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Liebe Leserinnen und Leser
 
Diese Schwerpunkt-Ausgabe von Jusletter, die in gewohnt sorgfältiger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Thomas Gächter, Universität Zürich, vorbereitet wurde, beinhaltet neben der traditionellen Bibliografie der jüngsten Publikationen im Gesundheitsrecht eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen und Beiträgen, die die Reichhaltigkeit und Lebendigkeit des Gebietes des Gesundheitsrechts einmal mehr unter Beweis stellen.
 
Prof. Dr. Thomas Gächter, Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht, und dessen Mitarbeiterin Esther Amstutz errinern uns daran, dass nicht allen Menschen mit Kinderwunsch in der Schweiz der Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Massnahmen rechtlich oder faktisch möglich ist. Im Vordergrund der Untersuchung stehen der Ausschluss lesbischer Paare von fortpflanzungsmedizinischen Massnahmen, das in Revision stehende Verbot der Präimplantationsdiagnostik sowie die eingeschränkte Kostenübernahme der Krankenversicherung für fortpflanzungsmedizinische Massnahmen.
 
Dr. Marco Donatsch, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für öffentliches Recht an der Universität Zürich, widmet sich der Problematik des Prämienverbilligungsanspruches junger Erwachsener in Ausbildung. In manchen Kantonen wird dieser Anspruch als ein eigenständiger Anspruch behandelt, sodass die finanziellen Verhältnisse der Eltern ausgeklammert bleiben. Herr Donatsch stellt sich daher die Frage, ob diese Regelung sich mit Bundesrecht vereinbaren lässt.
 
Dr. Susanne Bollinger, Gerichtschreiberin an der II. Sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Luzern, bemerkt, dass Leistungsgesuche aus psychischen Gründen in der Invalidenversicherung stetig zugenommen haben. Unter besonderer Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung legt die Autorin dar, wann ein psychiatrisches Gutachten als beweistauglich angesehen werden darf und welche Konsequenzen sich aus den unterschiedlichen methodischen Ansätzen ableiten lassen.
 
Dr. Franziska Sprecher und Dr. des. Benedikt van Spyk, beide Rechtsanwälte, stellen fest, dass experimentelle Einzelfallbehandlungen von individuellen Heilversuchen zu unterscheiden und dem Bereich der medizinischen Forschung zuzuordnen sind. Die Autoren schlagen eine Ergänzung des Entwurfs zum Bundesgesetz über die Forschung am Menschen vor, die darauf abzielt, den Schutz der Patienten zu verbessern, ohne aber die Therapiefreiheit des Arztes zu beschränken.
 
Prof. Dr. Peter Breitschmid, Inhaber des Lehrstuhls für Privatrecht und Mitglied der Doktoratskommission Biomedical Ethics and Law an der Universität Zürich, und Caroline Wittwer, seine Mitarbeiterin, untersuchen das neue Erwachsenenschutzrecht, das ab 1. Januar 2013 die alltägliche Arbeit der Medizinalberufe und Institutionen wie Spitäler und Heime beeinflussen wird.
 
Prof. Dr. Olivier Guillod, Direktor des Instituts für Gesundheitsrecht, widmet sich den Rahmenbedingungen der verschiedenen Praktiken bei der Sterbehilfe aus rechtsvergleichender Sicht. Neben aufsehenerregenden Fällen beinhaltet der Bericht einige Bemerkungen zur Rechtspolitik und den zukünftigen Entwicklungen. Das Ganze bezieht sich auf dreizehn nationale Berichte, die für den Anlass der « Journées suisses de l’Association Henri Capitant 2009 » vorbereitet wurden.
 
Das gleiche Themengebiet wird von Joëlle Racine, Anwaltspraktikantin und ehemalige Studentin der Universität Neuchâtel, behandelt. Der Beitrag ist eine überarbeitete Version ihrer ausgezeichneten Masterarbeit, die unter der Leitung vom Prof. Dr. Pascal Mahon verfasst wurde. Die Autorin gibt einen Einblick in die Regelung, die 2005 in Israel mit dem «Dying Patient Act» eingeführt wurde. Danach befasst sich der Beitrag mit der Lage in Japan.
 
Loris Magistrini, ebenfalls ein ehemaliger Student der Universität Neuchâtel, stellt eine Syntese seiner brillianten Masterarbeit, die von Frau Prof. Dr. Béatrice Despland beaufsichtigt wurde, vor. Der Beitrag widmet sich der Benutzung eines Medikamentes ausserhalb seiner amtlichen Genehmigung zur Vermarktung (Off-Label-Use). Mit diesem Thema hat sich die Lehre bisher nur sehr wenig beschäftigt, besonders was die Auswirkungen auf die Sozialversicherungen anbelangt.
 
Wir möchten hier die Gelegenheit nutzen, um auf die zukünftige Ausgabe der Schweizerischen Zeitschrift für Gesundheitsrecht 2011 hinzuweisen. Die neue Ausgabe beinhaltet alle Artikel, die im Laufe des Jahres 2010 in Jusletter erschienen sind und kann schon jetzt auf der Webseite der  Weblaw AG bestellt werden.
 
