Liebe Leser*innen,

Das schweizerische Kaufrecht gründet auf Regeln mit langer Tradition. Daraus ergeben sich Vorteile. Insbesondere besteht zu vielen Fragen eine bewährte Gerichtspraxis, die bei der Gestaltung von Kaufverträgen herangezogen werden kann. Zugleich entwickelt sich die Vertragswirklichkeit im Einklang mit den wirtschaftlichen Impulsen laufend weiter. Gestützt darauf bietet es sich an, das geltende Recht gelegentlich zu überprüfen und, falls erforderlich, an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Erste Schritte in diese Richtung sind die diesjährigen bundesrätlichen Berichte zur Modernisierung des Gewährleistungsrechts im Fahrniskauf sowie zur Überprüfung der Formvorschriften im Privatrecht, u.a. auch für den Grundstückkauf. Bereits eine Hürde genommen haben die bundesrätlichen Vorschläge zur Revision der Baumängelhaftung, die ebenfalls den Grundstückkauf betreffen. Die Beiträge dieser Schwerpunktausgabe befassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Frage, welche rechtlichen Herausforderungen bei der Gestaltung und Durchsetzung von Kaufverträgen entstehen können. Dabei wird nicht nur den erwähnten bundesrätlichen Projekten Beachtung geschenkt, sondern auch ein Fokus auf prozessrechtliche und internationale Fragestellungen gelegt. Mein grosser Dank geht an die Autorinnen und Autoren, die sich die Zeit genommen haben, um ihre Expertise in Worte zu fassen und uns allen zur Verfügung zu stellen. Vertreten sind Stimmen aus Praxis und Wissenschaft.

Christian Josi befasst sich in seinem Beitrag mit prozessualen Aspekten des Leistungsverweigerungsrechts gemäss Art. 82 OR und Art. 184 Abs. 2 OR. Der Kaufvertrag ist der Inbegriff eines vollkommen zweiseitigen Vertrages, bei dem die eine Leistung hingegeben wird, um die andere Leistung zu erhalten. Diesen Gedanken bringen Art. 184 Abs. 2 OR wie auch Art. 82 OR zum Ausdruck: Sofern nicht Vereinbarung oder Übung entgegenstehen, sind Verkäufer und Käufer verpflichtet, ihre Leistungen gleichzeitig – Zug um Zug – zu erfüllen. Dieser Grundsatz klingt einfach, die praktischen Probleme der prozessualen Umsetzung sind aber beträchtlich. Der Autor bringt Klarheit über die Erhebung der entsprechenden Einrede im Prozess, die Formulierung von Rechtsbegehren wie auch die Behauptungs- und Beweislast.

Yeşim M. Atamer, Mirjam Eggen und Dario Hug setzen sich mit dem bundesrätlichen Bericht zur Modernisierung des schweizerischen Gewährleistungsrechts im Fahrniskauf vom Juni 2023 auseinander. Die Autoren unterstützen die Stossrichtung des Berichts und sprechen sich ebenfalls für eine Reform der Gewährleistungsbestimmungen aus. Sie schlagen insbesondere vor, auf die Unterscheidung zwischen zugesicherten und gewöhnlichen Eigenschaften des Kaufgegenstandes zu verzichten und für Güter mit digitalen Komponenten eine Aktualisierungspflicht einzuführen. Komplementär zu den bundesrätlichen Vorschlägen argumentieren sie weiter für die Klärung des kaufrechtlichen Konsumentenbegriffs sowie für eine Neuregelung der Gefahrtragung.

Christoph Brunner geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie die Haftung bei Baumängeln im geltenden und künftigen Recht auszugestalten ist. Sein Beitrag zu Nachbesserungsrecht, Gewährleistungsausschluss und Abtretung von Mängelrechten beim Verkauf von neu erstellten oder umfangreich sanierten Wohnungen befasst sich kritisch mit dem BGer 4A_152/2021 und der dort vorgebrachten Einordnung der Nachbesserung durch den Verkäufer. Weiter wird die laufende Revision der Baumängelhaftung dargestellt und bewertet.

