt. (Urteil 5A_817/2021)

Aus dem Bundesstrafgericht
Jurius
Abstract

BStGer – Am 27. Juni 2022 fällte die Strafkammer des Bundesstrafgerichts ein Urteil betreffend eine im internationalen Betäubungsmittelhandel und der Geldwäscherei tätige kriminelle Organisation aus Bulgarien. (Urteil SK.2020.62)

Jurius
Abstract

BStGer – Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts hat den Prozess gegen den früheren ukrainischen Spitzenpolitiker Mykola Martynenko und einen weiteren Angeklagten sistiert. Der Mitangeklagte verlangte eine Wiederholung des erstinstanzlichen Prozesses, was abgewiesen wurde. Nun ist der Fall vor dem Bundesgericht hängig. (Beschluss C.2022.7)

Jurius
Abstract

BStGer – Das Bundesstrafgericht hat im abgekürzten Verfahren drei frühere Mitarbeiter der SBB wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung und ungetreuer Amtsführung zu bedingten Freiheitsstrafen von 15, 17 beziehungsweise 18 Monaten verurteilt. Ein weiterer Mittäter erhielt eine bedingte Freiheitsstrafe von 20 Monaten. Die Männer zweigten von der SBB rund 3,2 Millionen Franken ab. (Urteil SK.2022.10)

Medienmitteilungen
Jurius
Abstract

Angesichts der anhaltenden russischen Militäraggression in der Ukraine hat der Bundesrat am 29. Juni 2022 weitere Sanktionen gegenüber Russland verhängt. Damit ist der Entscheid des Bundesrates vom 10. Juni 2022, auch das neueste Sanktionspaket der EU zu übernehmen, umgesetzt. Die Massnahmen traten am 29. Juni 2022 um 18.00 Uhr in Kraft.

Jurius
Abstract

Der Bundesrat hat anlässlich seiner Sitzung vom 29. Juni 2022 die Inkraftsetzung der rechtlichen Anpassungen zur Umsetzung der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex), unter dem Vorbehalt der Erwahrung der Volksabstimmung vom 15. Mai 2022, per 1. September 2022 beschlossen und die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis genommen. Die Anpassungen umfassen Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes, des Asylgesetzes, des Zollgesetzes, des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und an Dublin sowie der Ausführungsbestimmungen zur Beteiligung der Schweiz an Frontex.

Jurius
Abstract

Die Bundesverwaltung kann neu bei befristeten Pilotversuchen von Bestimmungen des Personalrechts abweichen. Mit dieser zusätzlichen Flexibilität soll die digitale Transformation der Bundesverwaltung unterstützt werden. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 29. Juni 2022 mit einer Revision der Bundespersonalverordnung (BPV) die nötige rechtliche Grundlage geschaffen.

Jurius
Abstract

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA ermöglicht der Sberbank (Switzerland) AG, Forderungen von nichtsanktionierten Gläubigerinnen und Gläubigern zu erfüllen. Die stabilere finanzielle Lage der Bank und die aktuelle sanktionsrechtliche Situation erlauben diesen Schritt.

Jurius
Abstract

Die Wettbewerbskommission (WEKO) büsst sieben Händlerinnen von Fahrzeugen der VW-Marken im Kanton Tessin. Sie bildeten ein unzulässiges Kartell beim Verkauf von Neufahrzeugen an Private und die öffentliche Hand.

Gesetzgebungsübersicht
Jurius
Abstract

Die vorliegende Zusammenstellung beinhaltet alle schweizerischen Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse, Bundesrats- und Departementsverordnungen sowie einzelne Artikel, die im Juli 2022 in Kraft treten. Die einzelnen Erlasse und Änderungen können via Links direkt abgerufen werden.