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre dieser Schwerpunkt-Ausgabe und natürlich viel Gesundheit im Jahr 2011!
 
 
Jean Perrenoud
Institut für Gesundheitsrecht
Universität Neuchâtel
Wissenschaftliche Beiträge
Esther Amstutz
Thomas Gächter
Abstract

Nicht allen Menschen mit Kinderwunsch ist in der Schweiz der Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Massnahmen rechtlich oder faktisch möglich. Einige der geltenden Zugangsbarrieren werden darauf hin analysiert, ob sie sich nach wie vor halten lassen. Im Vordergrund der Untersuchung stehen der Ausschluss lesbischer Paare von fortpflanzungsmedizinischen Massnahmen, das in Revision stehende Verbot der Präimplantationsdiagnostik sowie die eingeschränkte Kostenübernahme der Krankenversicherung für fortpflanzungsmedizinische Massnahmen.

Susanne Bollinger
Abstract

Leistungsgesuche aus psychischen Gründen haben in der Invalidenversicherung in den letzten Jahren stetig zugenommen. Die Arbeitsunfähigkeit kann hier grundsätzlich nicht ohne psychiatrisches Gutachten beurteilt werden, dessen Beweiswert im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen steht. Unter besonderer Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird dargelegt, wann ein psychiatrisches Gutachten als beweistauglich angesehen werden darf und welche Konsequenzen sich aus den unterschiedlichen methodischen Ansätzen von Psychiatrie und Recht für die Zusammenarbeit beider Disziplinen, insbesondere für die rechtsanwendenden Behörden, ableiten lassen.

Peter Breitschmid
Caroline Wittwer
Abstract

Am 1. Januar 2013 wird das Vormundschafts- durch das neue Erwachsenenschutzrecht abgelöst. Der Beitrag skizziert Auswirkungen für die Medizinalberufe und Institutionen wie Spitäler und Heime. Patientenverfügungen, die fürsorgerische Unterbringung sowie der Aufenthalt in Wohn- und Pflegeeinrichtungen haben «Schlüsselfunktion» im Blick auf die Umsetzung eines «Personenschutzrechts», das, rechtlich abgesichert, Würde und Selbstbestimmung hohen Stellenwert einräumt. Emotionale Qualität lässt sich allerdings nicht rechtlich messen; Verfeinerung und Perfektionierung ist zudem indirekt Haftungsverschärfung – pflegerische Qualität setzt aber angstfreien Umgang und ausreichende Ressourcen voraus.

Olivier Guillod
Abstract

Der Beitrag bezieht sich auf dreizehn nationale Berichte, die für den Anlass der « Journées suisses de l’Association Henri Capitant 2009 » vorbereitet wurden und aus Belgien, Brasilien, Kanada/Quebec, Kolumbien, Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Polen, Rumänien, Russland und der Schweiz stammen. Neben einigen aufsehenerregenden Fällen widmet er sich den nationalen Rahmenbedingungen der verschiedenen Praktiken bei der Sterbehilfe. Der Bericht endet mit Bemerkungen zur Rechtspolitik und den zukünftigen Entwicklungen. (jp)

Joëlle Racine
Abstract

In Zeiten, in denen die Schweiz beginnt, den verhältnismässig liberalen Art. 115 StGB aus dem Jahr 1937 zur Sterbehilfe in Frage zu stellen, scheint es interessant, geografisch etwas Abstand zu nehmen und zu untersuchen, wie entferntere Länder die Frage regeln. Der Beitrag gibt einen Einblick in die von Israel 2005 eingeführte Regelung und befasst sich danach mit der Lage in Japan. (jp)

Loris Magistrini
Abstract

Der Off-Label-Use oder die Benutzung eines Medikamentes ausserhalb seiner amtlichen Genehmigung zur Vermarktung betrifft heutzutage einen grossen Teil von Patienten und zieht in seinem Windschatten Ärzte, Apotheker und Versicherer mit sich. Paradoxerweise ist der Begriff noch einem grossen Teil der Schweizer Öffentlichkeit unbekannt. Im Übrigen beschäftigte sich die Lehre bisweilen mit dem Off-Label-Use nur sehr wenig, besonders was die Auswirkungen auf die Sozialversicherungen anbelangt. Zudem spricht die Gesetzgebung unseres Landes nicht direkt diese medizinische Realität an. Der Off-Label-Use wirft eine ganze Reihe von juristischen Problemen auf und stellt namentlich erhebliche Fragen über die Rückerstattung einer solchen Praxis. Der Beitrag bietet eine Übersicht dieser Themen und widmet sich insbesondere der Frage der Rückerstattung des Off-Label Uses von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts. (jp)

Beiträge
Marco Donatsch
Abstract

Die überwiegende Mehrheit der Kantone setzt gemäss den kantonalen Ausführungserlassen zum eidgenössischen Krankenversicherungsgesetz den Prämienverbilligungsanspruch junger Erwachsener in Ausbildung unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der Eltern fest. In einzelnen Kantonen besteht hingegen ein solcher Prämienverbilligungsanspruch im Sinne eines eigenständigen Anspruches der jungen Erwachsenen in Ausbildung, sodass die finanziellen Verhältnisse der Eltern ausgeklammert bleiben. Solche Regelungen lassen sich kaum mit dem Bundesrecht vereinbaren.

