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Eine ausreichende, breit gefächerte und sichere Energieversorgung ist von hohem öffentlichem Interesse und betrifft sowohl die Erzeugung als auch den Transport und den Verbrauch von Energie. Die Energiestrategie 2050 betont das Bedürfnis, neue Anlagen zu schaffen und bestehende Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien auszubauen, um nicht nur kurzfristig der Gefahr einer Versorgungslücke vorzubeugen, sondern generell die Steigerung der einheimischen und kohlenstoffarmen Energieproduktion zu fördern. Mehrere Revisionen der Energiegesetzgebung des Bundes befinden sich in der parlamentarischen oder vorparlamentarischen Phase. Sie betreffen die Vereinfachung der Verfahren, die Stützung systemrelevanter Elektrizitätsunternehmen oder auch die Begünstigung der Errichtung von Produktionsanlagen, die erneuerbare Energien nutzen. Das Bundesgesetz über die Energie wurde zudem kürzlich durch dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter geändert.

Die Entwicklung erneuerbarer Energien erfolgt in einem Spannungsfeld mit anderen öffentlichen Interessen und Grundrechten wie der Eigentumsgarantie oder der Wirtschaftsfreiheit. Insbesondere der Bau von Anlagen zur Energieerzeugung kann mit den Anforderungen des Natur- und Heimatschutzes kollidieren; einige dieser Anlagen werden aufgrund ihrer Grösse und Bedeutung per Gesetz als nationales Interesse eingestuft. In einem Beitrag mit dem Titel «L'intérêt national à l'utilisation des énergies renouvelables» untersucht Thierry Largey, ob die vom Bundesrat in der Ausführungsverordnung vorgenommene Konkretisierung mit Art. 12 des Bundesgesetzes über die Energie vereinbar ist.

Die dezentrale Erzeugung von erneuerbarer Energie und der Eigenverbrauch werden gefördert, insbesondere durch die Errichtung von Photovoltaik- oder thermischen Solaranlagen auf Gebäuden. Viele Kantone haben Bestimmungen erlassen, die bei Neubauten eine gewisse Eigenproduktion von Strom – durch Solaranlagen – vorschreiben. Dagegen gibt es noch keine gesetzliche Grundlage, um Eigentümer zur Nachrüstung von Bestandsbauten zu verpflichten. Phyllis Scholl untersucht in ihrem Beitrag «Einführung einer PV-Pflicht auf Bestandesbauten», ob und inwieweit eine solche Pflicht mit der Eigentumsgarantie nach Art. 26 BV vereinbar ist.

Die Verpflichtung zur Abnahme und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Energien, die einem Netzbetreiber angeboten wird, soll auch den dezentralen Ausbau der Energieerzeugung fördern. Das Einspeisevergütungssystem (EVS) unterscheidet zwei Vergütungsmodelle: die Direktvermarktung und die Einspeisung zum Referenzmarktpreis. In seinem Beitrag «Réadhésion au système de l'obligation de reprise du GRD (Art. 15 LEne)» untersucht Mathieu Simona die Möglichkeit eines Betreibers, jederzeit zwischen beiden Systemen zu wechseln.

Die Aktualität auf nationaler und internationaler Ebene konfrontiert die Staaten – so auch die Schweiz – mit der Herausforderung, die Energiekosten unter Kontrolle zu halten, und mit der Dringlichkeit, dem aussergewöhnlichen Anstieg der Marktpreise, insbesondere der Strompreise, entgegenzuwirken. In diesem Sinne ist es notwendig, sowohl das Sicherheitsbedürfnis der Verbraucher als auch das der Erzeuger zu gewährleisten.

In seinem Beitrag «Approvisionnement de base en électricité sur le long terme» kommt Gilles Robert-Nicoud zu der Feststellung, dass die Struktur der Grundversorgung, die auf 620 lokalen Verteilern beruht, die Preisregulierung der Grundversorgung und die Unsicherheit über die vollständige Marktöffnung keinerlei Anreize für die Risikoabsicherung von Grossverbrauchern bieten. Im Falle eines Verzichts auf eine vollständige Öffnung des Strommarktes sollten die Grundsätze der Preisgestaltung für die Grundversorgung gesetzlich verankert werden. Brigitta Kratz ihrerseits vertritt die Ansicht, dass das Grundversorgungsmodell nur einen begrenzten Schutz für private und öffentliche Endverbraucher bietet. In ihrem Beitrag «Mehr Marktpreise oder regulierte Versorgung?» hegt sie Zweifel daran, dass das Marktpreissystem eine wirksame Antwort auf die aktuellen Entwicklungen auf dem Energiemarkt bieten kann.

Für die Redaktion

Thierry Largey
Prof. Dr. iur, lic. nat. Biologie


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