Thomas Koller widmet sich in seinem Gedankenspiel zum Panzerdeal dem internationalen Kaufrecht. Den Medien konnte man entnehmen, dass eine deutsche Unternehmung behauptet, sie habe von der Ruag 2019 25 Panzer vom Typ Leopard-1 A5, die sich in Italien befinden, gekauft und sei deren Eigentümerin. Übergeben wurden diese Panzer der (angeblichen) Käuferin bis jetzt nicht. Im Rahmen einer hypothetischen juristischen Fingerübung untersucht der Beitrag, ob die deutsche Unternehmung effektiv bereits Eigentümerin der Panzer sein könnte, und zeigt auf, dass die Antwort auf diese Frage von verschiedenen Umständen abhängt und somit unterschiedlich ausfallen kann.

Ebenfalls mit der internationalen Dimension des Kaufrechts befasst sich Loïc Stucki in seinem Beitrag über Nacherfüllungsansprüche und Updates bei digitalen Kaufsachen unter dem CISG. Er bespricht die bislang für digitale Güter ungeklärte Differenzierung zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung sowie die diesbezüglichen Anspruchsvoraussetzungen. Weiter thematisiert er die Durchführung der Nacherfüllung und die Frage, ob dem Käufer ein Anspruch auf Updates zusteht. Er kommt zum Ergebnis, dass es im grenzüberschreitenden Handel mit digitaler Ware sinnvoll sein kann, das CISG für anwendbar zu erklären, sofern im Vertrag ein massgeschneidertes Gewährleistungs- und Nacherfüllungsregime festgelegt wird.

Mirjam Eggen nimmt den Bericht des Bundesrats zur Überprüfung der Formvorschriften im Privatrecht vom September 2023 zum Anlass, um den Formzwang beim Grundstückkauf einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Sie befasst sich mit dem langjährigen Streitpunkt nach dem Umfang der zu beurkundenden Vertragsinhalte und kommt zum Ergebnis, dass eine Klärung nicht über eine Konkretisierung der langjährigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung erreicht werden kann, sondern über deren Anpassung oder mit einer Gesetzesänderung zu erfolgen hat.