Franziska Sprecher
jcr:2c364685-3edb-41f7-9a81-3fad475fa12b
Benedikt van Spyk
Abstract

Der individuelle, einzig im Interesse des betroffenen Patienten vorgenommene Heilversuch und das allein zu wissenschaftlichen Zwecken durchgeführte systematische Experiment bilden zwei Pole eines Kontinuums. Die Behandlungen, die innerhalb dieses Kontinuums liegen, lassen sich aufgrund der fliessenden Übergänge teilweise nur mit Mühe dem Bereich der medizinischen Praxis oder Forschung zuordnen. Dies gilt insbesondere für relativ neuartige, noch nicht systematisch erprobte Behandlungen. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass zwischen experimentellen Einzelfallbehandlungen, die dem Bereich der Forschung angehören, und individuellen Heilversuchen, die der medizinischen Praxis zugeordnet werden können, zu unterscheiden ist.

Bibliografie
Daniel Kraus
Beatrice Stirner
Jean Perrenoud
Slim Ben Younés
Nathalie Brunner
Béatrice Despland
Johanne Gagnebin
Leila Ghassemi Farreras
Olivier Guillod
Abstract

Diese Rubrik gibt Hinweise auf Neuerscheinungen im Gesundheitsrecht. Sie wird auf Grundlage von nahezu Hundert juristischen und medizinischen Zeitschriften aus der Schweiz und dem Ausland zusammengestellt. Grundsätzlich erfasst ist die Periode vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Dezember 2010.

Aus dem Bundesgericht
Jurius
Abstract

BGer – Asbest-Opfer, die mehr als zehn Jahre nach dem letzten Kontakt mit der gefährlichen Steinfaser erkranken, können von ihrem Arbeitgeber keinen Schadenersatz mehr verlangen. Laut Bundesgericht beginnt die Verjährung nicht erst mit dem Ausbruch der Krankheit zu laufen. (BGE 4A_249/2010)

Jurius
Abstract

BGer – Die Abstimmung über die Initiative zur Medikamentenabgabe durch Ärzte in den Städten Zürich und Winterthur muss nicht wiederholt werden. Das Bundesgericht hat die Beschwerden gegen das Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts abgewiesen. (Dispositiv der Urteile 1C_468/2010 und 1C_472/2010)

Jurius
Abstract

BGer – Das Bundesgericht zeigt sich grosszügig gegenüber Personen, die sich im reiferen Alter noch adoptieren lassen. Das Gericht hat einer 57-jährigen Appenzellerin erlaubt, ihren bisherigen Namen beizubehalten. (Öffentliche Beratung im Verfahren 5A_477/2010)

Jurius
Abstract

BGer – Die Schadenersatzklage der Genfer Gesellschaft Noga gegen die Eidgenossenschaft ist vom Tisch. Das Unternehmen hat seine beim Bundesgericht hängige Klage im Zusammenhang mit der aufgehobenen Beschlagnahme von russischen Gemälden zurückgezogen. (Verfügung im Verfahren 2E_2/2007)

Medienmitteilungen
Jurius
Abstract

Der Bundesrat setzt den revidierten Artikel 41 des Bürgerrechtsgesetzes (BüG) nach unbenutzter Referendumsfrist auf den 1. März 2011 in Kraft. Die revidierte Bestimmung sieht längere Verjährungsfristen bei der Nichtigerklärung der Einbürgerung wegen falscher Angaben oder wegen der Verheimlichung erheblicher Tatsachen vor. Diese Änderung erfolgte im Rahmen der parlamentarischen Initiative Lustenberger vom 24. März 2006.

Jurius
Abstract

Der Bundesrat hat die Verordnung über die Unternehmens-Identifikationsnummer (UIDV) verabschiedet und deren Inkrafttreten auf den 1. April 2011 festgelegt. Die neuen Bestimmungen regeln die Modalitäten in Bezug auf die Einführung und den Betrieb der UID und definieren den Inhalt des UID-Registers. Sie setzen zudem die Normen und Vorschriften für den Austausch, die Verwendung, die Bekanntgabe sowie den Schutz der UID-Daten fest.

Jurius
Abstract

Die Buchpreisbindung soll nicht für Bücher gelten, die im Internet bestellt werden. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) empfiehlt ihrem Rat mit 8 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung an dieser Position festzuhalten und die Differenz zum Nationalrat nicht auszuräumen.

Jurius
Abstract

Die Kommission empfiehlt die Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter» zur Ablehnung und spricht sich mit der Zustimmung zu einem indirekten Gegenvorschlag für einen Systemwechsel bei der Eigenmietwertbesteuerung aus. Sie unterbreitet zudem dem Ständerat einen indirekten Gegenvorschlag zu den beiden Volksinitiativen zum steuerlich begünstigten Bausparen.