Jusletter

Liebe Leserinnen und Leser

Künstliche Intelligenz und Algorithmen gewinnen in unserem Alltag an Bedeutung. Algorithmen helfen Ärzten bei der Diagnose, unterstützen Menschen beim Geldanlegen, steuern selbstfahrende Fahrzeuge, führen Singles mit Singles zusammen, geben die Preise beim Buchen von Flügen vor oder legen individuelle Werbeanzeigen für Nutzer fest. Wir Herausgeberinnen sind der Ansicht, dass es unter dem Titel «Algorithmen und Recht» zwei Ebenen gibt, die wir in Zukunft diskutieren müssen.
 
Erstens ist in grundsätzlicher Hinsicht zu hinterfragen, ob Algorithmen einer Regulierung bedürfen. Anlässlich unserer Konferenz «Towards an Algocracy? Interdisciplinary Approaches to Algorithm Governance» am 9. November 2018 in St. Gallen (unser Konferenzhashtag auf Twitter #algocrazy) haben wir diese Frage rege diskutiert und verschiedene Ansätze durchgespielt. Wir sind zum Schluss gekommen, dass sich Algorithmen als Regelungsgegenstand nur bedingt eignen. Algorithmen können Manipulationen und Diskriminierungen im Alltag verstärken, sie könnten aber auch zu einer grösseren Objektivität und zu mehr Fairness führen. So oder so sind die Übeltäter nicht die Algorithmen per se, sondern die Menschen dahinter. Der Ruf nach Erklärbarkeit ist nachvollziehbar und in vielen Fällen wären transparentere Verfahren wünschenswert, doch gilt dies nicht für alle Anwendungsgebiete. Dass Algorithmen als Phänomen einheitlich geregelt werden können und sollten, bezweifeln wir deshalb. Die Entwicklungen rund um Algorithmen werfen uns auf uns selbst zurück: Welche Werte und Wertvorstellungen wollen wir Algorithmen füttern? Wie wollen wir mit Algorithmen leben? Die gesellschaftliche Diskussion zu dieser grundlegenden Frage muss weitergeführt werden.
 
Zweitens müssen parallel dazu die konkreten Rechtsprobleme in verschiedenen Branchen bzw. verschiedenen Rechtsgebieten analysiert werden. Es stellen sich viele spannende Einzelfragen, neun davon behandeln unsere Autorinnen und Autoren für Sie in der heutigen Schwerpunkt-Ausgabe – go «AlgoLaw»!

Was haben Waffelmachen und Algorithmen gemeinsam? Die Auflösung liefert Dr. Sebastian Höfer in seinem Beitrag. Er erklärt auf anschauliche Art und Weise und aus technischer Sicht, was hinter den Begriffen Algorithmus, maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz steckt.

Algorithmen sind zunehmend in der Lage, anhand bestimmter entscheidungsrelevanter Parameter ein Resultat ausgeben zu können, sog. «automatisierte» oder «algorithmische» Entscheidungen. Prof. Dr. Florent Thouvenin, Dr. Alfred Früh und Damian George befassen sich mit den technischen, ökonomischen und ethischen Bedingungen dieses Phänomens und skizzieren den datenschutzrechtlichen Rahmen.

Romy Daedelow wirft einen Blick auf digitale Ungleichbehandlungen durch Algorithmen und vertieft die Frage, wie die Datenschutz-Grundverordnung damit umgeht. Sie zeigt auf, dass ein datenschutzkonformer Einsatz von intelligenten Technologien ein Bewusstsein für Fairness und Datengerechtigkeit erfordert und die Datenschutz-Grundverordnung dafür gewisse Instrumente bereithält.

Ebenfalls mit entscheidenden Algorithmen befasst sich Dr. David Rechsteiner, der in seinem Beitrag verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte aufgreift und Vorgaben und Schranken bei automatisierten Verfügungen ableitet.

In der Wirtschaft werden vermehrt datenbasierte Preisalgorithmen eingesetzt, die das Wettbewerbsgeschehen grundlegend verändern. Dr. Oliver Vahrenholt untersucht, welche kartellrechtlichen Herausforderungen diese Veränderung mit sich bringt und schlägt mögliche Lösungsansätze vor.

Auch im Gesundheitswesen sind Algorithmen präsent und für die Personalisierte Medizin sind sie geradezu ein zentraler Baustein. Dr. Karin Bosshard examiniert Anreizsysteme für den Einsatz von Algorithmen in der Personalisierten Medizin und trägt damit zur Diskussion bei, wie eine mögliche Strategie im Zusammenhang mit der Förderung der Personalisierten Medizin aussehen kann und soll.

Weltweit setzen immer mehr Arbeitgeber auf Wearables, um die Gesundheit, Sicherheit und Produktivität der Arbeitnehmer sowie die Qualität der Arbeit zu steigern. Birgit Allenspach illustriert, welche datenschutzrechtlichen Fallstricke mit dem Einsatz dieser Geräte am Arbeitsplatz verbunden sind.

Lernfähige Algorithmen können unabhängig von direkten Vorgaben des Programmierers auf unvorhergesehene Situationen reagieren. Dr. Silvio Hänsenberger wirft einen produkthaftpflichtrechtlichen Blick auf lernfähige Algorithmen und umreisst die Haftungsrisiken von Herstellern, die lernfähige Algorithmen in ihren Produkten einsetzen.

Die Distributed Ledger Technology (DLT) entwickelt sich rasant weiter. Prof. Dr. Andreas Furrer, Dr. Andreas Glarner, Thomas Linder und Dr. Luka Müller beschäftigen sich mit dem Zusammenspiel zwischen der technischen und der rechtlichen Ebene und zeigen auf, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit die mit einem DLT-Projekt angestrebten Funktionen rechtsrelevante Transaktionen auslösen können.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Unser Tipp: Leave your technology dinosaur behind and embrace your inner techie.

Isabelle Wildhaber
Herausgeberin, Prof. Dr. iur., LL.M.,
Ordinaria für Privat- und Wirtschaftsrecht
unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsrechts an der Universität St. Gallen

Melinda Lohmann
Herausgeberin, Prof. Dr. iur.,
Assistenzprofessorin für Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Informationsrecht an der Universität St. Gallen


In eigener Sache: Die Beiträge dieser Schwerpunkt-Ausgabe von Jusletter erscheinen auch in einer gesammelten Ausgabe als E-Book in der Reihe «Anthologia». Diese kann in Kürze im Weblaw-Shop für CHF 48.– erworben werden.

    Beiträge








  • Essay

  • Aus dem Bundesgericht




  • Aus dem Bundesverwaltungsgericht

  • Aus dem Bundesstrafgericht

  • Medienmitteilungen