Bern, im November 2023

Mirjam Eggen
Juristische Fakultät, Universität Bern

Wissenschaftliche Beiträge
Prozessuale Aspekte der Einrede des nicht erfüllten Vertrages
Christian Josi
Christian Josi
Wer vom Schuldner Geld erhalten will, muss zuerst selbst erfüllen oder die Erfüllung anbieten. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäss Art. 82 OR zwingt den Gläubiger auch zur Prozessführung über seine eigene Leistungspflicht. Der Autor beleuchtet die prozessualen Folgen dieser Erweiterung des Prozessgegenstands, insbesondere für Rechtsbegehren, Beweislast, Rechtskraft und Vollstreckung.
Zur Modernisierung des schweizerischen Gewährleistungsrechts im Fahrniskauf
Yeşim M. Atamer
Yeşim M. Atamer
Mirjam Eggen
Mirjam Eggen
Dario Hug
Dario Hug
Die Bestimmungen des OR zum Fahrniskauf gehen von Kaufgegenständen aus, die bereits existieren und deren Eigenschaften nicht verändert werden können. Entsprechend werden dem Käufer nur begrenzte Mängelrechte eingeräumt. Dieses Verständnis entspricht nicht mehr der heutigen Realität. Digitalisierung, Servitisation und auch Nachhaltigkeitserwartungen stellen das Kaufrecht vor ganz neue Herausforderungen. Der vom Bundesrat im Juni 2023 publizierte Bericht zur Modernisierung des schweizerischen Gewährleistungsrechts beim Kauf schlägt gestützt auf diese Diskrepanz eine Reform der Gewährleistungsregeln vor, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.
Nachbesserungsrecht, Gewährleistungsausschluss und Abtretung von Mängelrechten beim Verkauf von neu erstellten oder umfangreich renovierten Wohnungen
Christoph Brunner
Christoph Brunner
Am 25. September 2023 hat der Nationalrat als Erstrat die Revisionsvorlage «Baumängel» zwecks Verbesserung der Situation von Bauherren sowie Käuferinnen und Käufern von Grundstücken mit neu erstellten oder umfangreich renovierten Bauten angenommen. Vorgesehen ist u.a. ein zwingendes Nachbesserungsrecht des Käufers gegenüber dem Verkäufer sowie des Bestellers gegenüber dem Unternehmer, ein Systemwechsel bei der Mängelrüge und eine 10-jährige Verjährungsfrist. Die Revisionsvorlage wird vorgestellt und die Bedeutung der Problematik nach geltendem Recht mit einer Besprechung von BGer 4A_152/2021 vom 20. Dezember 2022 illustriert.
Gedankenspiel zum Panzerdeal
Thomas Koller
Thomas Koller
Den Medien konnte man entnehmen, dass eine deutsche Unternehmung behauptet, sie habe von der Ruag 2019 25 Panzer vom Typ Leopard-1 A5, die sich in Italien befinden, gekauft und sei deren Eigentümerin. Übergeben wurden diese Panzer der (angeblichen) Käuferin bis jetzt nicht. Das lädt aus akademischer Sicht zu einer kleinen (hypothetischen) juristischen Fingerübung ein: Könnte die deutsche Unternehmung bereits Eigentümerin der Panzer sein, wenn unterstellt wird, dass ein Kaufvertrag besteht?
Nacherfüllungsansprüche und Updates bei digitalen Kaufsachen unter dem CISG
Loïc Stucki
Loïc Stucki
Im grenzüberschreitenden Handel mit digitalen Gütern kann das CISG relevant sein, wobei sich insbesondere die Frage nach Nacherfüllungsansprüchen stellen kann. Dieser Artikel bespricht die bislang für digitale Güter ungeklärte Differenzierung zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung unter dem CISG sowie die diesbezüglichen Anspruchsvoraussetzungen. Weiter wird die Durchführung der Nacherfüllung thematisiert sowie die Frage, ob dem Käufer ein Anspruch auf Updates zusteht. Sodann werden einige Hinweise für die Vertragspraxis gegeben. Es zeigt sich: Obwohl das CISG den internationalen Handel mit digitalen Gütern regeln kann, sollten Parteien besonderes Augenmerk auf die vertraglichen Regelungen werfen.
Formzwang beim Grundstückkauf 2.0
Mirjam Eggen
Mirjam Eggen
Die Formvorschriften aus Art. 216 OR bilden ein Gültigkeitserfordernis für den Grundstückkaufvertrag. Die Frage nach dem Umfang der zu beurkundenden Vertragsinhalte ist dabei seit jeher umstritten. Im Kern des Streits steht die Frage, welche subjektiv wesentlichen Inhalte neben den objektiv wesentlichen Vertragspunkten zu beurkunden sind. Der vorliegende Aufsatz nimmt diese Diskussion aus Anlass des bundesrätlichen Berichts zur Überprüfung der Formvorschriften im Privatrecht vom September 2023 erneut auf und skizziert gestützt auf die Zielsetzungen des Formzwangs aus Art. 216 OR Lösungsansätze de lege lata wie auch de lege ferenda.
Aus dem Bundesgericht
Thurgauer Biogas-Erzeuger blitzt vor Bundesgericht ab
Jurius
Jurius
BGer – Wegen mehrerer Gewässerverschmutzungen in den vergangenen Jahren hat das Thurgauer Amt für Umwelt einem Biogas-Erzeuger die bestehende Betriebsbewilligung zu Recht nur für drei Jahre verlängert. Zu diesem Schluss kommt das Bundesgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil. (Urteil 1C_383/2022)
Etappensieg für missbräuchlich gekündigten SBB-Angestellten
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesverwaltungsgericht muss sich nochmals mit dem Fall eines früheren Mitarbeiters des SBB-Reinigungsteams befassen. Dem Mann wurde missbräuchlich gekündigt. Nun stellt sich die Frage, ob dies während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geschah. (Urteil 8C_95/2023)
Keine Entlassung eines Verwahrten nach 37 Jahren hinter Gittern
Jurius
Jurius
BGer – Ein heute 62-Jähriger bleibt auch nach rund 37 Jahren in Gefangenschaft verwahrt. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Der Mann wird als gefährlich eingeschätzt. Er ermordete 1986 im Kanton Luzern eine im fünften Monat schwangere Frau. (Urteil 7B_356/2023)
Nigerianer erneut wegen Entführung seiner Kinder verurteilt
Jurius
Jurius
BGer – Die Verurteilung eines Nigerianers zu einer Freiheitsstrafe von 57 Monaten wegen Entführung und Entziehens von Minderjährigen ist rechtskräftig. Das Bundesgericht hat die Beschwerde des Mannes abgewiesen. Er brachte seine Söhne 2011 ohne Wissen der Mutter in seine Heimat, wo sich die Kinder seither aufhalten. (Urteil 6B_844/2023)
Jagdaufseher steht wegen zwei jungen Steinadlern vor Gericht
Jurius
Jurius
BGer – Die Walliser Justiz muss sich erneut mit dem Fall von zwei Steinadlern befassen, die Ende Juni 2018 wegen einer Störung ihr Nest vorzeitig verliessen. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Vor Gericht steht ein Jagdaufseher. (Urteil 6B_264/2023)
Besetzung eines Einkaufszentrums ist keine Nötigung
Jurius
Jurius
BGer – Sieben Klimaaktivisten werden vom Bundesgericht nicht wegen Nötigung verurteilt. Sie hatten 2019 gegen den Schnäppchentag «Black Friday» protestiert und die Eingangshalle eines Einkaufszentrums in der Stadt Freiburg blockiert. (Urteil 6B_138/2023)
Beschwerden gegen zwei Windparkprojekte in den Kantonen Neuenburg und Bern abgewiesen
Jurius
Jurius
BGer – Das Bundesgericht weist Beschwerden im Zusammenhang mit den Windparkprojekten «Parc éolien de la Montagne-de-Buttes» im Kanton Neuenburg und «Parc éolien de la Montagne de Tramelan» im Kanton Bern weitestgehend ab. (Urteile 1C_48/2021, 1C_329/2021 und 1C_335/2021)
Aus dem Bundesverwaltungsgericht
Fischwanderhilfen werden entschädigt, nicht aber deren Unterhalt
Jurius
Jurius
BVGer – Die Rhonekraftwerke in Ernen im Wallis erhalten für den Bau von Fischwanderhilfen für die Kraftwerke Mörel und Ernen die Kosten von total rund 3,46 Millionen CHF vom Bund erstattet. Vergeblich verlangte das Energieunternehmen für den Betrieb und Unterhalt der Fischhilfen einen jährlichen Betrag von insgesamt 44’000 CHF. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine entsprechende Beschwerde ab. (Urteile A-483/2022 und A-484/2022)
Sanktion der Wettbewerbskommission gegen UPC Schweiz bestätigt
Jurius
Jurius
BVGer – Die frühere UPC Schweiz muss wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens beim Bereitstellen von Eishockey-Übertragungen der obersten beiden Ligen eine Sanktion von 29,1 Millionen CHF zahlen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sanktion im Grundsatz bestätigt, sie aber um 0,9 Millionen CHF gesenkt. (Urteil B-5819/2020)
Medienmitteilungen
Risikominderung bei Biozidprodukten
Jurius
Jurius
Die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken müssen weiter vermindert werden. Der Bundesrat hat daher an seiner Sitzung vom 15. November 2023 eine Änderung der Biozidprodukteverordnung (VBP) verabschiedet.
Vernehmlassungsübersicht
Übersicht über laufende Vernehmlassungen (November 2023)
Jurius
Jurius
Die Zusammenstellung beinhaltet alle laufenden Vernehmlassungen der Bundeskanzlei, der Departemente EDA, EDI, EJPD, VBS, EFD, UVEK, WBF und der Parlamentarischen Kommissionen im November 2023. Die einzelnen Vernehmlassungen sowie die dazugehörigen Unterlagen können via Links direkt abgerufen werden.